Als am 02.05. vermutlich Osama Bin Laden von US-Spezialkräften mit zwei gezielten Kopfschüssen ermordet wurde, reagierte die deutsche Bundeskanzlerin darauf mit den Worten: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.“ Spätere Pressemeldungen hielten sich dann eher an die Aussage von Westerwelle, dass die Regierung darüber „erleichtert sei“, dass Bin Laden tot sei. Der Vatikan dagegen erklärte: „Bin Laden habe die Religion für diese Zwecke instrumentalisiert. Dennoch sei der Tod eines Menschen für einen Christen niemals Grund zur Freude. Vielmehr gelte es, über die große Verantwortung eines jeden vor Gott und den Mitmenschen nachzudenken“, so der Vatikan-Sprecher.
Nun sind die Erklärungen des Vatikan weiss Gott keine Autoritätsargumente, aber in diesem Falle entlarven sie doch das Ende der Politik und des Rechts, oder besser: das Ende der Scham westlicher Politik, ihre Interessen jenseits von politischen und rechtlichen – und nicht zuletzt auch ethischen Grundsätzen durchzusetzen und zu propagieren.
Jenseits des Rechts: Ausnahmezustand, Feindstrafrecht und Völkerrecht
Der Staatsrechtsphilosoph Carl Schmitt hatte behauptet: „Souverän ist, wer über den Ausnahmnezustand herrscht“. Heute leben wir unter globalpolitischen Situationen, in denen es sog. Demokratien nicht einmal mehr nötig haben, den Ausnahmezustand zu erklären, geschweige denn ihre offene Freude über ihre faktische Macht zur willkürlichen Verfügung über den Ausnahmezustand zu verbergen. Ich glaube auch nicht, dass die Ermordung Bin Ladens im problematischen Begriff des Feindstrafechts gefasst werden kannn, das der deutsche Jurist Günther Jacobs konzipiert hat. Danach können die Rechte als Bürger und Person demjenigen aberkannt werden, der seinerseits die Staatsordnung ablehnt. Aber abgesehen davon, dass die Aussetzung des Rechts das Recht selbst aussetzt, weil es seine eigene genuine Funktion, Menschen vor Staaten und Institutionen zu schützen, aussetzt, war Bin Laden ja der Staatsordnung der USA gar nicht unterworfen, das us-amerikanische Recht konnte insofern gegen ihn gar nicht ausgesetzt werden. Auch die Vermutung des deutschen Juristen Markus Kotzur, dass die Militäraktion durch das Völkerrecht gedeckt sei, weil „die Souveränität Pakistans nicht eingeschränkt gewesen sei, ist ein Witz. Denn das Völkerrecht regelt nun mal lediglich die Beziehungen zwischen Völkern und Nationen (mit Ausnahme des sog. Humanitären Völkerrechts bezgl. Diskriminierung, Folter etc.).
Wie auch immer man es dreht und wendet: Es gab weder eine juristische Grundlage noch gibt es eine juristische Konstruktion, mit der man das Vorgehen der USA und die Reaktionen z.B. der deutschen Kanzlerin Merkel legitimieren könnte. Die USA und alle, die nun die Legitimität der kill-mission unterstreichen, offenbaren zugleich, dass sie bereit sind, für ihre Interessen jede Form von Recht zu supendieren.
Trauma und Menschenopfer
„New York feiert gegen sein Trauma“ titelt die Zeit, die USA könnten jetzt ihr Trauma heilen, heisst es anderswo. Ein Trauma, eine Wunde geschlagen, die die psychischen Belastungsgrenzen der Opfer übersteigen und das Selbst -und Weltbild belasten und Gefühle von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe hervorrufen. Nun, so gesehen bestand das us-amerikanische Weltbild dann wohl tatsächlich aus Unangreifbarkeit und Unverletzlichkeit der Nation. Und wenn Präsident Obama erklärt, der Gerechtigkeit sei jetzt Genüge getan, wohl auch darin, dass die nord-amerikanischen Verhältnisse die Inkarnation der Gerechtigkeit gewesen seien. Das Gefühl der Hilf- Schutz -und Würdelosigkeit, dass durch die terroristischen Anschläge vom September 2011 ausgelöst wurde, ist durchaus für jeden nachvollziehbar, der physischen und psychischen Ungerechtigkeitshandlungen ausgesetzt ist. Wieso sich dies aber in den USA zu einem nationalen Trauma ausarbeitet, kann wohl nur verstanden werden, wenn man das seinerseits neurotische Selbstverständnis, der Hort der Gerechtigkeit zu sein, voraussetzt. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich auch verstehen, warum das Trauma mit der Ermordung Bin Ladens bearbeitet wurde. Der Irrationalität eines Selbstverständnisses, die Inkarnation (Verkörperung) der Gerechtigkeit zu sein, folgt dann die Irrationalität des Glaubens, diese Verkörperung durch den Tod wiederherstellen zu können. Die Ermordung Bin Ladens ist der typische Fall eines Menschenopfers, das der Re-Divinisierung der us-amerikanischen Nation dient – und wohl nicht zuletzt auch deshalb kill-mission genannt wurde.
Hass und Gewalt
„Der Tod eines Menschen kann niemals Grund zur Freude sein.“ Diese Erklärung des Vatikans umgreift auch noch die Fälle, in denen die Tötung von Menschen möglicherweise einer ethischen Rationalität folgt, wie z.B. in der Theorie des gerechten Krieges. Sie gilt aber noch viel mehr für Fälle der ungerechtfertigten Tötung von Menschen wie im Falle Bin Ladens, die jedenfalls Blick auf ihre juristischen Voraussetzungen und ethischen Implikationen nicht begründ- und legitimierbar ist, allenfalls im Blick auf das geostrategische Interesse der USA, mit der Ermordung ihren Machtanspruch auch symbolisch zu artikulieren.
Gewalt, so unsere christliche Überzeugung, schlägt immer auch gegen die Ausübenden zurück. Selbst dort, wo diese keine Täter im engeren Sinn sind, wie z.B. im Falle legitimer Gewaltanwendung bei (inidividueller oder kollektiver) Selbstverteidigung. Es bleibt immer Gewalt. Der Triumph, der am Sarg des Gegners steht und nicht mindestens durch die Trauer über die Niederlage der Gewaltfreiheit gebrochen ist, ist zugleich eine Niederlage der Menschlichkeit. Die Tötung Bin Ladens und seine wohl bewusst würdelose Versenkung im Meer ist eine solche Niederlage . Ihr liegt ebenso wie der Praxis Al Quaidas eine gewalttätige Logik zugrunde. Und das giilt nicht nur für Obama, sondern auch für Bundeskanzlerin Merkel: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.“