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Messianische Hoffnung an der Tagebaukante

Impuls von Julia Lis (ITP) zu Jes 9, 1-6 beim Gottesdienst mit einer internationalen Delegation von Arbeitergeschwistern am 03. September 2021 in Lützerath am Tagebau Garzweiler

Regelmäßig finden Dorspaziergänge und Gottesdienste der Initiative "Die Kirche(n) im Dorf lassen"an der Tagebaukante und in den bedrohten Dörfern statt. Foto: Barbara Schnell

Regelmäßig finden Dorspaziergänge und Gottesdienste der Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ an der Tagebaukante und in den bedrohten Dörfern statt. Foto: Barbara Schnell

Der Text Jesaja 9, 1-6 ist ein adventlicher Text: die prophetische Verheißung der Ankunft eines Messias, mit der die Hoffnung auf neue Zeiten verknüpft ist: auf eine Herrschaftsform, die nicht mehr auf Ausbeutung, Ungleichheit und Ungerechtigkeit beruht, sondern auf Recht und Gerechtigkeit. Die Hoffnung auf solche neuen, anderen Zeiten, in denen das Recht nicht mehr die Profite der wenigen schützt, sondern Gerechtigkeit für alle schafft und fördert, verbindet uns heute mit den Menschen, die zur Zeiten des Propheten Jesaja lebten und Knechtschaft, Ausbeutung, den Terror der Militärs sowie Unterdrückung und Ungleichheit aus ihrer eigenen Alltagserfahrung kannten. Hier, in Lützerath, am Rande der Grube, mitten im Rheinischen Braunkohlerevier wo die Zerstörung so alltäglich, so sichtbar und spürbar ist und uns immer wieder verzweifeln lässt, spüren wir auch die Kraft dieser Sehnsucht danach, dass doch alles anders sein könnte: dass hier in den Dörfern die Häuser und Kirchen doch noch stehen bleiben, dass hier neues Leben einzieht, dass wir nicht einfach die Klimakatastrophe immer weiter vorantreiben, sondern dass eine Umkehr möglich wird, mit der eine radikale, d.h. von der Wurzel her gedachte Veränderung unserer ökonomischen und politischen Strukturen, aber auch unserer Kultur, unserer Beziehungen zueinander uns unserer Lebensweisen einhergeht. Messianische Hoffnung an der Tagebaukante weiterlesen

Marie Veits Werk in zwei Bänden

Marie Veit (1921-2004): Bibelwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Sozialistin

Sie war 25 Jahre Lehrerin vor allem für Evangelische Religion an einem Mädchen-Gymnasium in Köln, 18 Jahre Professorin für Didaktik des Evangelischen Religionsunterrichtes an der Universität Gießen, Mitbegründerin des Politischen Nachtgebetes in Köln und der deutschen und niederländischen Sektion der Christen für den Sozialismus. Lebenslang war Marie Veit engagiert in christlichen Gruppen und Initiativen und in ihrer evangelischen Kirchengemeinde und der rheinischen Landeskirche sowie in unterschiedlichen linken Parteien. Ökumene und der Einsatz für eine sozialistische Alternative waren ihr ein Herzensanliegen.

Im ersten Band Gottes und der Menschen Genossin werden Stationen ihrer Biographie geschildert, er bietet eine komplette Werkbiographie und schließt mit Kapiteln zu Grundzügen der Theologie Marie Veits und einem biographischen Porträt. Am Beispiel einer auf Versöhnung bedachten streitbaren Theologin und Religionspädagogin wird so auch ein Stück Zeit- und Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts deutlich.
Das Geleitwort hat Fulbert Steffensky geschrieben, ein Mitstreiter und Mitglied des Freundeskreises von Marie Veit.

Der zweite Band enthält 41 Texte Marie Veits aus den Jahren 1972 bis 2000: Predigten und Meditationen, wissenschaftliche Aufsätze sowie Vortragsmanuskripte. Darunter finden sich auch fünf bisher unveröffentlichte Arbeiten. Die Texte sind chronologisch geordnet, sodass zeitgeschichtliche Zusammenhänge zwischen Texten unterschiedlicher Gattungen deutlich werden. Gemeinsam mit dem ersten Band zu Marie Veit – einer ausführlichen Werkbiographie und einer kompletten Bibliographie der Texte M. Veits – kann nun das Werk dieser bedeutenden Theologin, Religionspädagogin und Sozialistin neu erschlossen und gewürdigt werden. Marie Veits Werk in zwei Bänden weiterlesen

