Katholische Hilfswerke und der Wille, etwas zu bewegen
von Maria Brinkschmidt
Wie politisch ist die Arbeit der katholischen Hilfswerke? Wie politisch ist ihre Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit? Diese Fragen bewegen mich im Rahmen der Studie „Politisches Handeln als weltkirchliche Aufgabe“, in der ich die Jahresaktionen und Kampagnen der MARMICK-Werke von 2009 bis 2013 untersuche – also der sieben großen Hilfswerke Misereor, Adveniat, Renovabis, Missio Aachen, Missio München, Caritas international und Kindermissionswerk „Die Sternsinger“. Diese Werke unterscheiden sich in ihrem Auftrag (missionarisch-pastoral und entwicklungsbezogen) und in den Regionen ihrer Projektarbeit (Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa).
Hinsichtlich ihres Auftrags sei festgehalten: Seit dem 2. Vatikanischen Konzil gehört der Einsatz für die Armen zum Kern jedes missionarisch-pastoralen Handelns. Demnach kann die Mission der Kirche aus theologischer Sicht nicht länger in religiöse und politische Handlungsfelder aufgeteilt werden. Aus politischer Sicht wiederum kann keine Organisation politisch neutral agieren. Entweder sie stabilisiert durch ihr Handeln den Status quo ungerechter Verhältnisse oder sie trägt zu deren Veränderung bei. Es fällt auf, dass die Materialien der Jahresaktionen, die sich an die Gemeinden wenden, den politischen Aspekt weitgehend ausblenden. Auch die Fastenaktion von Misereor – einem Hilfswerk, das dezidiert einen politischen Auftrag zu erfüllen hat – ermutigt vor allem zur Spende und nur ausnahmsweise zu politischem Engagement. Gleichzeitig weisen die an ein Fachpublikum adressierten Publikationen (Fachzeitschriften, Studien etc.) der Werke eine recht deutliche politische Komponente auf. Warum aber sprechen die weltkirchlichen Organisationen das Fachpublikum auf politische Art und Weise an, während die Gemeindemitglieder fast ausschließlich als Spender gesehen werden? Anscheinend überwiegt die Sorge, dass verstärktes politisches Engagement zu einem Rückgang der Spendeneinnahmen in den Gemeinden führen könnte – einem Rückgang, der in Zeiten scharfer Konkurrenz auf dem Spendenmarkt nicht hinnehmbar erscheint. Diese Annahme ist bisher allerdings nicht empirisch belegt. Die Erfahrungen von Misereor aus den Jahren 1983 (Südafrika-Kampagne) und 1996 (Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“) zeigen sogar, dass durch öffentlichkeitswirksame politische Aktionen die Spenden nicht sinken, sondern steigen können.
Überdies nehmen die Werke in der Öffentlichkeit durchaus – wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße – ihre politische Aufgabe als Anwalt für die Armen wahr. Es wäre ein viel versprechender Weg, wenn sie dieses Engagement in die Gemeinden hinein kommunizieren und die kirchliche Basis zur Unterstützung dieser Arbeit motivieren würden. Daneben arbeiten die Hilfswerke in ihrer politischen Arbeit bisher (fast) nicht mit ihren Geschwisterwerken zusammen. Zur Erfüllung des gemeinsamen Auftrags wäre es allerdings sinnvoll, wenn sie sich im Verbund der MARMICK von Zeit zu Zeit mit konzertierten Aktionen an die (kirchliche) Öffentlichkeit wenden würden.
Schließlich können die Lebensbedingungen der Armen weltweit nur dann dauerhaft verbessert werden, wenn neben der finanziellen Projekthilfe die ungerechten Rahmenbedingungen behoben werden. Mit den Worten von Papst Franziskus: „Die Notwendigkeit, die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben, kann nicht warten […]. Die Hilfsprojekte, die einigen dringlichen Erfordernissen begegnen, sollten nur als provisorische Maßnahmen angesehen werden.“ (Evangelii Gaudium 2013, 202). Es geht also nicht nur um den Transfer finanzieller Mittel in Hilfsprojekte (so wichtig diese Aufgabe auch bleibt), sondern vor allem darum, strukturelle Missstände anzuprangern und auf deren Veränderung hinzuwirken – eben politisch zu handeln. Dies ist den Hilfswerken allerdings nur möglich, wenn die kirchliche Basis solch eine Arbeit gutheißt und aufgreift. Deshalb sollten die weltkirchlich Engagierten in den Gemeinden und Diözesen die Werke bei ihrer politischen Arbeit unterstützen und entsprechende Aktionen mittragen sowie vor Ort dafür werben.
Maria Brinkschmidt, Dr. theol., wurde im Fach Christliche Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster promoviert. Ihre Studie „Politisches Handeln als weltkirchliche Aufgabe. Eine Analyse der Inlandsarbeit katholischer Hilfswerke“ ist im August 2016 im Ferdinand-Schöningh-Verlag, Paderborn, erschienen.