Subjektwerdung in Zeiten der Klimakatastrophe?

Zum Zusammenhang von Schuld und Freiheit aus befreiungstheologischer Perspektive

von Julia Lis

Obwohl die Rede von der Sünde heute kirchlich einen schweren Stand hat und der Missbrauch von Macht über die Seelen der Menschen in den und durch die Kirchen zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema geworden ist, ist der Begriff der Sünde aus dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht verschwunden. So ist etwa in Zeiten der steigenden Sensibilität für Klimafragen von Klimasünden die Rede. Als Klimasünde wird falsches Verhalten in den Bereichen von Energie, Ernährung, Mobilität und Konsum bezeichnet. Diese Sünden der Einzelnen, so wird ihnen gesagt, haben unmittelbare Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Die Verhinderung oder zumindest eine Abmilderung der Klimakatastrophe wird nun auch vom Einzelnen erwartet und begegnet ihr oder ihm als Anspruch. Das kann natürlich auch ein Gefühl der Überforderung auslösen.
Gibt es dann noch Möglichkeiten der Subjektwerdung angesichts der Schuldverstrickung?

Der Artikel ist in der Zeitschrift UNA SANCTA (2024/1) erschienen und ist uns zur Verlinkung dankenswerterweise zur Verfügung gestellt worden:

Subjektwerdung in Zeiten der Klimakatastrophe

Frühkirchlicher Pazifismus

Die von Thomas Gerhards vorgelegte Quellensammlung „Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in der frühen Kirche“ galt ab 1984 als „Geheimtipp“ in der christlichen Friedensbewegung. Die Online-Neuausgabe von 2024 kann verbreitet und digital hier heruntergeladen werden

 

Thomas Gerhards: Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in der frühen Kirche. Eine Quellensammlung. – Neuedition der sechsten Auflage von 1991. (= edition pace ǀ Regal: Pazifismus der frühen Kirche 2). Online-Ausgabe, 04.12.2024.

Volker Beck: Es reicht!

„Dieser Papst ist und war nie ein Theologe. Er ist ein Opportunist. Dafür lieben ihn manche. Andere halten ihn deshalb für den Totengräber der Kirche. Nostra Aetate hat er gerade beerdigt, und Johannes Paul II. gleich mit. Man kann ihn nur verachten. “

Sollte dieser Tweet von Volker Beck, dem Vorsitzenden der deutsch-israelischen Gesellschaft authentisch sein, dann wäre das ein neuer Tiefpunkt  seiner (und vieler anderer) alles Israel-regierungskritisches Denken haßerfüllten Diffamierung.

Die volksstürmerische Agitation gegen alle, die sich um ein differenziertes Denken und Handeln im Konflik Israel – Gaza – Westbank bemühen, ist in keiner Weise mehr nachvollziehbar. Dazu gehören insbesondere die umstandslosen und undifferenzierten Antisemitismusvorwürfe gegen kairos-Palästina oder BDS, und jetzt auch dieser Post. Die geiferische Unterstützung einer israelischen Regierung, die nur die Waffengewalt als mögliche Lösung des Konflikts proklamiert, wird am Ende dastehen als das, was sie ist. Sie wird nichts zur Lösung der historischen Probleme beitragen, sondern das Gegenteil erreichen: die Zementierung der Auswegslosigkeit aus diesem tödlichen Konflikt. Insofern ist Volker Becks hemmungsloses Agitieren kein Ausdruck eines Kampfes gegen den Antisemitismus, sondern wird sich letztlich als zusätzliche Delegitimierung Israel darstellen. Wir haben aber wenig Hoffnung, dass er diese Form von historischem, dialektischen Denken beherrrscht. Dazu ist seine Schwarz-Weiss-Malerei zu deutlich.

Und hier der Link zur Botschaft von Past Franziskus zum  Weltfriedenstag.

Antônio Canuto

Nicht viele werden seinen Namen kennen, noch weniger hier in Deutschland werden ihn gekannt haben: Antônio Canuto. Als ehemaliger Priester in São Félix do Araguaia in Brasilien war er der rechte (und linke) Arm von Bischof Pedro Casaldaliga. Er war vielen ein großartiger Weggefährte, ein radikaler Franziskaner. Er war nicht nur der ehemalige Generalsekretärs der Landpastoralkommission der brasilianischen Bischofskonferenz, er war lange Jahre das Gesicht der CPT und deshalb irgendwie auch der legendären brasilianischen Landlosenbewegung MST. Antônio Canuto gehörte zu jener Generation, die dem Christentum Glaubwürdigkeit verschafft haben. Er kam aus Rio Grande do Sul in den mittleren Westen Brasiliens, um sein Leben den Armen und der sozialen Gerechtigkeit zu widmen:  Nun ist er gestorben. Wir werden ihn sehr vermissen.

