Päpstliche Unterstützung für Demonstrationen in Heiligendamm ?
Aparecida, 15. Mai 2007
Zum ersten Mal melde ich mich aus dem brasilianischen Nationalheiligtum, dem Wallfahrtsort Aparecida, mit ein paar persönlichen Eindrücken vom Tag der Eröffnung der 5. Generalversammlung des lateinamerikanischen und karibischen Episkopats. Bis zum 31. Mai werde ich mit einer Reihe anderer FreundInnen und Bekannten genau beobachten und analysieren, was sich bei dieser Konferenz ereignet und welche Impulse für Theologie, Politik und Kirche in Deutschland von hier ausgehen könnten. Es ist jedenfalls sehr spannend zu verfolgen, was sich bereits in den ersten Tagen hier alles tut.
Heute beschränke ich mich auf die Eröffnungsrede des Papstes. Wir sind ja bereits daran gewöhnt, Ratzingers schöne Sprache auf ihren realen Gehalt hin zu prüfen. Dazu hatte Karl Rahner damals schon aufgefordert, als die beiden in Münster unsere theologischen Lehrer waren. Damals meinte Karl Rahner augenzwinkernd: Man muss Ratzingers „transzendentale Lieblichkeit“ besonders genau lesen. Diesen Rat will ich auch bei der Betrachtung dieser Rede befolgen. Ich beschränke mich auf ein paar Zitate, die ich als exemplarisch für die Licht- und Schattenseiten der Rede ansehe. Die ganze Rede wird man in deutscher Übersetzung sicherlich bald auf der Website des Vatikans (www.vatican.va) lesen können.
Die Lichtseiten der Rede also zuerst:
„Die Kirche ist Anwältin der Gerechtigkeit und der Armen, eben dann wenn sie sich weder mit Politikern noch mit Partei-Interessen identifiziert.“ Ohne an die für Heiligendamm geplanten Demonstrationen zu denken, lässt sich mit diesen Papstworten ein Motiv für die Demonstrationen umreißen. Noch ein weiteres Zitat lässt sich in diesem Sinne deuten: Das Phänomen der Globalisierung ist einerseits „eine Errungenschaft der gesamten Menschheitsfamilie und ein Hinweis auf den tiefen Wunsch nach Einheit, birgt in sich aber auch das Risiko großer Monopole und das Risiko, den Profit zum obersten Wert zu machen“.
Aber diese wenigen anregenden Sätze – und das sind nun die Schattenseiten – können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Botschaft des Papstes die Evangelisierung Amerikas auf eine Weise deutet, wie man sie nach der IV. Generalversammlung von 1992 in Santo Domingo nicht mehr erwartet hatte. Anders als noch Johannes Paul II., der 1992 von den Licht- und Schattenseiten der Evangelisierung gesprochen und im Schuldbekenntnis um Vergebung gebeten hatte; anders als das Schlussdokument der Bischofsversammlung von Santo Domingo, das seinerseits die „indigenen und afroamerikanischen Geschwister vor der grenzenlosen Heiligkeit Gottes“ um Vergebung gebeten hatte „für alles, was an Sünde, Unrecht und Gewalttat“ bei der Eroberung und Erstevangelisierung geschehen war – anders also als diese Dokumente des kirchlichen Lehramtes behauptete Papst Benedikt XVI. in seiner Eröffnungsrede: „Die Verkündigung Jesu und seines Evangeliums habe zu keiner Zeit die präkolumbischen Kulturen entfremdet oder ihnen eine fremde Kultur aufgezwungen.“ Das Conquista-Unternehmen als friedlich-freundliche Verkündigung zu kennzeichnen, aber alle Verbrechen die gegen die Kulturen der Ureinwohnerinnen verübt wurden, zu übergehen, muss man als ebenso schlimme historische Lüge brandmarken, wie der Versuch der heutigen ideologischen Rechten, die Vernichtung der Juden in Nazi-Deutschland zu leugnen. Obwohl er sich also in diesem Punkt von seinem Vorgänger und dem Lehramt der lateinamerikanischen Bischöfe absetzt, behauptet der Papst die Kontinuität zu den vorhergegangenen Konferenzen.
Nicht verwunderlich ist deshalb auch, dass die Reaktionen von Repräsentanten der Indígena-Völker nicht lange auf sich warten: Felix Patxi, ehemaliger Bildungsminister in der Regierung von Evo Morales/Bolivien erklärte öffentlich, dass die Aussagen des Papstes historisch einseitig seien: „Wir wissen aus der Geschichte, dass es sehr wohl eine gewaltsam aufgezwungene Evangelisierung gegeben hat; eine koloniale Epoche von Inquisition und Zerstörung. Alle Kirchen wurden auf den zerstörten Heiligtümern der indigenen Kulturen errichtet.“
Wie bereits bei der Rede in Regensburg scheint dem Papst hier wieder einmal ein verheerender Lapsus passiert zu sein, der sich auf die Dialogfähigkeit der Kirche und die Dialogbereitschaft der indigenen Kulturen belastend auswirken wird. Noch mehr solcher schwieriger Sätze lassen sich in der Rede finden. Deshalb wird es noch gründlicher Analyse in nächster Zeit bedürfen, um zu begreifen, was und wer wirklich hinter diesen Sätzen steht.
Zum Trost haben wir uns hier gesagt, dass die Rede – gracias a Dios – keine Verbote ausspricht; sie macht vielmehr den Raum der Debatte – wie sich an diesen wenigen Zitaten zeigt – weit auf. Vielleicht ist hier einer der nicht zu unterschätzenden Vorzüge der Rede zu entdecken. Wir können gespannt darauf sein, wie die Bischöfe und die Delegierten insgesamt bei ihren Beratungen in den nächsten Wochen damit umgehen.
Viele Basisgemeinden – wie auf den beigefügten Bilder ersichtlich – fordern eine Kirche, die unzweideutig die Option für die Armen und Ausgeschlossenen trifft. Sie behaupten keck: „Wir sind der CELAM“. Zugleich erinnern sie mit den Bildern an die Märtyrer dieser Kirche, die Ratzinger mit keinem Wort erwähnt hat.
Norbert Arntz, Münster
z.Zt. Aparecida/Brasilien