Märtyrer für Glaube und Gerechtigkeit
Die Mörder kamen in der Nacht. Von höchster Stelle hatten die Soldaten den Befehl erhalten, die Jesuiten in der Zentralamerikanischen Universität (UCA) umzubringen. Am Morgen des 16. November 1989 fand man Ignacio Ellacuría, Segundo Montes, Ignacio Martín-Baró, Joaquín López y López, Juan Ramón Moreno und Amando López erschossen im Garten liegend. Mit ihnen wurde auch die Köchin Elba Ramos und ihre Tochter Celina ermordet, die in dieser Nacht Schutz im Haus der Jesuiten vor den Kämpfen des Bürgerkriegs gesucht hatten.
Warum wurden sie umgebracht? Die kürzeste Antwort darauf ist auf der Grabplatte in der Universitätskapelle zu lesen. Hier wird der wichtigste Auftrag des Jesuitenordens in unserer heutigen Zeit beschrieben, wie ihn die Generalkongregation von 1974/75 formuliert hat: „Was heißt heute Jesuit, Gefährte Jesu sein? Sich unter dem Kreuz im entscheidenden Kampf unserer Zeit einzusetzen: im Kampf für den Glauben, der den Kampf für die Gerechtigkeit mit einschließt.“
Mit dieser Grundentscheidung wollten die Jesuiten auf die weltweite Ungerechtigkeit als drängendster Herausforderung antworten. Prophetisch hatte die Ordensversammlung aber auch vorausgesagt: „Wir werden nicht für die Gerechtigkeit arbeiten, ohne einen Preis dafür zu bezahlen.“ Dieser Satz ist ebenfalls in die Grabplatte eingraviert.
Ignacio Ellacuría hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, als Philosoph, Theologe und Rektor der Universität der Jesuiten für Glaube und Gerechtigkeit einzutreten. Er war zur Überzeugung gekommen, daß inmitten des zum Himmel schreienden Elends der Mehrheit der salvadorianischen Bevölkerung nicht Wissenschaft um der Wissenschaft willen betrieben werden konnte.
Die Zentralamerikanische Universität sollte sich als Universität für soziale Reformen mit dem Ziel einer gerechteren Gesellschaftsordnung einsetzen. Sie sollte zur Stimme derjenigen werden, die keine Stimme haben. Damit wurde sie aber immer mehr zur Zielscheibe der Reichen und der Mächtigen.
Bis heute wurden die Täter und ihre Auftraggeber nicht zur Rechenschaft gezogen. Ein spanisches Gericht stellte einen Auslieferungsantrag von 13 hochrangigen Militärs – vergeblich. Skandalös ist, dass der Name des früheren Vizeverteidigunsminister Juan Orlando Zepeda kürzlich auf der Kandidatenliste der ultrarechten ARENA-Partei für die nächsten Parlamentswahlten auftauchte. Er stand in Funkkontakt mit den Soldaten des Mordkommandos.
Jon Sobrino, der dem Massaker nur deswegen entkommen ist, weil er sich im Ausland zu einer Vortragsreise befand, schrieb zum Tod seiner Mitbrüder und der beiden Frauen: „Ein Martyrium besitzt sein eigenes, wirksames Licht, das mehr über das Leben und den Glauben aussagt, als tausend Worte. Alle Märtyrer werden in der Geschichte auferstehen.“ In den Jahren nach der Bluttat haben sich die Worte Sobrinos eindrucksvoll erfüllt. Wie Erzbischof Oscar Romero sind auch die beiden Frauen und die sechs Jesuiten im salvadorianischen Volk auferstanden. Sie leben im Herzen der Armen, für deren Befreiung und Menschenwürde sie sich als Priester und Wissenschaftler eingesetzt haben. Städte wurden nach ihren Namen benannt, ihre Bilder sind in vielen Kirchen zu finden; ihr Grab in der Universitätskapelle wurde ebenso zu einer Wallfahrtsstätte wie der Garten, in dem man sie liegend fand, und in dem heute Rosen blühen.
Zum 25. Jahrestag finden in der Zentralamerikanischen Universität vielfältige Gedenkveranstaltungen statt, darunter Ausstellungen, die Aufführung eines Theaterstücks und Diskussionsveranstaltungen über die aktuelle Situation El Salvadors, die immer noch von extremer sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt geprägt ist. Am 15. November wird der US-Kongressabgeordnete James McGovern über die Auswirkung der Ermordung der Jesuiten auf die Zentralamerika-Politik der USA sprechen. Höhepunkt wird wie in jedem Jahr die Gedenknacht vom 15. auf den 16. November mit einer Lichterprozession um den Campus der Universität und einer Eucharistiefeier sein.
Auch an verschiedenen Orten Europas wird der „Märtyrer der UCA“ gedacht. So veranstaltet die theologische Fakultät der Universität Wien Anfang Dezember ein internationales Symposion zum Thema „Unterwegs zu einer neuen Zivilisation geteilter Genügsamkeit. Perspektiven utopischen Denkens 25 Jahre nach dem Tod Ignacio Ellacurías“.
Martin Maier SJ