Es gab keinen Konflikt der Generationen, sondern der analytischen Standpunkte, Mentalitäten und Optionen
Michael Ramminger/ Institut für Theologie und Politik Münster
Michael Schüßler, Prof. für praktische Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen hat als Teilnehmer der Versammlung „Katakombenpakt: Erinnern und Erneuern“ vom 11.-17.11. 2015 in Rom auf der Webseite www.feinschwarz.net unter dem Titel „Katakombenpakt gefeiert und beerdigt?“ eine ziemlich harsche Kritik des Treffens vorgelegt.
Dabei scheinen ihm zwei Dinge besonders wichtig, festgehalten zu werden: Erstens sei die Versammlung ein Generationentreffen der sich „im verdienten Rentenalter“ befindlichen gewesen, dessen „Energie (sich) speist aus den befreiungstheologisch inspirierten Kirchenaufbrüchen in der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil“; dieses Treffen diente aber nur der Selbstvergewisserung. Zweitens brachten die vielen anwesenden „Studierenden all ihre kritischen Fragen aus der Gegenwart mit, samt der Frage nach dem ‚Erneuern‘.“ – und kamen damit gegen die Alten nicht so richtig an.
Wir wären am zweiten Tag der Versammlung tatsächlich beinahe auf die Konstruktion dieser Opposition hereingefallen, allerdings zeigte sich doch schnell, dass die Widersprüche nicht entlang der Altersachse verliefen, sondern am Verständnis von Theologie selbst, für das in diesem Falle die Studierenden letztlich erfolglos instrumentalisiert werden sollen.
Und deshalb möchte ich mich hier mit den theologischen Prämissen dieser Einschätzung von Prof. Schüßler beschäftigen. Der kurze blog-Artikel liefert dafür naturgemäß nicht genug Anhaltspunkte. Aber zum Glück ist er nur ein gewissermaßen „neuformatiertes Update“ – um im Sprachspiel von Herrn Schüßler zu reden – eines Artikels aus dem Jahrbuch politische Theologie.1 Was wären also die theologischen Themen, an denen es Kontroversen zu diskutieren gäbe?
Gesellschaftsanalyse und Zeitdiagnose
Da wäre zum einen die Frage nach der Gesellschaftsanalyse und Zeitdiagnose, von der Schüßler behauptet, dass sie bei den Veteranen unzulässig vereinfacht wäre. Er setzt dagegen, dass die „Gegenwart“ voller herausforderndem Irritationspotenzial“ sei, voller „Unsicherheiten, Widersprüche und Paradoxien“.2 Nun gut, dem mag man sogar zustimmen, nur ist das im strengen Sinne keine Gesellschaftsanalyse, sondern maximal die subjektive Disposition und Bestimmung der Voraussetzung der notwendigen Anstrengung analytischen Denkens. Da ist dann aber bei Schüßler nur eine Leerstelle, bzw. die Flucht in ein Luhmann-Zitat, das keine Lösung, sondern nur die Frustration des Beobachters vermittelt. Es gibt keine Gesellschaftsanalyse, lediglich, man könnte fast sagen, „Wortgewölk“, dessen Funktion eher in Verdunkelung als in Erhellung besteht: „Eine christlich formatierte Kritik der Verhältnisse müsste heute beweglicher, flüchtiger (werden), und weniger auf Totalveränderung ausgelegt … gerade weil sie vom Totalhorizont des Daseins her zu denken und fühlen versucht …“.3 Auf der Basis solcher Aussagen läßt sich kein kritischer Dialog führen.
Reich-Gottes und Geschichte
Da wäre zum zweiten die „Reich-Gottes-Theologie“, gegen die
Schüßler in nicht überraschender Manier des kritischen Kritikers angeht: Das Reich Gottes will „nicht Fundament einer Ordnung sein will, aber auch nicht rein utopischer Zielpunkt einer Geschichte“.4 Und hier wieder die nicht sonderlich originelle, aber falsche Unterstellung, dass die Rentenaltergeneration dies genau denke:
„Man wollte an der Verwirklichung des Reiches Gottes bauen, wie an einer solidarischen Gegen-Kathedrale der Armen.“5
Ich empfehle Herrn Schüßler die aufschlussreichen Überlegungen von Franz Segbers zur „Hausordnung der Thora“6 für das erste Testament und die theoretisch anspruchsvollen Ausführungen von Urs Eigenmann zum Reich Gottes7. Der Bund des NAMENS mit seinem Volk war sehr wohl an die Einhaltung einer „Ordnung“8, nämlich an die Thora geknüpft. Und die Reich-Gottes-Rede, also die eschatologische Naherwartung sowohl der Jesus-Bewegung als auch der ersten nach-jesuanischen Gemeinschaften machen gerade die theologischen Anstrengungen von Eusebius über Augustinus bis zur politischen Theologie von J.B. Metz notwendig. Die Behauptung, „die Rede vom Reich Gottes beherbergt ein Ereignis, das nicht Fundament einer Ordnung sein will, aber auch nicht rein utopischer Zielpunkt einer Geschichte.“9 kann nun wirklich nicht als Antwort auf jahrtausende theologischer Reflexion genommen werden, zumal sie sich auf gerade einmal ein Bibelzitat beziehen (Lk 17,20), daraus aber verallgemeinernd ableitet, das sich „… vielmehr … von den Wortbildern und Gleichnissen Jesu her ein Horizont heilsamer Umkehrungen und des unverhofften Neubeginns (eröffnet).“ Schüßler verwendet die Kategorien Zeit, Ordnung, Geschichte und Ereignis dann doch zu unscharf, als dass sie als Grundlagen eines kohärenten theoretischen Entwurfs begriffen und dann gegebenenfalls kritisiert werden können.
