Anmerkungen zur sogen. Corona-Krise, die aber an sich eine Krise des globalisierten Kapitalismus ist
Dr. Kuno Füssel, Andernach, Ende März 2020
1) Das Krisenmanagement der Regierungen und Behörden seit Ausbruch der sogen Corona-Krise ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: Es ist ignorant, dilettantisch und repressiv. Das Wissen über die Funktionsweise des Virus Covid -19 ist bei den verantwortlichen Regierungen und Behörden mangelhaft und diffus, mit wahrnehmbarem Gefälle zwischen den einzelnen Bundesländern, die zu einem strategischen gemeinsamen Handeln unfähig sind. Daher sind fast alle Maßnahmen dilettantisch und perspektivisch unsicher und laufen daher am Ende hilflos auf eifrige Repression hinaus, die Entschiedenheit und Sicherheit ausstrahlen soll.
Nehmen wir die allgegenwärtigen berüchtigten Kontaktverbote. Diese sollen bewirken, dass sich das Virus langsamer ausbreitet, können aber nicht bewirken, dass es verschwindet. Daraus folgt nur, dass alles länger dauern wird und dass die teilweise unsinnigen Kontaktverbote uns noch lange terrorisieren werden.
Nehmen wir zwei Beispiele: Wir sollen draußen zwei Meter voneinander Abstand halten. Das ist sinnvoll bei Fremden, die nicht von einander wissen, ob sie infiziert sind und sich anstecken können. In allen anderen Fällen ist es reine Schikane. Oder: Wieso müssen Büchereien und Buchhandlungen schließen? Wahrscheinlich, weil Bücher per se „ansteckend“ sind, was schon die Nazis wussten. Die Beispiele lassen sich locker vermehren.
Typen wie Markus Söder steigen dann zu Leitfiguren auf. Aber auch weniger intelligente Amtsträger wie er haben nun absolute Befehlsgewalt, wenn sie nur an der richtigen Stelle sitzen. Das erinnert mich doch sehr an vergangene unselige Zeiten, die ich als Kind in einer streng katholischen Familie noch miterlebt habe, was meine politischen Überzeugungen ein Leben lang geprägt hat.
Statt Repression erwarte ich von einer Kooperation der einschlägigen Wissenschaften und der Politik, dass sie effiziente und akzeptable Lösungen der Probleme finden. Hier ein Gleichgewicht zwischen den beiden Dimensionen herzustellen, ist natürlich nicht mehr einfach, nachdem weltweit die Gesundheitssysteme auf Grund einer neoliberalen Politik des Marktes und der Kapitalakkumulation an die Wand gefahren wurden.
Will die herrschende Klasse überhaupt den dringend nötigen Paradigmenwechsel? Mit dem Ausnahmezustand lässt sich nämlich viel einfacher regieren als im hochkomplexen Normalfall. Wer über den Ausnahmezustand befindet, der ist der Souverän. So steht es schon bei dem berühmten Staatsrechtler Carl Schmitt (1888 – 1985), der unter den Nazis zum „Kronjuristen“ ernannt wurde und übrigens auch zwei reaktionäre Schriften zur „politischen Theologie“, einmal 1922 und nochmal !! 1970, veröffentlicht hat.
2) Vor allem aber bin ich als katholischer Theologe verärgert über die obrigkeitshörige und willfährige Befolgung des Verbotes öffentlicher Gottesdienste seitens der Kirchenleitungen, von denen ich mir – welche Illusion – Formen des kreativen Widerstandes erhofft hätte. Vor allem aber sollten die Kirchenleitungen sich mit kompetenten Juristen beraten, was sie ja sonst immer gerne tun, ob das Verbot öffentlicher Gottesdienste nicht eindeutig gegen die Garantie der freien Religionsausübung verstößt und daher juristisch anfechtbar ist.