Ein Land im freien Fall

Zur aktuellen politischen Situation in Tunesien

von Kacem Gharbi, muslimischer Befreiungstheologe aus Tunis

Seit dem 25. Juli befindet sich Tunesien in einer – gelinde gesagt – außergewöhnlichen Situation. Aber um zu verstehen, was jetzt passiert, müssen wir ein wenig zurückgehen auf die Situation am Vorabend der Präsidentschaftswahlen 2019.
Nach dem ersten Wahlgang hatten wir das Pech, dass wir zwei untypische Kandidaten hatten. Der erste, Kais Said, ein Hochschuldozent, ein Spezialist für Verfassungsrecht, ohne jegliche politische Zugehörigkeit. Auf der anderen Seite standen ein korrupter Geschäftsmann, ein Fernsehmagnat (ein tunesischer Berlusconi) und seltsamerweise Nabil Karoui, der die meiste Zeit der Wahlen im Gefängnis verbrachte. Er wurde 4-5 Tage vor dem Wahltag entlassen.
Diese Situation veranlasste die Bevölkerung, massiv für den Universitätsprofessor mit den unbekannten Ideen zu stimmen, um nicht eine korrupte Person an der Spitze des Staates zu haben. Eineinhalb Jahre später führte dieser ehrliche Professor einen Staatsstreich durch.
Es muss betont werden, dass der Grundstein für den Erfolg dieses Staatsstreichs in der Unterstützung der Bevölkerung dieses Putschprojektes gelegt wurde: Eine Regierung ohne Unterstützung der Bevölkerung, die angeblich unabhängig von politischen Parteien ist. Doch in Wirklichkeit war diese Regierung eine Marionette, die von drei politischen Parteien manipuliert wurde: der Nahdha, der islamischen Partei, dem «Cœur de la Tunisie» (Das Herz Tunesiens), der Partei von Nabil Karoui und der Allianz El Karama (Die Würde), einer politischen Partei mit salafistischem Einschlag.
Hinzu kommt die miserable Wirtschaftslage, die auf die neoliberalen Entscheidungen der verschiedenen Regierungen seit dem Aufstand von 2011 zurückzuführen ist. Das Land steht am Rande des Bankrotts (immer öfter hört man, dass wir keine andere Wahl haben, als uns an den Pariser Club zu wenden, um den offiziellen Bankrott des Staates zu verkünden). Die soziale Lage ist mehr als katastrophal, die offiziellen Zahlen sprechen von einer Arbeitslosenquote von 18 %. Ein Land im freien Fall weiterlesen

Der „Homo Hygienicus“ als Herausforderung christlicher Sozialethik

Ein Essay von Stefan Leibold, Dr. phil., Soziologe und Theologe, Münster

„Möglicherweise werden sich spätere Generationen fragen, wie der Homo Hygienicus so schnell Raum gewinnen konnte. Das Tempo seiner Gestaltwerdung ist tatsächlich atemberaubend und nur mit dem Aufsetzen auf den kapitalistisch bereits etablierten Homo Oeconomicus zu erklären. Wenn beide letztlich auf den Grundstrukturen der kapitalistischen Lebensweise beruhen, dürfte seine Überwindung nicht einfach sein.“

Der Philosoph Matthias Burchardt hat seit letztem Jahr mehrfach die Entstehung und Durchsetzung eines neuen Sozialtyps konstatiert, des sog. „Homo Hygienicus“. Die Herausbildung dieses Typs hat für ihn einschneidende Konsequenzen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft und verändert das Zusammenleben der Menschen, wie wir es kannten, auf dramatische Weise. Seine entsprechenden Ausführungen scheinen mir ausgesprochen plausibel und außerdem eine ernstzunehmende Herausforderung für die christliche Sozialethik zu sein. Daher möchte ich im Folgenden den Ansatz vorstellen und daran Gedanken zu seiner Bedeutung für die Sozialethik anknüpfen. Burchardt hat sein Konzept in mehreren Videos, einem Podcast und einem kurzen Artikel dargestellt. Diese wiederholen und ergänzen sich z.T., teilweise setzen sie verschiedene Akzente. Ich versuche, seine Positionen und Gedanken zu systematisieren und zusammenfassend zu skizzieren. Mir ist bewusst, dass dadurch eigene Schwerpunktsetzungen und Interpretationen unweigerlich in die Ausführungen mit hinein kommen, hoffe aber, dass ich seinen Grundintentionen gerecht werde. An einigen Stellen führe ich seine Gedankengänge auch weiter.1 Der „Homo Hygienicus“ als Herausforderung christlicher Sozialethik weiterlesen

Zum Tod von Luisa Toledo

Man muss kämpfend sterben, was ist sonst der Sinn…? Was ist der Sinn, sich darauf einzulassen, wenn man auf halbem Wege stehen bleibt…?“

Luisa Toledo, ein Symbol des Kampfes gegen die Militärdiktatur, starb am 6. Juli 2021 in Santiago, Chile. Nach dem Putsch von 1973 begann Luisa für das Komitee zur Förderung der Zusammenarbeit für den Frieden zu arbeiten, dem Vorgänger des Vikariats der Solidarität und besser bekannt als das Pro-Friedenskomitee, das 1974 von den chilenischen Kirchen gegründet wurde, um den Opfern der Diktatur zu helfen. Als Sekretärin eines Anwaltes des Komitees transkribierte sie Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Chile.

