Archiv der Kategorie: Allgemein

Zur Erinnerung an das Massaker vom 16.11.1989 in San Salvador: Die Toten sind nicht tot?

Michael Ramminger

Foto: M. Ramminger

Am 16. November 1989, also vor 35 Jahren, wurden in El Salvador an der Zentralamerikanischen Universität UCA die Jesuiten Ignacio Ellacuría, Segundo Montes, Ignacio Martín-Baró, Joaquín López y López, Juan Ramón Moreno und Amando López im Garten ihres Wohnhauses erschossen. Auch die Köchin Elba Ramos und ihre Tochter Celina wurden ermordet, die in dieser Nacht Schutz im Haus der Jesuiten vor den Kämpfen des Bürgerkriegs gesucht hatten. Sie wurden vom Atlacatl-Bataillon, einer Art „Anti-Terror“- Einheit auf Befehl des Militärs erschossen. Die Ermordung war als Gegenaktion zu einer massiven Offensive der 1980 gegründeten salvadorenischen Befreiungsbewegung FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) gedacht. Bei dieser Offensive drang die Guerilla bis in die Hauptstadt und viele Armenviertel vor. Es bleibt wohl für immer unbeantwortet, ob die FMLN nicht bereits Anfang, Mitte der achtziger Jahre die Regierung hätte stürzen können, wäre diese nicht so massiv von den USA unterstützt worden. Zur Erinnerung an das Massaker vom 16.11.1989 in San Salvador: Die Toten sind nicht tot? weiterlesen

Gustavo Gutierrez zu würdigen

Gustavo Gutiérrez aus Peru, der Mitinitiator der Befreiungstheologie, starb am 22. Oktober 2024 in Lima. Das ITP – aus politisch-theologischem und befreiungstheologischem Denken inspiriert – weiß sich von Gustavo´s Werk motiviert.

Befreiungstheologe aus Leidenschaft für das Leben

Der 1928 geborene Gutierrez studiert in Lima, Löwen und Lyon Medizin, Philosophie, Psychologie und Theologie. Als Priester der Erzdiözese Lima ist er lange Zeit als Pfarrer im Armenviertel Rimac/Lima tätig und zugleich Professor für Theologie und Sozialwissenschaften an der Katholischen Universität in Lima. Damit beglaubigt er die These, die seinem theologischen Arbeiten die Richtung weist: „La teología es una inteligencia del compromiso“ – Theologie ist kein frommes Glasperlenspiel. Theologie ist vielmehr intellektuelle Erkenntnis, die im Glauben an den Gott des Lebens aus dem Engagement an der Seite der Armen stammt, weil ihnen das „Recht auf Rechte“ verwehrt wird und sie zu vorzeitigem Tod verdammt sind. Gutiérrez fragt sich selbst, aber ebenso die Kirche und ihre Theologie, wie kann man von einem Gott der Liebe inmitten von Armut und Unterdrückung sprechen; wie vom Gott des Lebens zu Menschen reden, die tagtäglich einen ungerechten, gewaltsamen und vorzeitigen Tod sterben; wie von Auferstehung mitten in einer Lage, die das Zeichen des Todes an sich trägt; wie von dem gütigen Vatergott in einer unmenschlichen Welt; denn das heißt doch dem zur Unperson gemachten Menschen sagen, dass er/sie Sohn/Tochter Gottes sei. Diesen Grundfragen müssen sich die Theolog*innen stellen, wenn sie nicht zu überflüssigen Tröstern werden wollen wie die Freunde Hiobs im Alten Testament. Gustavo Gutierrez zu würdigen weiterlesen

„Zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt“

Shell Jugendstudie 2024

Kommentar von Andreas Hellgermann, Arbeitskreis ReligionslehrerInnen am ITP

In diesen Tagen ist die neue Shell-Jugendstudie herausgekommen und es ist bemerkenswert, welche Ergebnisse angezeigt werden, wenn das Stichwort „Shell Jugendstudie 24“ in eine beliebige Suchmaschine eingegeben wird. Es zeigt sich eine widersprüchliche Mannigfaltigkeit: Angst vor der Zukunft, mehrheitlich optimistisch, alarmierende Trends, noch nicht verloren, besser als ihr Ruf, Interesse an Politik … und, und, und.

