„…wie Kirche praktisch sein kann“ – Erfahrungen einer Kirchenasyl-Unterstützerin
von Benedikt Kern
Katja Ludwig betreut ehrenamtlich Geflüchtete in Reichshof im Oberbergischen Kreis. Dort lernte sie den 28-jährigen Herrn F. aus Kulaura in Bangladesch kennen. Er war aus seinem Land geflohen, weil er dort aufgrund seines Engagements als Regionalvorstand in einer Oppositionspartei verfolgt wurde. Er hatte Studierenden-Demonstrationen organisiert, die seitens der Regierung massiv bekämpft wurden. Herr F. wurde mehrfach von gewalttätigen Mitgliedern der Regierungspartei körperlich schwer verletzt , seine Familie wurde immer wieder bedroht, das Haus verwüstet, seine Farm abgebrannt und sein befreundeter Kollege ermordet. Gegen ihn wurden mehrfache Anzeigen durch die regierende Partei erstattet. Da Bangladesch extrem korrupt ist, hat die Regierung freie Hand, gegen ihre Gegner auf üble Weise vorzugehen. Bis heute wird seine Familie immer wieder bedroht und das Haus verwüstet, um durch Einschüchterung den Aufenthaltsort von Herrn F. herauszufinden.
Im Juni 2015 drohte ihm aufgrund des Dublin-Abkommens die Rückführung nach Frankreich, wo er erstmals in der EU registriert worden war. Allerdings lagen zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Frankreich Herrn F. noch nicht alle gerichtlichen Unterlagen vor und sein Antrag würde nicht mehr für ein weiteres Mal geprüft werden.
Doch zum Zeitpunkt der Rückführung war in Bangladesch ein Gerichtsverfahren gegen Herrn F. abgeschlossen und die Unterlagen, die seine Situation verdeutlichten, auf dem Postweg. Daher brauchte Herr F. eine Möglichkeit, die Frist zu überbrücken, um nicht wieder nach Frankreich abgeschoben zu werden und dann eine Chance auf eine faire Bearbeitung seines Verfahrens in Deutschland zu erhalten.
Katja Ludwig wandte sich, da sie die Institution des Kirchenasyls entfernt kannte, daraufhin an Tobias Zöller, den Pfarrer des Seelsorgebereiches Morsbach – Friesenhagen – Wildbergerhütte. Dieser erwies sich glücklicherweise als unkonventionell, lösungsorientiert, unbürokratisch und schnellstmöglich bereit, ein Kirchenasyl einzurichten. Als sich nach längerer Suche diese Möglichkeit in Lichtenberg für das Kirchenasyl ergab, waren alle Beteiligten darüber sehr erfreut, da die Zeit drängte.
Zusammen mit ihrer Kollegin betreute Frau Ludwig Herrn F. während des Kirchenasyls. Sie redeten, lachten, weinten viel miteinander, kauften für ihn ein und versuchten ihm seine Zeit erträglich zu gestalten.
„Um ehrlich zu sein war gerade die Zeit des Kirchenasyls eine Erfahrung für mich, wie Kirche tatsächlich praktisch sein kann. Ein Mensch in höchster Not wurde aufgenommen und bekam Geborgenheit. Hier wurde überhaupt nicht gewertet, ob dieser Mensch Christ ist oder ob wir als Helfer Gemeindemitglieder sind“, berichtet Katja Ludwig über ihr Engagement. Sie sei besonders beeindruckt davon, dass Herr F., der Muslim ist, in der Zeit seines Kirchenasyls den Ramadan hielt – dies entspräche der Toleranz gegenüber Muslimen, die sie sich von „ihrer“ christlichen Kirche wünsche.
Nach anfänglichen Ängsten, die Herr F. bald überwunden hatte, ging es ihm und seinen Unterstützerinnen gut mit der Situation des Kirchenasyls. Dennoch war für Katja Ludwig und ihre Familie diese Zeit mit sehr großem Aufwand verbunden: Sie nahm jeden Tag die 15minütige Autofahrt zur Kirche in Kauf, verbrachte viel Zeit mit Herrn F. und es war nicht immer einfach, sich zu organisieren, da sie und ihre Kollegin nur zu zweit in der Unterstützung aktiv waren.
Sehr berührend ist, wie Katja Ludwig ihr Verhältnis zu dem jungen Geflüchteten beschreibt: „In der Zeit des Kirchenasyls rückten wir ‚zwangsläufig‘ näher zusammen. Herr F war anfangs sehr ängstlich, er war noch nie allein gewesen, hatte ständig Sorge darum, dass jemand käme, um ihn zu holen und nach Frankreich zu bringen und er hatte keinerlei Erfahrungen mit der christlichen Kirche. Es fiel ihm sehr schwer, uns um Einkäufe zu bitten und zu wissen, dass wir Zeit allein für ihn investierten. Mit der Zeit wurde aber auch das einfacher. Rückblickend kann ich sagen, dass ich wohl kaum einen Menschen außerhalb meiner Familie so eng kennen gelernt habe. Es besteht ein sehr enges Vertrauen von beiden Seiten, das ich in dieser Form noch nie erlebt habe, selbst meine Freunde erlebe ich ja selten so privat und auch emotional offen wie Herrn F. in dieser Zeit.“ Sie sei sich sicher, dass sie diese Zeit sehr geprägt habe und hoffe sehr, dass Herr F. ein dauerhafter Freund ihrer Familie bleibe.
Aus der Kirchengemeinde fand sich nach einiger Zeit eine Dame, die sich bereit erklärte, Herrn F. Deutschunterricht zu geben, da er ja keinen Kurs besuchen konnte. Um Herrn F rechtlich zu unterstützen, wurde frühzeitig ein Anwalt für Asylrecht engagiert, der sich besonders auf die Länder Pakistan, Bangladesch und Indien spezialisiert hatte. Nach Verstreichen der Rückführungsfrist wandte dieser sich an das BAMF, mit dem Erfolg, dass Deutschland die Zuständigkeit erklärte und das Asylverfahren eröffnete. Somit wurde das Kirchenasyl im Januar 2016 beendet.
Katja Ludwig macht ohne Zögern deutlich, dass es schlimm ist, „dass Menschen durch das System immer wieder ungerecht behandelt werden und aus eigener Kraft nichts dagegen tun können. Wenn es dann darum geht, Zeit zu gewinnen, kann ein Kirchenasyl notwendig sein, um Gefahr für Leib und Leben dadurch abzuwenden. Schlimm genug, dass das in unserem Rechtsstaat, an den ich eigentlich glaube, erforderlich werden kann…“ Und von den positiven Erfahrungen zehrend fährt sie fort: „Mit einer Kirchengemeinde, die ein Kirchenasyl möglich macht, wäre ich sehr gern bereit, mich wieder zu beteiligen.“
Veröffentlicht in: Institut für Theologie und Politik/Netzwerk Kirchenasyl Münster (Hg.), KIRCHEN.ASYL, Eine Handreichung. Münster 2016. S. 64-69. Bestellbar unter: buecher[at]itpol.de