Foto von Gerardo Magallón (desInformémonos)

Luisa und ihre Familie gehörten zur Gemeinde Cristo Liberador in Villa Francia, wo sie mit emblematischen Priestern im Kampf gegen die Militärdiktatur zusammenkamen, wie Mariano Puga, Roberto Bolton, Pierre Dubois und Alfonso Baeza. Die Gemeinde wurde in den ersten Jahren der Diktatur eine religiöse, soziale und politische Zuflucht.

Am 29. März 1985 wurden ihre Söhne Eduardo und Rafael, 20 und 18 Jahre alt, von Carabineros getötet. Seitdem und bis heute wird jedes Jahr am 29. März der „Tag des jungen Kämpfers“ im Land mit Protesten und Demonstrationen begangen.

Dreieinhalb Jahre später, am 5. November 1988, wurden ihr Sohn Pablo und Araceli Romo in Cerro Mariposas, in Temuco, durch eine Bombenexplosion tot aufgefunden. Luisa und ihr Mann Manuel Vergara wurden zu einer der Stimmen des Widerstandes gegen die Repression der Militärdiktatur. Zum Tod von Luisa Toledo weiterlesen

Fachtagung: 100 Jahre Walter Benjamins „Kapitalismus als Religion‟

Vor 100 Jahren schrieb Walter Benjamin sein kleines Textfragment „Kapitalismus als Religion‟. Er dachte darin über die Verschuldungs- und Schuldmechanismen des Kapitalismus nach und stellte die Frage, wieso der Kapitalismus eine solche Beharrungskraft und Zustimmungsfähigkeit entwickeln konnte. Seine Antwort: „Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.‟ Obwohl sich Benjamins Perspektive aus den Erfahrung am Vorabend des deutschen Faschismus speist, haben seine Fragen auch die BefreiungstheologInnen bewegt: Wie ist der Kapitalismus beschaffen und wie prägt er unsere gegenwärtige Welt, in welchem Verhältnis stehen Christentum und Kapitalismus und welche Rolle kann die Religionskritik in der Analyse und Kritik des Kapitalismus spielen?

In einer internationalen Fachtagung wollen wir der immer drängender werdenden Frage nachgehen, worin die stählerne Kraft des Kapitalismus besteht und wo nach Auswegen aus dem „Haus der Verzweiflung‟ zu suchen wäre.

Die Video-Dokumentation der Tagung kann auf Deutsch und Spanisch online hier abgerufen werden. Fachtagung: 100 Jahre Walter Benjamins „Kapitalismus als Religion‟ weiterlesen

#SOSKolumbien

In den letzten Tagen haben verschiedene Gruppen und Organisationen die alarmierende Gewalt angeprangert, die bei den Protesten, welche seit mehr als einer Woche in Kolumbien stattfinden, rund 40 Menschen getötet hat. Armee und Polizei haben den die Proteste, die am Mittwoch, den 28. April begonnen haben, mit exzessiver Gewaltanwendung brutal unterdrückt. Der Aufstand wurde vom Nationalen Streikkomitee ausgerufen, um die Ablehnung der Steuer-, Gesundheits- und Rentenreformen der Regierung von Ivan Duque zum Ausdruck zu bringen. Diese Reformen wirken sich direkt auf die Lebensbedingungen der mittleren und besonders prekären Bevölkerungsschichten aus.  #SOSKolumbien weiterlesen

„Signalwirkung für die Kirchenasylbewegung“

Freispruch im Kirchenasylverfahren des Benediktinermönchs Br. Abraham Sauer

Pressemitteilung vom 28. April 2021 des Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW, in dem wir als ITP mitarbeiten:

Bruder Abraham Sauer aus der Abtei Münsterschwarzach ist am 26. April 2021 vom Amtsgericht Kitzingen (Bayern) freigesprochen worden. Der Mönch war angeklagt worden, weil er geflüchteten Menschen Kirchenasyl gewährt hatte, die Staatsanwaltschaft hatte die Verurteilung gefordert. Das „Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW e.V.“ begrüßt das Urteil als wegweisend für die Kirchenasylbewegung, auch außerhalb Bayerns. „Signalwirkung für die Kirchenasylbewegung“ weiterlesen

Casa Comun 2022 – Unser gemeinsames Haus

Anlässlich der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) am 31.8.-8.9.2022 in Karlsruhe plant das ITP zusammen mit anderen Basisinitiativen wie z.B. Kairos Europa ein internationales Zentrum in Karlsruhe für die Basisökumene einzurichten, nach dem Vorbild der Casa Comun bei der Amazsonassynode. Ein in mehrere Sprachen übersetzter internationaler Aufruf ist kürzlich veröffentlicht worden und auf der Homepage des Projekts nachzulesen.

Am 14.5.21 wird es ein erstes internationales digitales Treffen zur Vorbereitung geben. Weitere Infos gibt es hier.