Seit vier Monaten finden sich ganzseitige Anzeigen der Bundeswehr in der Zeitschaft WELT-SICHTEN. Diese Zeitschrift, Nachfolgerin von „eins-Entwicklungspolitik“ (vormals: epd-Entwicklungspolitik) und „Der Überblick“ wird getragen vom „Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik“, in dem wiederum kirchliche Hilfswerke aus Deutschland (Misereor, Brot für die Welt, EED, Christoffel Blindenmission, Kindernothilfe), Österreich und der Schweiz (Brot für alle, Fastenopfer) Mitglied sind. Mit einem Protestbrief haben wir uns gegen diese Förderung der Bundeswehr und des militärischen Bereichs in der Entwicklungspolitik gewandt. Der Chefredakteur von WELT-SICHTEN, Bernd Ludermann, hat mit einem ausführlichen Brief vom 4. August darauf geantwortet. Wir dokumentieren beide Schreiben.
Protestbrief von Ludger Weckel vom 5.7.2010:
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit einigen Jahren gibt es in der entwicklungspolitischen Szene eine Diskussion über den Einzug des Sicherheitsbegriffes in den entwicklungspolitischen Diskurs, damit zusammenhängend auch eine Diskussion über die Annäherung militärischer Interessen an die Entwicklungspolitik und dies mit gutem Grund.
Die nach dem Ende der Systemkonkurrenz auf Legitimationssuche gegangenen Militärlobbyisten sind in der Entwicklungspolitik und im Bereich der Menschenrechte fündig geworden: um ein neues Auschwitz zu verhindern (Kosovo), die Menschenrechte zu sichern (Afghanistan) oder von kriminellen Piraten bedrohte Seeleute zu schützen (Küste Somalias) werden Bundeswehrsoldaten eingesetzt. Wenn ein Politiker – unabsichtlich – die Wahrheit ausspricht und die wahren Gründe für die weltweiten Einsätze der Bundeswehr nennt (Köhler: Sicherung deutscher Wirtschaftsinteressen und -wege weltweit), wird so ein großer Druck aufgebaut, dass der Politiker sich gezwungen glaubt, die Brocken hinwerfen zu müssen. Dies zeigt, wie brisant das Thema ist und wie kraftvoll und solide die „Lüge“ abgesichert ist.
WELT-SICHTEN hat in der Vergangenheit, wenn auch zu selten, immer mal wieder kritisch über die unheilvollen Verpflechtungen von Militärinteressen und Sicherheitsdiskurs einerseits und das Interesse der Entwicklungspolitik an menschlicher Entwicklung berichtet (vgl. z.B. „Mit der Orientierung an der Sicherheit Deutschlands nimmt Minister Niebel einen bedenklichen Weg“, in: WELT-SICHTEN 4-2010, Seite 7). Von daher gehören Bundeswehr-Anzeigen grundsätzlich nicht in diese Zeitschrift.
Seit vier Monaten taucht nun in WELT-SICHTEN (4-2010 Seite 25; 5-2010 Seite 27; 6-2010 Seite 17; 7-2010 Seite 21) eine an die LeserInnen von WELT-SICHTEN angepasste Stellenanzeige der Bundeswehr auf („Bundewehr. Karriere mit Zukunft: Interkulturelle Einsatzberaterin in Afghanistan“). Die Ganzseitigkeit der Anzeige, ihre inhaltliche Gestaltung und die Dauer von vier Monaten ohne Angabe einer Bewerbungsfrist zeigen deutlich, dass es der Bundeswehr hier nicht um die Suche nach einem geeigneten Mitarbeiter geht, sondern darum, dass die Bundeswehr Präsenz zeigt und um Akzeptanz für ihre „Auslandsarbeit“ in einem – vormals – kritischen kirchlich-entwicklungspolitischen Bereich wirbt. Und WELT-SICHTEN macht dies mit.
Nun wird es heißen: Anzeigen sind unabhängig von der Redaktion. Das mag schon sein, aber in jeder Zeitschrift gibt es selbst definierte Grenzen für die Annahme von Anzeigen (Gewaltfrage, rassistische oder sexistische Inhalte, Kriterien der politischen correctness etc.), die Frage ist, wie transparent diese nach außen gemacht werden.
