Lieber Ellacu!
In diesem Jahr haben sich viele Dinge ereignet, die mich an Euch, als Ihr noch bei uns wart, erinnerten. Über zwei Dinge – Aparecida und Pedro Arrupe –, die uns in diesen Tagen des Jahrgedächtnisses helfen sollen, will ich heute mit Dir reden.
Im Jahre 1979 war es Puebla und in diesem Jahr war es Aparecida. Mit Aparecida ist es schließlich doch besser ausgegangen, als man erwartet hatte. Und es hat keine Türen zugeschlagen. Es bleibt noch abzuwarten, ob wir nun von weitem daran vorbeigehen, ohne das Gebäude zu betreten, oder ob wir mit klarem Verstand und Engagement Stück für Stück die Türen weiter öffnen. Mitten in dieser Zivilisation des herrschenden Wohlstand, der den Geist erstickt, wäre es wirklich dringend notwendig, unsere Kirche voran zu bringen.
Das Thema von Aparecida war gut gewählt: Jesus in der Sendung nachzufolgen, den Guten Gott zu verkünden und die ungerechte und verlogene Welt in eine Welt von Gerechtigkeit und Wahrheit zu verwandeln. Davon handelt ja die zweite Woche der Exerzitien des Hl. Ignatius, über die du so viel mit uns gesprochen hast. Und selbst wenn die Kosten immer noch erschrecken machen, die Nachfolge und das Arbeiten für das Reich Gottes erwecken stets die Hoffnung neu, von der wir nie genug haben können.
Wirklich sehr ärgerlich ist das Herumfummeln im verabschiedeten Schlussdokument. In irgendeiner Kurie hat man ohne die Kenntnis der Bischöfe, die das Dokument verabschiedeten, den Text verändert, vor allem an den Stellen, an denen er von den Basisgemeinden spricht. Du hast immer treffend davon gesprochen, dass an den Basisgemeinden das wichtigste sei, dass sie von der Basis selbst stammen. Aber eben deshalb sind sie auch so konfliktträchtig. Man sieht einmal mehr, dass wir immer noch nicht wissen, wie wir mit der Basis umgehen sollen, wenn die Armen sich zusammentun, um zu leben, zu arbeiten und zu glauben, um befreit zu werden und zu befreien. Die Demokratie ist eben keine Stärke der Kirche, wird man wieder sagen. Aber wir sollten uns doch wenigstens um eine Transparenz, die dem Evangelium entspricht, bemühen und demütig eigene Fehler anerkennen.
Im Dokument sind auch Passion und Tod Jesu – die dritte Woche der Exerzitien – nicht ausreichend historisch betrachtet worden, worauf Du, Ellacu, doch immer so bestanden hast. Der objektive Konflikt mit den Mächtigen, keine abstrakte allgemeine Verfügbarkeit, hat Jesus ans Kreuz gebracht. Das zu ignorieren, führt zu schlimmen Konsequenzen; denn es verführt dazu zu denken, dass wir auch heute die Sendung ohne schwerwiegende Konflikte realisieren könnten. Wieder wird erkennbar, wie schwer es ist, Jesus wirklich ernst zu nehmen. Ich glaube, es fällt besonders schwer, den Jesus an Jesus Christus zu akzeptieren, und zwar sein irdisches Leben und darin sein Kreuz aus den Händen der Mächtigen. Und wenn ich mich recht erinnere, hast Du bereits im Jahre 1978 kritisiert, dass das Beratungsdokument von Puebla eine höchst mangelhafte und armselige Deutung der Person Jesu von Nazareth enthalte.
Mit dem Kreuz Jesu verschwindet auch die zentrale Bedeutung der Märtyrer unserer Zeit, die gestorben sind, wie Jesus starb. Aparecida schleicht sich vor den Märtyrern davon, und wendet sich ihnen nicht mit Dankbarkeit und mit der Verpflichtung zu, ihren Spuren zu folgen. Man gewinnt den Eindruck, dass wir in der Kirche immer noch nicht wissen, wie wir mit den Märtyrern umgehen sollen. Ein Beispiel: Man hat so viele Bände über Mons. Romero vollgeschrieben, über seine Orthodoxie und seine Orthopraxis. Man streitet darüber, ob er ein Bekenner ist oder ein Märtyrer; und wenn er Märtyrer ist, ob er dann als Märtyrer des Glaubens wegen („odium fidei“) oder der Gerechtigkeit wegen betrachtet werde müsste. Und als dann schien, dass Romero alle Examina bestanden hatte, hieß es in den obersten kirchlichen Kreisen plötzlich, dass der Augenblick nicht günstig sei, Romero selig zu sprechen, denn die Seligsprechung könnte manipuliert werden. An diesem Punkt stehen wir, Ellacu.
Wie mit den Märtyrern umgehen – das ist keine geringfügige Sache. Ich glaube, hier geht es um einen „articulus stantis et cadentis Ecclesiae“, einen Artikel, an dem die Kirche steht und fällt. Hoffentlich könnt ihr, die Märtyrer, durch die Türen eintreten, die Aparecida für viele guten Dinge offen gelassen hat, und uns mit frischer Luft versorgen. […] Wir brauchen Euch, um unsere Welt menschlicher zu gestalten. Mit Euch werden wir Aparecida voranbringen. Hoffentlich gebt ihr uns den Schubs zu mehr Menschlichkeit.
Jon
Norbert Arntz, Münster-Kleve)