In der Nacht vom 20.9. auf den 21.9.2011 erschienen in dem Hotel Van Garden, in dem unsere Delegation untergebracht ist, um 1 Uhr 10 Zivilbeamte in einem Panzerwagen mit einer staatsanwaltlichen Anordnung, unsere Mitglieder Martin Glasenapp (Mitarbeiter von medico international) und Martin Dolzer (Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Heidrun Dittrich/Die Linke) vorzuführen. Der Vorwurf: Propaganda für eine terroristische Vereinigung, der mit 3 bis 12 Jahren Haft laut türkischem Strafgesetzbuch geahndet werden kann. Der Hintergrund: Am Vormittag des 20.9. hatten Martin Glasenapp und Martin Dolzer unter anderen auf der gemeinsamen Pressekonferenz in einem öffentlichen Park mit dem Menschenrechtsverein IHD Van und der Partei BDP, die den Bürgermeister stellt, aus Anlass der Abreise der Delegation aus Van nach Bitlis und Diyarbakir gesprochen.
Die beiden Delegationsmitglieder wurden auf dem Polizeirevier zur Befragung vorgeführt und circa jeweils 3 Stunden verhört. Begleitet wurden sie von einem Anwalt des IHD Van und einer Übersetzerin. Eine Anwältin des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV), die Mitglied der Delegation ist, wartete zusammen mit anderen Mitgliedern der Delegation und des IHD die gesamte Nacht vor dem Polizeihauptquartier Van. Um 7.30 wurden die Vorgeführten wieder entlassen. Die Polizeibeamten hatten sie vor dem Verhör und nach dem Verhör ins Krankenhaus gebracht, um ihren Gesundheitszustand zwecks möglicher Folterungen von einem Arzt attestieren zu lassen.
Die Delegation weist die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft aufs Schärfste zurück. Es ist bezeichnend und lächerlich, wenn ein Polizeibeamter im Jahre 2011 in einem Verhör die Frage stellt: „Was ist Kurdistan?“. Offensichtlich ist aber, dass der türkische Staat die Arbeit der Delegation ernst nimmt und versucht einzuschüchtern. Wir werten das Erfolg unserer Anwesenheit und öffentlichen Präsenz in Van. Wir werden unsere Arbeit fortsetzen und uns nicht einschüchtern lassen. (Erklärung der Delegation).
Bereits am Freitag zuvor war die Delegation durch Militär am Besuch des Sammelgrabes gehindert worden, in dem die Leichen der extralegal Hingerichteten Deutschen Andrea Wolf und anderer PKK-Kämpfer vermutet werden. Sie waren nach einem Gefecht mit der türkischen Armee gefangen genommen, erschlagen und ihre Leichen geschändet worden. Dass der türkische Staat jetzt so aggressiv reagiert, dürfte mit zwei Dingen zusammenhängen: Zum einen gibt es erstmals Augenzeugen, die zur Aussage bereit sind, zu manderen dürfte diese Angelegenheit das mühsam konstruierte Bild der demokratischen Türkei gefährden. Zumal der europäische GErichtshof für Menschenrechte die Türkei bereits 2010 wegen fehlenden Aufklärungswillens zu einer Geldstrafe verurteilt hatte und die Beweislage für die Kriegsverbrechen als ernst bezeichnet hatte.
Trotz der ständigen massiven Beobachtung durch Geheimdienst und Polizei hatte die Delegation am Freitag ein anderes Sammelgrab besucht. Hier waren zwei PKK-Mitglieder nach Angaben der Bevölkerung ebenfalls nach ihrer Festnahme getötet worden: Eine Kämpferin wurde vorher vergewaltigt, ein Mann wurde enthauptet, sein Kopf der Bevölkerung zur Schau gestellt.