Für unseren Geschmack ist die Grenze für WELT-SICHTEN mit dieser Daueranzeige der Bundeswehr sehr weit – zu weit – überschritten. Und falls die Verantwortlichen bei WELT-SICHTEN hier einen „anderen Geschmack“ haben, dann wäre dies für uns ein Grund, deutlich festzustellen, dass unser Interesse „grundlegend“ nicht mehr mit dem Interesse der Herausgeber und der Redaktion der Zeitschrift übereinstimmt, was für mich bedeuten würde, unser seit vielen Jahren laufendes Abonnement (epd-Entwicklungspolitik, eins, weltsichten) sehr schnell zu kündigen.
Mit ungehaltenen Grüßen
Ludger Weckel
Antwortschreiben von Chefredakteur Bernd Ludermann vom 4.8.2010:
Sehr geehrte Herr Weckel,
wir bedanken uns für Ihren Brief wegen der Stellenanzeige der Bundeswehr in „welt-sichten“ und möchten zunächst betonen, dass wir Verständnis für Irritationen über diese Anzeige haben. Die Argumente in Ihrem Brief sind jedoch zum Teil problematisch und verdienen eine ausführliche Entgegnung.
Erstens treffen einige Ihrer Aussagen über die Anzeige nicht zu. Sie schreiben, sie sei an die LeserInnen von „welt-sichten“ angepasst und nur scheinbar eine Stellenanzeige – der wahre Zweck sei Imagewerbung. Das stimmt so nicht. Tatsächlich ist die Anzeige nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Zeitschriften erschienen, darunter der des Roten Kreuzes. Sie erscheint deshalb wiederholt und ohne Bewerbungsfrist, weil die Bundeswehr nicht eine oder zwei BeraterInnen sucht, sondern deren vierzig. Weil das Menschen mit entwicklungspolitischer Kompetenz sein sollen, zu denen die Bundeswehr sonst eher wenig Zugang hat, inseriert sie unter anderem bei uns.
Das führt zum zweiten Punkt: Sie werten die Anzeige als Ausdruck der Versuche von „Militärlobbyisten“, das Militär neu zu legitimieren und seinen Aufgabenbereich auszuweiten. Das scheint mir recht weit hergeholt – nicht nur weil es sich tatsächlich um eine Stellenanzeige handelt. Die Bundeswehr treibt sicher bedenkliche Imagewerbung, vor allem unter Jugendlichen, aber die Anzeige steht damit nicht in Zusammenhang. Und natürlich gibt es die von Ihnen angeprangerten Versuche, Akzeptanz für neue Einsatzbereiche der Bundeswehr zu schaffen. Nur habe ich den Eindruck, dass sie in erster Linie von Politikern ausgehen wie Joschka Fischer, Peter Struck und ihren Amtsnachfolgern, allenfalls in zweiter Linie von Angehörigen der Bundeswehr. Die freuen sich über mehr öffentliche Anerkennung, aber kaum über mehr gefährliche, fragwürdige und unpopuläre Kampfeinsätze.
Drittens: Sie räumen ein, dass wir im redaktionellen Teil der Zeitschrift Trends zur Militarisierung wiederholt kritisiert haben. Die Überschrift Ihres Schreibens „‚welt-sichten‘ macht Bundeswehr-Werbung“ ist deshalb eine Irreführung: Wir „enthalten“ Bundeswehr-Werbung, „machen“ sie aber nicht. Anzeigen sind keine Äußerung der Redaktion, darauf weisen Sie ja selbst hin.
Wir stimmen Ihnen viertens aber zu, dass es für die Annahme von Anzeigen Grenzen gibt. Und man kann im Fall der Bundeswehr-Anzeige darüber streiten, ob diese Grenzen überschritten sind. Wir haben uns diese Frage auch gestellt, sie am Ende aber anders beantwortet als Sie. Versuchen Sie bitte, die Gründe dafür nachzuvollziehen.