Zeit und Geschichte
Das zeigt auch folgendes Zitat: „Aber auch das messianische Dispositiv … wurde oft zu einfach interpretiert …, weil kein Fundament einer Ordnung, nicht Zielpunkt der Geschichte, sondern … eine Kategorie der Zeit, nicht des Ortes“10 Selbstverständlich ist das messianische Dispositiv eine Kategorie der Zeit und nicht des Ortes, m.W. hat nie jemand anderes behauptet, auch Schüßler liefert dafür keinen Beleg, sondern max. eine Unterstellung. Und die Gegenüberstellung von „Fundament einer Ordnung/ Zielpunkt der Geschichte versus Kategorie der Zeit, nicht des Ortes erschließt sich mir nicht. Man kann allerdings ahnen, das es ihm um die Kritik teleologischer Geschichtstheologien- und philosophien geht, wogegen er den Begriff des Ereignisses „als begrenztes und zugleich nicht wirkungsloses Ereignis des Richtigen unter den Bedingungen des Falschen“11 setzt. Allerdings bedarf doch einer genaueren Erläuterung, das Ereignis so gegen Geschichte zu denken. Zumindest wäre hier ein wenig mehr Adorno doch hilfreich gewesen.
Man erwartet auch hier vergeblich irgndeinen theoretischen Bezug, wie z.B. auf die Philosophie Alain Badious und seinem Werk „Das Sein und das Ereignis“12. Übrigens ist auch Alain Badiou so ein unverbesserlicher „Alter“, der die Idee des Kommunismus nicht aufgeben will.
Da halt ichs doch eher mit Jakob Taubes, der in seiner abendländischen Eschatologie schrieb: „Zeit heißt Frist. Wer christlich zu denken glaubt und dies ohne Frist zu denken glaubt, ist schwachsinnig.“ Auch hier also trifft man bei Schüßler auf inkohärente, systematisch nicht ausgearbeitete Überlegungen, die einem sowohl Zustimmung als auch Kritik verunmöglichen.
Politische Theologie und Moderne
Der Kampf um eine theologische Postmoderne wird bei Schüßler auch auf die politische Theologie von Johann Baptist Metz ausgeweitet. Zunächst mit dem bekannten Argument, man dürfe den Versuch, die Konzeption der Gegenwart auf den Begriff zu bringen, „nicht den Alten überlassen“13. Hier sei dann doch gestattet, jemanden, der permamant gegen Geschichtskonzeptionen und Zeitverständnisse anrennt, darauf aufmerksam zu machen, dass er seine Grundurteile vornehmlich aus zeitlich qualifizierten Begriffen gewinnt. Spätestens hier drängt sich die Frage auf, ob eine angemessene Hermeneutik dieser Theologie nicht doch bei Freud zu finden wäre.
Die politische Theologie sieht sich der Kritik ausgesetzt, dass sie die „sinnhafte Einheit der Heilsgeschichte als Leidensgeschichte“, retten will, als „letztlich stabile, weil geschichtstheologisch in Gott verankerte Möglichkeit, die humanen Verheißungen der Moderne im Moment ihres Verblassens doch noch zu retten.“14 Setzen wir dagegen nur kurz und knapp den einen Satz der politischen Theologie: „Das Christentum bietet in seiner Erlösungsbotschaft nicht einen noch so ausgelaugten Sinn für die ungesühnten Leiden der Vergangenheit an“.15 Die ganze politische Theologie wehrt sich gegen einen bürgerlich-aufklärerischen Fortschrittsoptimismus, weiss mit Walter Benjamin um den Sturm des Fortschritts im Angesicht der sich auftürmenden Katastrophen und Leiden der Geschichte.
