Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung

Aus unserer christlichen Überzeugung heraus hat die Würde des Menschen oberste und un­hinterfragbare Priorität für gesellschaftliches und politisches Handeln. Insbesondere gehört dazu die Sorge um Benachteiligte, um Menschen, die auf der Flucht sind, um die, die in besonderer Weise schutzbedürftig sind.

Sollte sich die SPD geändert haben?
Sollte sich die SPD geändert haben?

Die im Gesetzesentwurf enthaltenen Verschärfungen, etwa die Möglichkeit, Men­schen aufgrund der Tatsache illegal nach Deutschland eingereist zu sein oder über keine Identitätspapiere zu verfügen, in Haft zu nehmen, stehen im Kontrast zu einer so verstandenen Sorge. Sie ermöglichen vielmehr die Kriminalisierung von Men­schen, ohne zu berücksichtigen, dass es keine ausreichenden legalen Ein­reise­mög­lichkeiten für Schutzsuchende und AsylbewerberInnen nach Deutschland oder in die EU gibt.

Hier der offene Brief an die Münsternaer Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Wortlaut:

An
Die Münsteraner Abgeordneten
des Deutschen Bundestages
Berlin

Münster, den 24.06.2015

Offener Brief von ChristInnen zur geplanten Asylrechtsverschärfung
Sehr geehrte Frau Benning,
Sehr geehrte Frau Klein-Schmeink,
Sehr geehrter Herr Strässer,
Sehr geehrter Herr Zdebel,
mit großer Sorge nehmen wir, die Kirchen und Initiativen die geplanten Asyl­recht­verschärfungen, wie sie im Koalitionsantrag vom 12.06.2015 formuliert sind, zur Ken­ntnis und bitten Sie, sich dafür einzusetzen, dass das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung in der vorliegenden Form nicht be­schlos­sen wird.

Das bestehende Asylrecht bedarf dringend einer Änderung im Blick auf die aktuelle Situation von Flüchtlingen im Bundesgebiet. Inzwischen ist es allgemein anerkannt, dass ca. 80 Prozent aller Menschen, die im Bundesgebiet um Schutz ersuchen, auch hier bleiben. Dem gilt es Rechnung zu tragen, indem diese Menschen hier in Aus­bildung, Arbeit und in einem sicheren Aufenthalt ankommen können. Darum begrüß­en wir die geplanten Änderungen im Asylrecht hinsichtlich eines Aufenthaltstitels zum Er­werb einer gleichwertigen Berufsqualifikation, die Nachbesserungen für Minderjährige und Heranwachsende, eine stichtagsfreie Altfallregelung für einen gesicherten Aufenthalt und die Verbesserungen beim Status der Resettlement-Flücht­linge.
Wir lehnen dagegen die Verschärfungen des Gesetzesentwurfs aus humanitären und rationalen Gründen ab.
Aus unserer christlichen Überzeugung heraus hat die Würde des Menschen oberste und un­hinterfragbare Priorität für gesellschaftliches und politisches Handeln. Insbesondere gehört dazu die Sorge um Benachteiligte, um Menschen, die auf der Flucht sind, um die, die in besonderer Weise schutzbedürftig sind.
Die im Gesetzesentwurf enthaltenen Verschärfungen, etwa die Möglichkeit, Men­schen aufgrund der Tatsache illegal nach Deutschland eingereist zu sein oder über keine Identitätspapiere zu verfügen, in Haft zu nehmen, stehen im Kontrast zu einer so verstandenen Sorge. Sie ermöglichen vielmehr die Kriminalisierung von Men­schen, ohne zu berücksichtigen, dass es keine ausreichenden legalen Ein­reise­mög­lichkeiten für Schutzsuchende und AsylbewerberInnen nach Deutschland oder in die EU gibt.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese Änderungen sich im Besonderen gegen die Minderheiten des Westbalkans richten.
Es ist nicht zu verstehen, dass in unserer globalisierten Welt ein Gesetz für Flüchtlinge entwickelt wird, das den Geist der 90er Jahre atmet, die auf Abschottung und Abschreckung setzten.
Wir brauchen eine Politik, die solidarisch mit Migration umgehen kann; die Men­schen nicht abschreckt, sondern einlädt, an unserer Gesellschaft teilzuhaben. Und dazu braucht es Gesetze, die Menschen auf der Flucht endlich Sicherheit und Ruhe gewähren; die ermöglichen, in unserem Land eine neue Zukunft zu entwickeln: mit Sprache, mit Bildung und Arbeit, mit Kultur und Kontakt.
Die geplanten Neuerungen im Aufenthaltsgesetz sind kontraproduktiv und ver­ur­sachen Leid. Sie sind auf Misstrauen und nicht auf Zutrauen gegründet. Sie schaffen keine Perspektiven, sondern vergrößern den Druck auf die Betroffenen.
Darum appellieren wir an Sie: tun Sie alles dafür, dass die Gesetzesvorlage in der vor­liegenden Form nicht angenommen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Unterschriften der MitunterzeichnerInnen:
Arnsteiner Patres, Münster
Ausschuss für gesellschaftliche Verantwortung des evangelischen Kirchenkreises Münster
Arbeitskreis ReligionslehrerInnen, Münster
Befreiungstheologisches Netzwerk Münster
Institut für Theologie und Politik, Münster
Saeid Samar, Synodalbeauftragter des evangelischen Kirchenkreises Münster für Flüchtlingsarbeit
Notburga Heveling, Vorsitzende des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster
Kath. Kirchengemeinde St. Franziskus, Münster
V.i.S.d.P.: Pfarrerin Alexandra Hippchen, Münster
Anhang:
Details zu den problematischen Passagen des Gesetzesentwurfes

