Aparecida/Brasilien, Freitag, 18. Mai 2007
Der Vorsitzende der Provinzialenkonferenz des Jesuitenordens in Lateinamerika Padre Ernesto Cavassa stellte in der Pressekonferenz am Donnerstag die Erwartungen seines Ordens an die 5. Generalversammlung des lateinamerikanischen und karibischen Episkopats vor: dass sich die Kirche Lateinamerikas gemeinsam den heutigen Problemen stelle, sie im Licht des Evangeliums deute und dann Wege in die Zukunft weise. Stellvertretend für den Generalsuperior P. Kolvenbach hatte er mit Zustimmung des Papstes die Aufgabe übernommen, den Jesuitenorden in der Konferenz zu vertreten.
Ich fragte ihn, wie er es interpretiere, dass kurz vor Beginn der Bischofsversammlung in Aparecida die beiden christologischen Werke seines Ordensbruders Jon Sobrino verurteilt worden seien.
Darauf legte Cavassa noch einmal dar, was wir längst wissen: Die „notificatio“ sei keine Verurteilung. Im Katalog der kirchenrechtlichen Maßnahmen stelle die Notifikation die niedrigste Kategorie einer Bekanntmachung dar, die das Kirchenrecht der Glaubenskongregation zur Verfügung stelle, um ihre Kritik am Werk eines Theologen darzulegen. Niemand dürfe behaupten, dass die Kirche das Zeugnis von Jon Sobrino ablehne. Deshalb formuliere die Notifikation auch keinerlei Sanktion. Schließlich habe Jon Sobrino seine Thesen zuvor von renommierten Theologen prüfen lassen, die keinerlei Dissens zu wesentlichen Lehraussagen der Kirche darin erkennen konnten.
Bemerkenswert jedoch fand ich, dass Cavassa darauf hinwies, dass die von der Glaubenskongregation aufgeworfenen Probleme eher mit europäischen theologischen Debatten zu tun hätten, und ergänzte: Es sei ja auch nicht das erste Mal, dass man so mit Theologen umgegangen sei; das sei vielmehr ein Dauerproblem zwischen Charisma und Institution. Häufiger habe die Kirchenleitung bei Theologen vermeintliche Irrtümer festgestellt. Man brauche nur an die 50er Jahre zu denken. Damals seien eine Reihe von Theologen verurteilt worden, die 10 Jahre später als anerkannte Theologen beim II. Vatikanischen Konzils mitgewirkt hätten.
Aus dem, was Cavassa da sagte, kann man also durchaus den Schluss ziehen, dass in zehn Jahren festgestellt wird, die Glaubenskongregation habe sich im Irrtum und Jon Sobrino im rechten Glauben befunden.
Dieser Vorgang auf der Pressekonferenz ist kein Einzelfall. Die Befreiungstheologie ist zum Dauerbrenner auf den Pressekonferenzen geworden: Mittwoch im Gespräch mit Kardinal Oscar Rodriguez von Honduras, am Dienstag bei engagierten Laien und Experten, die Mitglieder der Konferenz sind. Zu keinem Moment und von keinem offiziellen Gesprächspartner in den Pressekonferenzen gab es bisher eine ausdrückliche Distanzierung von der Befreiungstheologie. Im Gegenteil: Kardinal Oscar Rodriguez von Honduras legte sogar ausführlich dar, dass es nicht nur vorbereitende Gespräche für die Konferenz auch mit Befreiungstheologen u.a. mit Gustavo Gutierrez gegeben habe, sondern dass die Gruppe „Amerindia“ die Konferenz aktiv begleite und mit den Mitgliedern der Bischofsversammlung im Kontakt stehe. Man könne also keinesfalls behaupten, dass Konferenz und Befreiungstheologen in Opposition zueinander stünden. Man müsse vielmehr feststellen, dass sie sich in einem fruchtbaren Dialog miteinander befinden.
Diese Feststellung des Kardinals Rodriguez steht in klarem Widerspruch zur Behauptung des neuen Erzbischofs von Sao Paulo, Odilo Scherer, der kurz vor der Eröffnung der Generalversammlung öffentlich erklärt hatte, die Befreiungstheologie sei tot.
Bei den Pressegesprächen, bei der Beratung der Konferenzteilnehmer, beim theologischen Kongreß an diesem Wochenende in der Nähe von Aparecida erweist sich die Befreiungstheologie als höchst lebendig.
In unmittelbarer Nähe des Konferenzortes haben Vertreter der Sozialpastoral aus vielen lateinamerikanischen Ländern ein „Zelt der Märtyrer“ errichtet. In ihm werden Themen wie Arbeitslosigkeit, Gewalt und gesellschaftlicher Ausschluss diskutiert; gebetet und jeden Abend finden Gottesdienste statt.
Inzwischen haben darüber hinaus einige Mitglieder der Bischofsversammlung die Initiative ergriffen, die Konferenz möge gemeinsam den Papst bitten, Bischof Oscar Arnulfo Romero bald seligzusprechen.
Norbert Arntz/ z.Z. Aparecida