Es ist einfach nur makaber, wenn in einer riesigen Kirche, in der locker über hundert Gläubige unter Wahrung des behördlich verordneten Sicherheitsabstandes Platz hätten, ein Priester alleine, ohne Gemeinde, die Eucharistie feiert, was dann über die elektronischen Medien in die Wohnungen der isolierten Gemeindemitglieder übertragen wird. Ich bin empört über diese Karikierung des letzten Abendmahles. Was kommt da jetzt zu Ostern auf uns zu?
Schauen wir uns doch Jesus an. Nicht nur im Evangelium vom letzten Sonntag (29.März) mit der wunderbaren Geschichte von Martha, Maria und Lazarus (vgl. Joh 11, 1- 45), sondern an vielen Stellen wird berichtet, dass Jesus die bestehenden Kontaktverbote des damaligen Regimes gegenüber Sündern, Ungläubigen ( vgl die Samariter/innen), Kranken, Aussätzigen, Toten rigoros übertreten hat. Theologen / Theologinnen und gläubige Bibelleser/innen bewundern und loben ihn deswegen und schwärmen von seinem heilbringenden Handeln, wahrscheinlich ohne sich bewusst zu sein, wie gefährlich es war. Es ist ja dann auch nicht lange toleriert worden und er wurde von einer großen Koalition aus seiner eigenen Landesregierung und den römischen Imperialisten am Kreuz hingerichtet. Sein Vermächtnis beim letzten Abendmahl, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung feiern wir an Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern. Wollen wir das wirklich nur virtuell tun? Oder fällt uns doch noch etwas Besseres ein?
Eines aber sei klar gestellt: Es gilt immer noch die vom widerständigen Petrus vor dem Hohen Rat ausgesprochene Maxime in Apg 5,29: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“.
Wir suchen unser Heil neuerdings im Internet, womit ich nicht die vielen, sicherlich hilfreichen kreativen Angebote der kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Gläubigen diffamieren will. Aber die Fixierung auf die elektronischen Medien, worin sich die pastoralstrategischen Aktionen fast völlig erschöpfen, bedeutet eine fortschreitende Virtualisierung kirchlichen Lebens.
Das wird böse Folgen haben. Ich übertreibe einmal: Aus dem Pfarrer wird ein „influencer“, aus der Gemeinde werden „follower“, aus dem gemeinsam gebeteten Credo werden „likes“ und „smilies“ zu bestimmten Glaubenswahrheiten. Statt konkreter Nachfolge Jesu findet Internetkonsum statt. Nach der Beendigung des Ausnahmezustandes werden wir hoffentlich erleben, dass die gläubigen Menschen sich massenhaft und freudig zur Feier der Eucharistie versammeln. Ich befürchte aber, dass auch umgekehrt die Erkenntnis sich breit machen könnte, dass es ja auch ohne körperliche Anwesenheit geht.
Aber es könnte in der aktuellen Situation vieles ganz anders sein. Warum erinnern wir uns nicht an unsere Tradition, an die Realität von Hausgemeinden in der frühen Kirche (nicht nur Lydia , vgl. Apg 16, 14-15, lässt grüßen), an die Praktiken und Versammlungen der Armutsbewegungen im MA, an die Überlebensstrategien von Christen in totalitären Systemen, an die vielfältigen Formen gemeinsamen Glaubenslebens in den lateinamerikanischen Basisgemeinden? Gibt es denn in der modernen Gesellschaft keine Katakomben mehr, in denen wir uns, unbehelligt durch die Staatsmacht, treffen könnten?
Da ließe sich für uns auf allen Ebenen viel für hier und heute lernen.
3) Die Krise wird auch im Monat Mai noch weiter bestehen. Folgen wir daher der Parole des Mai 68 in Paris: „L ` imagination au pouvoir – die Phantasie an die Macht!“ Mit Nachdruck auf beidem: Phantasie und Gegenmacht. Die Angst wird der Freude weichen.