Ein Großteil der bisherigen Ermessensausweisungstatbestände begründet nunmehr ein besonderes schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. So besteht das schwer­wie­gende Ausweisungsinteresse bereits bei Verurteilung nach einer Straftat von 2 Jahren (bislang 3 Jahren). Die Möglichkeit des Schutzes der Betroffenen, das private Bleibe­interesse treten dagegen deutlich zurück.
Wenn aus Ausweisungsgründen, die gestaffelt sind nach: Ermessen, Regel- und Ist-Aus­weisung, Ausweisungsinteressen werden, die besonders schwer oder nur schwer wiegen, entsteht eine große Rechtsunsicherheit nicht nur für die Flüchtlinge und MigrantInnen, sondern auch für Ausländerbehörden. Es gibt keine Erfahrungen mit diesen nebulösen Kriterien. Diese Rechtsunsicherheit wird Mengen neuer Gerichts­verfahren nach sich ziehen.
Im § 54 Abs. 1 Satz 5 fällt unter das Kriterium „besonders schwerwiegend“ z.B. das Ver­teilen von Flugblättern. Auch Straftaten wie z.B. Ladendiebstahl können, wenn es wiederholte Verurteilungen gibt, als besonders schwerwiegend gewertet werden und damit zur Ausweisung führen.
Im Wissen darum, dass allgemein Menschen aus den prekären Schichten härter be­straft werden als die aus den akzeptierten Schichten, droht hier eine Doppel­be­strafung: zunächst wegen des Delikts, dann durch die Ausweisung.
Dem Ausweisungsinteresse steht das Interesse der Menschen, ein Bleiberecht zu er­hal­ten, gegenüber. Im § 55 werden als besonders schwerwiegende Bleibe­rechts­gründe nur formale gewertet, die ein Geduldeter zum Beispiel gar nicht erfüllen kann (Ausnahme, Geduldete, die mit Menschen verheiratet oder verwandt sind, die einen sicheren Status haben). In einer Person ruhende Gründe, die das Bleiben erforderlich machen, werden gar nicht oder jedenfalls nicht als besonders schwerwiegend ge­wertet. Hier geht es offensichtlich nicht mehr um die tatsächliche Lebenssituation von Menschen, sondern allein um formale Kriterien, die für viele unerfüllbar sind.
Die Konsequenz all dessen ist, dass das Bleiberechtsinteresse, so es nur schwer wiegt und nicht besonders schwer oder eben gar nicht wiegt, niemals den Vorrang vor dem Ausweisungsinteresse haben kann. Auch hier mangelt es also an Rechtssicherheit.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese Änderungen sich im Besonderen gegen die Minderheiten des Westbalkans richten.
Dieser Verdacht verschärft sich bei der an sich guten Neuregelung, dass der Aufenthalt Geduldeter gesichert werden kann, wenn sie einer Berufsausbildung nachgehen § 60a Abs. 2 AsylVfG . Diese kluge Entscheidung wird aber konterkariert durch den Verweis auf die sicheren Herkunftsländer im Sinne des § 29a AsylVfG, aus denen einE BerufseinsteigerIn nicht kommen darf, will sie eine Verlängerung der Duldung erwirken. Auch dies ist ein Gesetz gegen die Frauen und Männer aus dem Westbalkan, aus Ghana und dem Senegal. Perspektivisch werden wohl auch Kosovo und Albanien dazu gehören. Menschen aus diesen Regionen wird der Schutz des Paragraphen 60 a AsylVfG nicht zugestanden.
Besieht man das Alter der Menschen in Ausbildung, ist hier eindeutig eine Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention festzustellen. Mehrere Europäische Abkommen werden in Bezug auf Minderjährige verletzt.
Die Neuregelung der Abschiebungshaft (§ 62 AsylVfG) ist ausgesprochen pro­blem­a­tisch. So können jetzt Menschen in Haft genommen werden, die z.B. Geld an Fluchthelfer – Schlepper – zahlen mussten. Nach der Logik des Gesetzentwurfes be­deutet dies eine erhebliche Fluchtgefahr § 2 Abs. 14 Satz 4 AsylVfG. Es ist allgemein bekannt, dass die Einreise nach Europa oder gar Deutschland als Flüchtling fast ausnahmslos über solche Schlepperwege funktioniert, weil die EU sich abgeschottet hat. Dies dann als Beweis für die Fluchtgefahr zu deuten, ist wohl sehr perfide.
Die in der Dublin Verordnung Dublin III-VO in Art. 28 Abs. 2 angemahnte Ver­hältnismäßigkeit ist eindeutig und weit überschritten.
Auch die Wiedereinreise wird deutlich erschwert, da sie eigentlich gar nicht statt­finden soll. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das schon nach kurzen Über­schrei­tungszeiten der Ausreisefrist angewendet werden soll, macht es vielen Menschen schwer, sich wirklich gut auf eine Ausreise vorzubereiten; Familienmitglieder bleiben zurück, Ansprüche verfallen usw. Die Ausreisefristen liegen nach einer Asylan­trag­s­ablehnung zwischen drei und 30 Tagen. Da wird es eng mit der Planung. Neben der Abschiebung ist nun also auch die Wiedereinreise bis auf weiteres unerreichbar.
Nach § 11 Absatz 7 AsylVfG kann das Bundesamt für Migration und Flucht jetzt an den Ausländerbehörden vorbei Einreise- und Aufenthaltsverbote anordnen. Das ist neu. Traut das BAMF den Ausländerbehörden da wenig zu, oder traut es ihnen zu viel zu?
Diese Änderung ist eine weitere Verschärfung des Ausländerrechts. Zwar könnte die betroffene Ausländerbehörde das Verbot wieder aufheben, dies ist aber lediglich in der Gesetzesbegründung klargestellt und müsste in das Gesetz geschrieben werden.