Die Aussatz-Thora und die Heilung eines Aussätzigen bei Markus
In beiden Texten geht es um das Phänomen des Aussatzes, der in der Antike und damit auch in Israel zu den gefürchteten und seuchenartig sich ausbreitenden Krankheiten gehörte. Beim näheren Durchsehen der biblischen und auch der außerbiblischen Texte wird sichtbar, dass „Aussatz“ ein Sammelbegriff ist, mit dem, medizinisch eher unscharf, ein ganzes Spektrum von Hautkrankheiten bezeichnet wird, die von der Lepra bis zu verschiedenen Formen von Hautausschlag und der Schuppenflechte reichen.
1) Die Lesung aus dem Buch Levitikus (Lev 13,1-2 u.43-46)
2) Das Evangelium nach Markus (Mk 1, 40-45)
Levitikus:
13,1 Und der Herr redete mit Mose und Aaron und sprach: 2 Wenn bei einem Menschen an seiner Haut eine Erhöhung oder ein Ausschlag oder ein weißer Flecken entsteht und zu einer aussätzigen Stelle an der Haut wird, soll man ihn zum Priester Aaron führen oder zu einem seiner Söhne, den Priestern.
13, 43 Wenn ihn der Priester nun besieht und findet, dass eine weißrötliche Erhöhung an seiner Glatze ist, dass es aussieht wie sonst Aussatz auf der Haut, 44 so ist er aussätzig und unrein, und der Priester soll ihn für unrein erklären; er hat Aussatz an seinem Kopf. 45 Wer nun aussätzig ist, soll zerrissene Kleider tragen und das Haar lose und den Bart verhüllt und soll rufen: Unrein, unrein! 46 Und solange die Stelle an ihm ist, soll er unrein sein, allein wohnen, und seine Wohnung soll außerhalb des Lagers sein.
Markus:
40 Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen. 41 Und es jammerte ihn, und er streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will’s tun; sei rein! 42 Und alsbald wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein. 43 Und Jesus bedrohte ihn und trieb ihn alsbald von sich 44 und sprach zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst; sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis. 45 Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen, sodass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; und sie kamen zu ihm von allen Enden.
A) Allgemeine Hinführung:
In beiden Texten geht es um das Phänomen des Aussatzes, der in der Antike und damit auch in Israel zu den gefürchteten und seuchenartig sich ausbreitenden Krankheiten gehörte. Beim näheren Durchsehen der biblischen und auch der außerbiblischen Texte wird sichtbar, dass „Aussatz“ ein Sammelbegriff ist, mit dem, medizinisch eher unscharf, ein ganzes Spektrum von Hautkrankheiten bezeichnet wird, die von der Lepra bis zu verschiedenen Formen von Hautausschlag und der Schuppenflechte reichen. Es ist aber zumindest übertrieben, davon zu sprechen, wie es der Kommentator im „Paulinus“ (Nr.7, S.6) tut, dass die Menschen den „Aussatz“ damals für todbringend hielten und daher das Abstandhalten, das uns gerade aktuell so bekannte social-distancing, aus Angst vor Ansteckung als überlebensnotwendig angesehen wurde. Dagegen spricht auch, dass in den nachher zu behandelnden Bestimmungen des Buches Levitikus auch an eine Heilung und Rückkehr des Geheilten ins öffentliche Leben gedacht. Der medizinische Ratgeber Pschyrembel (Sp.865-867) behandelt nur die Lepra und führt „Aussatz“ nur als altertümliche Bezeichnung für Lepra auf, wobei die Ansteckungsgefahr bei Lepra allerdings ziemlich heruntergespielt wird. Natürlich dürfen wir aber nicht unsere heutigen medizinischen Erkenntnisse in die alten Texte hineinlesen. Wenden wir uns nun den beiden Texten zu.
B) Das 13. u. 14. Kapitel des Buches Levitikus, des dritten Buches der Tora, enthält sehr ausführliche und differenzierte Bestimmungen zum Umgang mit Aussatz und Aussätzigen, so dass man sie in Fachkreisen auch gerne als die „Aussatz-Tora“ bezeichnet.
Eine vorrangige Rolle spielt dabei das Problem des Zusammenhangs von ansteckender Krankheit und kultischer Reinheit, womit gleichzeitig angezeigt wird, dass es auch schon damals nicht nur um den medizinischen Aspekt, sondern um die sozialen Beziehungen geht, im Unterschied zu heute aber vor allem der Bezug zur Dimension des Kultes und des Gottesverhältnisses eine Rolle spielt. Das reicht bis zu der Frage, ob Krankheit eine Strafe für eine Schuld vor Gott ist, sodass in unserem Textfragment durchgehend von unrein und nicht von krank die Rede ist. Dann wird auch verständlich, wieso die Priesterschaft über die dreifache Kompetenz und die damit verknüpfte Anordnungsmacht 1) einer medizinischen Diagnose, 2) des sozialen Ausschlusses und 3) der Zulassung zum Kult verfügt.
Die Priesterschaft stellt daher, in heutigen Kategorien formuliert, so etwas wie eine Einheit von Gesundheitsamt und Ordnungsamt und Regierung in einem dar und konzentriert damit eine enorme Dichte an normativen Befugnissen in ihren Händen. Die kultische Reinheit wird dabei zur dominierenden Problemgröße. Um deren Gewährleistung – nicht vorrangig um das Anstreben einer Heilung, obwohl diese als Möglichkeit berücksichtigt wird – geht es bei den geschilderten Prozeduren in erster Linie. Bei diesem Ungleichgewicht wird dann auch das Vorgehen Jesu ansetzen, wie uns die nachher folgende Geschichte aus dem Markus-Evangelium zeigen wird.