Angesichts der offensichtlichen globalen Probleme menschlichen Zusammenlebens16 ist deshalb deren Lösung nur möglich z.B. als „Durchsetzung bisher nur privat angesonnener universalistischer Normen in öffentlichen Bereichen, d.h. als die Aufhebung der Unterscheidung von Moral und Politik“17. Warum das hier wiedergegeben wird? Weil ich den Verdacht nicht los werde, dass in der Verkleinerung der Maßstäbe der Reich-Gottes-Botschaft Schüßlers (und der Erlösung, sic!) auf das „begrenzte Ereignis der Öffnung in der Gegenwart“ keine Antwort auf die Fragen der „Unsicherheiten der Gegenwart“, geschweige denn auf die Katastrophen der Geschichte zu finden ist, sondern deren Saturierung und Verewigung betreiben werden. Damit zeigt die hier kritisierte Theologie ihr wahres, das heißt „altes“ Gesicht: Sie ist nichts anderes als die von der politischen Theologie „schon damals“ zu Recht kritisierte bürgerlich-liberale Unterscheidung von Politik und Moral18, der es kaum um Antworten auf die Fragen nach dem fremden Leid ging. Auch wenn Metz das noch nicht mit Begriffen wie Gender, update und Neuformatierung ausgedrückt hat.
Um zu belegen, wie auf höchstem gedanklichen Niveau das Unabgegoltene der Vergangenheit gegenwärtig und zukunfstbestimmend sein kann, zitiere ich zum Schluss eine Stelle aus der zweiten These über den Begriff der Geschichte von Walter Benjamin: „Die Vergangenheit führt einen heimlichen Index mit,
durch den sie auf die Erlösung verwiesen wird. Streift denn nicht uns selber ein Hauch der Luft, die um die Früheren gewesen ist? ist nicht in Stimmen, denen wir unser Ohr schenken, ein Echo von nun verstummten? haben die Frauen, die wir umwerben, nicht Schwestern, die sie nicht mehr gekannt haben? Ist dem so, dann besteht eine geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem. Dann sind wir auf der Erde erwartet worden. Dann ist uns, wie jedem Geschlecht, das vor uns war, eine schwache messianische Krafit mitgegeben, an welche die Vergangenheit Anspruch hat. Billig ist dieser Anspruch nicht abzufertigen …“19
Fazit
Mein Fazit: Ich bin froh, in den achtziger Jahren studiert zu haben. Das gibt mir bis heute substantielles Werkzeug an die Hand, mich den Verhältnissen entgegenstellen zu können, und nicht in ihnen unterzugehen. Das solches theologisches Handwerkszeug nicht überall zu finden ist, haben auch viele Studierende auf der Versammlung verstanden.
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Anmerkungen:
1. Schüßler, Michael, Praktische Wende der Politischen Theologie? Von der schöpferischen Kraft des Evangeliums im Risiko der Ereignisse, in: Hölzl, Michael/ Klingen, Henning/ Zeilinger, Peter (Hg.), Jahrbuch für Politische Theologie, Bd. 6/7. Extra ecclesiam …: Zur Institution und Kritik von Kirche, Münster 2013, 286-307
2. Schüßler, Katakombenpakt gefeiert und beerdigt?, http://www.feinschwarz.net/katakombenpakt-gefeiert-und-beerdigt/. Vgl. dazu auch: Cordula Ackermann, Peter Fendel, Benedikt Kern u. Julia Lis: Der Katakombenpakt lebt. und: Wenn eine Tagung von der Perspektive lebt.
3. Schüßler, Jahrbuch 295
4. Schüßler, Katakombenpakt gefeiert und beerdigt?
5. Ebd.
6. Die Hausordnung der Tora, Biblische Impulse für eine theologische Wirtschaftsethik, Luzern 1999
7. Urs Eigenmann: Von der Christenheit zum Reich Gottes. Edition Exodus, Luzern 2014
8. Vgl. dazu: Was verdrängt, aber nicht ausgelöscht werden kann, Dick Boer/ Kuno Füssel/ Michael Ramminger (Hg.), Münster 2014
9. Schüßler, Katakombenpakt gefeiert und beerdigt?
10. Schüßler, Jahrbuch 301
11. Schüßler, Katakombenpakt gefeiert und beerdigt?
12. Zürich 2006
13. Schüßler, Jahrbuch 294.
14. Ebd.
15. Johann Baptist Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft, Mainz 1977, 115
16. Metz, GGG, 90
17. Ebd.
18. Ebd.
19. Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: Gesammelte Schriften Bd. I-2, Frankfurt a.M. 1991, 693f.