Wir trauern um Otto Meyer, der nach einem langsamen Rückzug aus der vita activa aus unserem Leben gegangen ist. Es war für uns daher nicht überraschend und dennoch unerwartet. Wir sind traurig, dass uns ein Mensch nicht mehr zur Seite steht, der uns ein Vorbild war, ein Lehrer, ein Genosse, ein Mensch mit Lebenserfahrung und Güte für jede und jeden.
Die gemeinsame Geschichte beginnt für einzelne von uns vom ITP mit Otto Meyers Studentenpfarrertätigkeit in Osnabrück in den 80er Jahren. Die ESG dort rief zum Kongress „Der Götze wackelt“ zusammen. Otto, ein entschiedener Gegner von Atomkraft und Atomindustrie stand am Bauzaun von Brockdorf im Talar und rief nicht nur Christinnen und Christen dazu auf, die Götzen vom Thron zu stoßen und ihnen Unterwerfung zu verweigern. Gott will, dass wir leben und seine Schöpfung bewahren und nicht zerstören. Diese Message durchzog sein ganzes Leben, er hat sie immer konkret sozial und politisch benennen können und danach gelebt.
Sein Blick auf die Menschen um ihn herum war die Perspektive derjenigen, die keine Stimme haben, die sozial nichts gelten, die diskriminiert werden, weil sie anders scheinen. So erzählte er von seinen Erfahrungen als Lehrer an einer Berufsschule, wo er erst dann wirklich in Kontakt mit den Auszubildenden kam, als er sie fragte „was wollt ihr?“ Die Autonomie eines jeden Subjekts ernst nehmen, damit war ihm Ernst.
Seine Zeit als Studentenpfarrer der ESG in Münster prägte eine ganze Generation von TheologiestudentInnen unterschiedlicher Konfession. Die enge Kooperation mit der KSG war ernst gemeinte Ökumene weit über christliche Gruppen hinaus, man lernte sich in Räten zu organisieren und sich politisch und theologisch zu positionieren. Otto Meyer war unverzichtbar für die ausländischen Studierenden in Münster; mit den anderen Gemeinden zusammen gab er ihnen Ende der 80er Jahre einen Ort der Unterstützung: auch ganz konkret durch Beratung und Geld. Pastorales Gehabe war ihm fremd. Gemeinsame Delegationen schufen freundschaftliche Beziehungen und schufen intensive Auseinandersetzung mit weltpolitischen Fragen, welche Möglichkeiten es gibt, den zerstörerischen Kapitalismus zu überwinden; eine Delegation führte so nach Kuba, die andere nach Minsk, damals noch Sowjetrepublik, mitten in der Auseinandersetzung um Glasnost und Perestroika.
Diejenigen, die ihn aus dieser Zeit kennen, sind traurig, weil sie Otto viel verdanken.
Otto war nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus 1990 von Anfang Teil der Idee des ITP, Theologie und Politik nicht nur gemeinsam zu denken, sondern auch praktisch wirken zu lassen. Seine Generation von linken TheologInnen in Deutschland der verschiedenen Strömungen war von Anfang an in den 90er Jahren dabei. Zusammen mit Franz Hinkelammert in Costa Rica, Velten Seifert, Kuno Füssel, Ton Verkamp, Hartmut Futterlieb, Paul-Gerhart Schönborn, Fernando Castillo, Manuel Ossa in Chile, Alberto Moreira in Brasilien, Norbert Arntz, Kuno Füssel und vielen anderen bilden sie in befreiungstheologischer Perspektive die Klammer für das ITP über konfessionelle Strömungen hinweg. Ein Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war der „Christologie-Kongress“ 2003 mit internationaler Beteiligung in der ESG; aufgerufen hatte dazu der Arbeitskreis „Kritische Christinnen (Kri Chri), eine Fusion linker evangelischer TheologInnen um Otto, wie Rachel Seifert, Ottos Ehefrau, oder Alexandra Hippchen, spätere Studentenpfarrerin der ESG und der ChristInnen für den Sozialismus in Münster sowie das ITP.
Otto Meyer war, heute würde man sagen, ein „Socializer“, in den Spuren Jesu von Nazareth. Ihm war bewusst, wie wichtig es ist, gemeinsam zu lesen, zu lernen, zu diskutieren, Vertrauen miteinander zu entwickeln und gemeinsam zu feiern. Er war ein „Menschenfischer“ und brachte Menschen zusammen. Er wurde nicht müde, an „seinen“ Fragen von Gerechtigkeit und Gleichheit dran zu bleiben: Beharrlich gegen die Macht.
Otto, du fehlst.
MitarbeiterInnen und FreundInnen des ITP Münster, im Juni 2016