Zunächst einmal leisten Anzeigen einen wichtigen Beitrag zu unserer Finanzierung. Das wäre nicht möglich, wenn wir sehr restriktiv verfahren oder möglichen Anzeigenkunden und unserer Agentur den Eindruck vermitteln würden, wir lehnten Anzeigen selektiv und ohne nachvollziehbare Begründung ab. Politische Vorlieben sind hier kein zufriedenstellendes Kriterium. Grundsätzlich muss eine Redaktion Anzeigen nicht auf Übereinstimmung mit ihren politischen Ansichten prüfen, weil sie eben erkennbar keine Äußerung der Redaktion sind. Dennoch hat die Freiheit Grenzen, und wir schließen, wie Sie richtig vermuten, manche Kunden aus – etwa die Porno-, Rüstungs- und Atomindustrie. Lückenlose Kriterien zu finden ist aber schwierig. Leider bleiben Zweifelsfälle wie eben die Anzeige der Bundeswehr.
Den Ausschlag, diese nicht abzulehnen, haben folgende Überlegungen gegeben: Die Bundeswehr ist ein demokratisch legitimiertes Verfassungsorgan wie die Polizei und handelt (anders als Unternehmen) im Auftrag und unter Aufsicht der Volksvertretung – auch da, wo sie falsch handelt. Der Bundestag hat ihren Einsatz in Afghanistan mehrmals mit sehr großer Mehrheit beschlossen. Darüber hinaus ist selbst unter Kritikern des Einsatzes umstritten, ob ein sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu verantworten ist; einfache, saubere Lösungen sind leider nicht mehr bei der Hand. Auch wenn wir dagegen sind, den Einsatz fortzusetzen, müssen wir also anerkennen, dass man es zumindest mit Bedingungen vertreten kann. Dann ist aber auch die Suche nach Personal für den Einsatz vertretbar. Das alles unterscheidet diese Anzeige zum Beispiel von fremdenfeindlicher Hetze, die eindeutig inakzeptabel ist. Die Bundeswehr-Anzeige könnten wir nur mit der Begründung ablehnen, dass wir persönlich den Einsatz (oder die Existenz) der Bundeswehr ablehnen. Das scheint uns eine anfechtbare Begründung für die Auswahl von Anzeigen zu sein. Sogar in Artikeln würden wir im Interesse einer informierten Debatte ja die gegenteilige Meinung zulassen.
Nun kann man allerdings bedauern, dass wir überhaupt Anzeigen brauchen. Auch für die Redaktion wäre das Leben ohne deutlich einfacher. Doch die Leser müssten dann für ihr Abo spürbar mehr bezahlen. Selbst wenn Sie persönlich dazu bereit wären, würden wir eine große Zahl anderer Abonnenten dadurch verlieren. Deshalb sehen wir in Anzeigen das kleinere Problem, so lange sie unsere redaktionelle Linie nicht beeinflussen – und das tun sie nicht: Wir vertrauen darauf, dass unsere Leserschaft zwischen Anzeigen und redaktionellen Beiträgen in „welt-sichten“ unterscheidet, genau wie bei anderen Publikationen auch.
Dass die Anzeige für Ihren Geschmack nicht in „welt-sichten“ passt, kann ich dennoch verstehen. Die Bundeswehr wird offenbar vielfach als Symbol einer militaristischen Politik angesehen; nicht zuletzt das macht die Anzeige für uns schwierig. Ich frage mich allerdings, ob das nicht ein Streit am falschen Objekt ist. Für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sind ja nicht Militärs verantwortlich, sondern die Politiker aller Bundestagsfraktionen außer der Linken. Die Bundeswehr führt nur die Beschlüsse aus. Müssten Gegner des Einsatzes in Afghanistan nicht eher CDU, SPD, Grüne und FDP aufs Korn nehmen und einen Boykott von deren Anzeigen verlangen?
Die Anzeige scheint mir auch kein geeigneter Anlass für eine Debatte über Afghanistan oder gar über die Rolle des Militärs im Allgemeinen zu sein. Die sollte nicht zwischen einer Redaktion und ihrer Anzeigenagentur geführt werden, sondern öffentlich im redaktionellen Teil der Zeitschrift. Da findet sie ja auch statt. Auf unserer Homepage sind Kommentare zu den entsprechenden Artikeln sehr erwünscht. Leider erhalten wir nur wenige. Es lohnte sich meines Erachtens mehr, über die Dilemmata der Lage in Afghanistan und die Lehren daraus zu diskutieren als über die Annahme oder Zurückweisung von Anzeigen.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Ludermann
Chefredakteur „welt-sichten“