10 Jahre Welttreffen der Sozialen Bewegungen mit Papst Franziskus

Pfefferspray statt soziale Gerechtigkeit“

Wie Gewalt sich breit macht…und was dagegen zu tun ist.

Papst Franziskus hat zum zehnjährigen Bestehen der Welttreffen der Sozialen Bewegungen („movimientos populares“ – MMPP) im Vatikan am 20. September 2024 eine Ansprache gehalten. Wir möchten sie hier gerne in deutscher Übersetzung veröffentlichen, weil wir die Welttreffen der Sozialen Bewegungen seit 2014 intensiv mit begleitet und teilweise daran auch teilgenommen haben. Hierzu haben wir auch verschiedene Veröffentlichungen gemacht, von denen hier eine Auswahl abrufbar ist:

Schwestern und Brüder, guten Tag. Schön, dass ihr gekommen seid.

Wir erinnern uns an den Moment, der den Ausgangspunkt für unsere gemeinsame Geschichte gebildet hat! Zehn Jahre sind vergangen, seit dem ersten Welttreffen der sozialen Bewegungen. Damals haben wir „Land – ein Dach über dem Kopf – Arbeit (die drei T: „tierra, techo, trabajo“, NM) zum Motto erklärt. „Land – ein Dach über den Kopf – Arbeit“ sind heilige Rechte. Niemand soll Euch diese Überzeugung streitig machen, niemand soll Euch dieser Hoffnung berauben, niemand soll Euch diesen Traum austreiben!

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Zur Erinnerung an das Massaker vom 16.11.1989 in San Salvador: Die Toten sind nicht tot?

Michael Ramminger

Foto: M. Ramminger

Am 16. November 1989, also vor 35 Jahren, wurden in El Salvador an der Zentralamerikanischen Universität UCA die Jesuiten Ignacio Ellacuría, Segundo Montes, Ignacio Martín-Baró, Joaquín López y López, Juan Ramón Moreno und Amando López im Garten ihres Wohnhauses erschossen. Auch die Köchin Elba Ramos und ihre Tochter Celina wurden ermordet, die in dieser Nacht Schutz im Haus der Jesuiten vor den Kämpfen des Bürgerkriegs gesucht hatten. Sie wurden vom Atlacatl-Bataillon, einer Art „Anti-Terror“- Einheit auf Befehl des Militärs erschossen. Die Ermordung war als Gegenaktion zu einer massiven Offensive der 1980 gegründeten salvadorenischen Befreiungsbewegung FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) gedacht. Bei dieser Offensive drang die Guerilla bis in die Hauptstadt und viele Armenviertel vor. Es bleibt wohl für immer unbeantwortet, ob die FMLN nicht bereits Anfang, Mitte der achtziger Jahre die Regierung hätte stürzen können, wäre diese nicht so massiv von den USA unterstützt worden. Zur Erinnerung an das Massaker vom 16.11.1989 in San Salvador: Die Toten sind nicht tot? weiterlesen

Messianisch predigen

»Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet.« (Mt 11,5)
Das ist die Antwort und Selbstbeschreibung seines Handelns, die Jesus den Jüngern des inhaftierten Täufers Johannes gibt auf ihre Frage, ob er der Messias sei. In dieser Antwort erscheint die Verkündigung vordergründig als das am wenigsten Wirkmächtige und Spektakuläre gegenüber den Heilungen und der Auferstehung von Toten. Im Hintergrund verbirgt sich jedoch einiger Sprengstoff, weil gesagt wird, wer die Adressatinnen und Adressaten dieser Verkündigung des Evangeliums sind: die Armen, die ihrer Autonomie Beraubten, die Verliererinnen und Verlierer der Geschichte. In dieser Parteilichkeit steckt die Brisanz der Verkündigung des Evangeliums, weil es auf ihre Befreiung abzielt. Doch was macht dann die inhaltliche Füllung parteilicher Verkündigung aus?

Benedikt Kern und Jan Henrik Röttgers haben hierzu einen Beitrag veröffentlicht in: Der Prediger und Katechet (2024/5), S. 631-635. Der Beitrag kann hier online gelesen werden:

Prediger und Katechet 2024_05_Messianisch predigen

 

Gustavo Gutierrez zu würdigen

Gustavo Gutiérrez aus Peru, der Mitinitiator der Befreiungstheologie, starb am 22. Oktober 2024 in Lima. Das ITP – aus politisch-theologischem und befreiungstheologischem Denken inspiriert – weiß sich von Gustavo´s Werk motiviert.

