Gestern morgen, am 27.März, ist José Comblin gestorben. José Comblin war Befreiungstheologe der ersten Stunde – und er war es bis zum Schluss.
Er wurde am 22 März 1923 in Belgien geboren, 1947 zum Priester geweiht und ging 1958 als Missionar nach Brasilien. Vermutlich wird er schon in Belgien Kontakt zur Christlichen Arbeiterjugend, zur Theologie Chardins gehabt haben. In Brasilien jedenfalls arbeitete er in den ersten Jahren im Staat São Paulo für die dortige Katholische Arbeiterjugend. 1965-1971 war er Mitarbeiter des“roten Bischofs“ Dom Hélder Câmara. Seine missionarische Leidenschaft galt immer der Bekehrung des Klerus und der Organisation der Laien im Kampf gegen Diktaturen und Ungerechtigkeit. Deshalb wurde er auch 1971 verhaftet und deportiert. In Chile setzte er seine Arbeit fort: Seminaraufbau, Basisgemeinden unterstützen und: die Wahrheit aussprechen. Wegen einer Publikation über die Doktrin der nationalen Sicherheit in Chile wurde er, diesmal von Diktator Pinochet, ausgewiesen. Er kehrte mit einem Touristenvisum nach Brasilien zurück, sein Status wurde 1979 aufgrund des Amnestiegesetzes legalisiert.
José Comblin war Missionar und Pastoraltheologe: Ihm ging es um die Organisation der Menschen im Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit. Er setzte seine Hoffnung auf die Reformfähigkeit der katholischen Kirche, wie sie sich vor allem in den Vollversammlungen der lateinamerikanischen Bischöfe 1968 in Medellín und 1979 in Puebla artikuliert hatte. Und er kritisierte die römische Kirche in aller Offenheit: „Die Theologie war eine Maschine der Macht. Sie sollte den Kampf gegen die Häresien stimulieren, gegen den Protestantismus, den Liberalismus, den Sozialismus. Sie sollte die intellektuelle Unterwerfung aller Katholiken wahren, geeint im Kampf gegen die Häresie … sie bildet die Grundlage der Ausbildung von Priestern, wenn auch nur verschüchtert und mit Gewissensbissen.“ sagte er über die römische Kirche anlässlich eines Symposions zum II. Vatkanischen Konzil, dass wir gemeinsam mit der päpstlichen Universität Goiania und São Paulo im Jahr 2005 durchgeführt haben.
Noch schärfer äußerte er sich auf einer gemeinsamen Veranstaltung auf dem Weltsozialforum 2009 in Belém: Er diagnostizierte, dass das Grundproblem der Katholischen Kirche der Klerikalismus und der römische Zentralismus seien. Diese sind nach dem II. Vatikanischen Konzil nicht ausreichend überwunden worden. Dieses System sei doktrinär und autoritär, die katholische Doktrin sei Herrschaftsdoktrin, vor deren Ende wir nun aber stehen.
Aber das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihm nicht um die Kirche als Selbstzweck ging. Es ging ihm um die Kirche als Tradierungsort der befreienden Botschaft, als (zwar zunehmend geschwächtem) Ort spiritueller, religiöser und politischer Heimat der Armen Brasiliens.
Über die gesellschaftlichen Verhältnisse allerdings hat er sich genauso wenig Illusionen gemacht: er sprach in aller Eindeutigkeit immer wieder vom globalen Kapitalismus und seinen zerstörerischen Tendenzen. Diese Eindeutigkeit, mit der er nicht nur eine Kirche auf der Seite der Kleinen, Entrechteten und Armen forderte, bestimmte nämlich auch sein Leben. Bis zum Schluss hat er immer wieder Veranstaltungen, Treffen und Seminare mit Basisgemeinden unterstützt, an ihnen teilgenommen. Es ist kein Zufall, dass er auch während eines Treffens mit Basisgemeinden im Bundesstaat Bahia gestorben ist. Die Option für die Armen, der gemeinsame Weg mit ihnen war sein Leben. Er sagte einmal lapidar: „Eine Option für die Reichen ist sehr gut möglich und stellt eine starke Versuchung dar. Es ist die Option für die Macht.“
Für uns im ITP war José Comblin Vorbild: in seiner Gradlinigkeit, seiner Entschlossenheit und Unbeirrbarkeit. Nein, er war kein ewig Gestriger, er hat sich immer wieder neu und mit Neuem auseinandergesetzt: mit Globalisierung und Pentecostalismus, mit Rassen- und Geschlechterfragen, er hat immer nach neuen Theorien, Koalitionen und Strategien gesucht. Unbeirrbar war er eben nur in einem: in seiner Perspektive, die Welt von den Rändern her zu sehen. Sein Freund, der brasilianische Befreiungstheologe Paulo Suess hat seinen persönlichen Nachruf überschrieben: „José Comblin: migrante, guerreiro, teólogo“. Viele würden es übersetzen: José Comblin, Wanderer, Kämpfer, Theologe. Lassen wir die Schärfe des Originals, es passt: José Comblin, Migrant, Krieger, Theologe. Wir werden ihn vermissen.