Die fast schon kleinlichen und für uns heute umständlich wirkenden Bestimmungen der Aussatz-Tora insgesamt offenbaren aber wichtige Aspekte der ganzen Problematik:
1. Es gibt eine eindeutige Identifikation von Krankheit und Unreinheit.
2. Damit entsteht eine zweifach gegebene Angst vor Ansteckung, d.h. die Angst davor, sozial isoliert zu werden und vom Bündniskult vor Gott ausgeschlossen zu werden.
3. Das Bemühen um eine penible Erforschung der Krankheitssituation und der entsprechenden Symptome liegt im mehrfachen Sinne im Interesse der Führungsschicht. Wahrscheinlich will sie sich aber auch nicht vom Volk – fast genau wie bei uns – den Vorwurf einhandeln, fahrlässig gehandelt zu haben.
4. Die brutalen religiösen und sozialen Konsequenzen der Feststellung des Befundes für die dann Ausgegrenzten, bis hin zur Brandmarkung dieser Personen, führen langfristig – wenn nicht frühzeitige Rettung eintritt – zur Vernichtung der sozialen Existenz der Betroffenen.
5. Die Herrschaftsförmigkeit des auf die Priesterschaft konzentrierten Wissens und der damit verknüpften Verfügungsgewalt ist unbestreitbar, auch wenn diese Macht eine positive Auswirkung haben kann, wenn der Priester eine Heilung feststellt und den Ausgeschlossenen wieder in die Gemeinschaft aufnimmt.
Markus
C) Unser heutiger kleiner Text aus dem Markusevangelium schildert nach dem ereignisreichen Tag in Kafarnaum mit der „Heilung eines Aussätzigen“ eine Episode aus dem Wirken Jesu in Galiläa, um Jesus dann aber mit Beginn des 2. Kapitels wieder nach Kafarnaum zurück kehren zu lassen, wo er doch offensichtlich eine Bleibe hatte.
Die Szene der Verse 40 bis 43 ist geprägt von einer fast atemberaubenden Ereignisdichte und Klarheit und vor allem Effizienz, worauf es ja schließlich ankommt. Lassen wir sie noch einmal auf uns wirken, indem wir in Kurzform die eindrucksvollen Worte Jesu wiederholen, mit denen er die Vollmacht des Messias artikuliert : “Ich will. Sei rein!“
Jesus wird von dem Hilfeschrei des Aussätzigen zu tiefst angerührt, in seinem Innersten berührt. Er wendet sich dem Hilfesuchenden zu und berührt ihn mit seiner Hand. Seine innere Rührung äußert sich in einer nicht ungefährlichen aktiven Berührung des Aussätzigen. Jesus könnte sich auch selber anstecken. Er geht das Risiko ein.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das eben zur Aussatztora Ausgeführte, dann wird nachvollziehbar, wie absolut provokativ Jesus hier agiert. Der Text schwächt dies keineswegs ab, sondern informiert uns darüber, dass Jesus sehr wohl die Aussatztora kennt und daher nicht aus mitleidigem, unüberlegtem Gutmenschentum heraus handelt. Vielmehr weiß er ganz genau, was er tut, wenn er die bekannten Kontaktverbote übertritt. In Anerkennung der Vorschriften veranlasst er daher den Geheilten, sich die amtliche Bescheinigung des Geheiltseins, wie im Gesetz vorgeschrieben, bei den Priestern zu besorgen. Alles soll seinen geregelten Gang haben, auch wenn wir Jesus dabei eine gewisse Ironie unterstellen dürfen, ohne ungebührlich unsere eigene Einstellung zu den Herrschenden in den Messias Jesus zu projizieren. Eines aber ist sicher: Es geht Jesus nicht um eine punktuelle Durchlöcherung der Kontaktverbote, es geht ihm um die umfassende Wiederherstellung des Heilseins der Menschen und das ist weit mehr als die Rettung des „nackten Lebens“ (so der Philosoph Giorgio Agamben).
Wie des öfteren bei Markus, der immer wieder das sogen. Messiasgeheimnis durchscheinen lässt, schnauzt Jesus den Geheilten an und erteilt ihm Redeverbot. Klar ist, dass Jesus eine nur Missverständnisse produzierende Wunderpropaganda verhindern will. Aber umgekehrt will er doch eine schnelle Ausbreitung der Frohen Botschaft vom Reiche Gottes. Der Geheilte hält sich nicht an das Redeverbot Jesu. Er kann nicht anders, als seine Auferstehung aus dem sozialen Tod heraus zu schreien, oder etwas sanfter formuliert: „Er verbreitete das Wort“, wie es in V.45 heißt. Das wird ihm Jesus sicher nicht übelgenommen haben. Denn er hat einen neuen „Verkündiger“ dazu gewonnen.
Markus wird dann in seinem Evangelium immer präziser benennen, was er mit seinen Heilungserzählungen und Wundergeschichten bezweckt. Er will erkennbar und nachvollziehbar machen, dass in der revolutionären Praxis Jesu bis hin zu seinem Umgang mit der Tora, die er erfüllen und nicht abschaffen will, eine Überwindung des Todes vorbereitet wird, die einen Namen hat: Auferstehung!
Wer daran glaubt, ist nicht besiegbar, von keinem Regime, von keinem Ausnahmezustand, von keiner Angst vor der Angst. Die Revolutionäre im damaligen Nicaragua wussten es noch, wir scheinen es vergessen zu haben.
Kuno Füssel
zum download: Fasten_2