Befreiungstheologe aus Leidenschaft für das Leben

Der 1928 geborene Gutierrez studiert in Lima, Löwen und Lyon Medizin, Philosophie, Psychologie und Theologie. Als Priester der Erzdiözese Lima ist er lange Zeit als Pfarrer im Armenviertel Rimac/Lima tätig und zugleich Professor für Theologie und Sozialwissenschaften an der Katholischen Universität in Lima. Damit beglaubigt er die These, die seinem theologischen Arbeiten die Richtung weist: „La teología es una inteligencia del compromiso“ – Theologie ist kein frommes Glasperlenspiel. Theologie ist vielmehr intellektuelle Erkenntnis, die im Glauben an den Gott des Lebens aus dem Engagement an der Seite der Armen stammt, weil ihnen das „Recht auf Rechte“ verwehrt wird und sie zu vorzeitigem Tod verdammt sind. Gutiérrez fragt sich selbst, aber ebenso die Kirche und ihre Theologie, wie kann man von einem Gott der Liebe inmitten von Armut und Unterdrückung sprechen; wie vom Gott des Lebens zu Menschen reden, die tagtäglich einen ungerechten, gewaltsamen und vorzeitigen Tod sterben; wie von Auferstehung mitten in einer Lage, die das Zeichen des Todes an sich trägt; wie von dem gütigen Vatergott in einer unmenschlichen Welt; denn das heißt doch dem zur Unperson gemachten Menschen sagen, dass er/sie Sohn/Tochter Gottes sei. Diesen Grundfragen müssen sich die Theolog*innen stellen, wenn sie nicht zu überflüssigen Tröstern werden wollen wie die Freunde Hiobs im Alten Testament. Gustavo Gutierrez zu würdigen weiterlesen

„Zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt“

Shell Jugendstudie 2024

Kommentar von Andreas Hellgermann, Arbeitskreis ReligionslehrerInnen am ITP

In diesen Tagen ist die neue Shell-Jugendstudie herausgekommen und es ist bemerkenswert, welche Ergebnisse angezeigt werden, wenn das Stichwort „Shell Jugendstudie 24“ in eine beliebige Suchmaschine eingegeben wird. Es zeigt sich eine widersprüchliche Mannigfaltigkeit: Angst vor der Zukunft, mehrheitlich optimistisch, alarmierende Trends, noch nicht verloren, besser als ihr Ruf, Interesse an Politik … und, und, und.

Zwei Punkte allerdings werden auch von den Machern der Studie hervorgehoben und tauchen im Titel auf. Die Zukunftsängste werden einem pragmatischen Optimismus gegenübergestellt. Es ist sehr naheliegend, das für einen Widerspruch zu halten.

Was aber ist, wenn es genau an dieser Stelle gar keinen Widerspruch gibt? „Zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt“ weiterlesen

Die Kriege des 21. Jahrhunderts

Einige Beobachtungen zur fortschreitenden Technisierung und Schlussfolgerungen zu den politischen und ethischen Konsequenzen

„Alle, die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf den Herrn! Er ist euch Helfer und Schild“ (Ps 115,11)

Von Jan Henrik Röttgers

Der Artikel ist erschienen in der pax christi-Korrespondenz 01/24.

Seit geraumer Zeit verändern sich die Kriege, die momentan auf dem Planeten stattfinden, massiv in ihrer Art. Oft wird in den Diskussionen über die Rechtfertigung dieses oder jenes Krieges gesprochen, die Ursachen und ob Waffenlieferungen erlaubt sein sollen und welche Seite mehr Recht auf ihrer Seite hat.

Dabei wird aber oft nicht über die Art der Kriegsführung gesprochen, obwohl auch daraus Ableitungen über die Rechtmäßigkeit des Krieges geführt werden können. Dieser Beitrag soll die moderne Kriegsführung des 21. Jahrhunderts in den Blick nehmen und die zugrundeliegenden Annahmen.

Zwei der wesentlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sind zum einen die massive Ausweitung des Einsatzes von Drohnen in den bewaffneten Konflikten und zum anderen die zunehmende Digitalisierung des Krieges, die bereits den Cyberraum als ein neues Gefechtsfeld ausgemacht hat, und in dieser Linie der ausgeweitete Einsatz Künstlicher Intelligenz. Diese Entwicklungen sollen an dieser Stelle im Fokus stehen und näher untersucht werden. Die Kriege des 21. Jahrhunderts weiterlesen