Zwei Punkte allerdings werden auch von den Machern der Studie hervorgehoben und tauchen im Titel auf. Die Zukunftsängste werden einem pragmatischen Optimismus gegenübergestellt. Es ist sehr naheliegend, das für einen Widerspruch zu halten.

Was aber ist, wenn es genau an dieser Stelle gar keinen Widerspruch gibt? „Zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt“ weiterlesen

Apokalyptik

Rückblick zu unserem Sommerseminar

Die Zustände in der Welt stimmen auch am Ende dieses Sommers wenig optimistisch. In der Ukraine geht der Krieg weiter, ohne dass sich ernsthafte Auswege und Friedensbemühungen abzeichnen würden. Auch in Gaza geht das Leiden und Sterben weiter und eine Eskalation des Krieges im Nahen Osten scheint immer noch nicht ausgeschlossen. Der Anschlag in Solingen wird längst nicht mehr nur von AfD-PolitikerInnen dafür instrumentalisiert, eine neue Eskalation in der Asyl-und Migrationspolitik voranzutreiben, indem Abschottung und Abschiebungen, selbst nach Syrien und Afghanistan, ausgebaut werden sollen.

Man kommt schnell auf die Idee bei all dem von apokalyptischen Zuständen zu sprechen. So schien unsere diesjährige Sommerschule, die im August in der Toskana mit 16 TeilnehmerInnen zum Thema „Apokalyptik“ stattgefunden hat, einen Nerv der Zeit zu treffen. Sie hat uns aber auch geholfen, von den biblischen Texten, den apokalyptischen Bewegungen in der Geschichte des Christentums und der Politischen Theologie her einen anderen Zugang zum Begriff der Apokalyptik zu bekommen: Nicht einfach nur als Katastrophe, sondern als hoffnungsvolle Botschaft, dass die Dinge nicht ewig so weitergehen, dass die Verhältnisse katastrophal sind, aber auf tönernen Füßen stehen, dass Unterbrechung und Abbruch denkbar sind. In biblischen Zeiten wie in der Christentumsgeschichte wurden solche apokalyptischen Botschaften nicht als Schreckensszenarien erfahren, sondern als Ermöglichung zu einem Handeln, das auf etwas Neues aus ist, das jenseits der sich aus der Gegenwart ergebenden Möglichkeiten denkt.

So waren für uns solche apokalyptischen Gedanken nicht furchteinflössend, sondern ermutigend, um uns in diesen Verhältnissen Klarheit zu verschaffen. Dies wollen wir weiter gemeinsam tun, auch mit Ihnen und euch.

Julia Lis

Wann beginnt der Vorkrieg?

Eine Erklärung des AK-ReligionslehrerInnen zur Bundesbildungsministerin

Wir müssen den Mut haben, den Kindern den Frieden zu erklären!“ (Hermann Steinkamp)

Während des Höhepunktes der nuklearen Aufrüstung Anfang der 1980er Jahre schreibt Christa Wolf die Erzählung „Kassandra“. In ihr stellt sie eine noch immer gültige Frage:

„Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen, in Ton, in Stein eingraben, überliefern. Was stünde da? Da stünde, unter andern Sätzen: Lasst euch nicht von den Eignen täuschen.“

Der Vorkrieg hat spätestens dann begonnen, wenn von Frieden zu sprechen als Feigheit interpretiert wird, wenn nicht mehr gesagt werden darf, dass ein Weg zu einem Frieden nur über Verhandlungen möglich ist und wenn die einzig denkbare Form des „Friedens“ der Siegfrieden ist. Der Vorkrieg hat auch dann begonnen, wenn die Kriegsrhetorik sich in alle Fasern einer Gesellschaft ausbreitet – auch in die Schulen. Wann beginnt der Vorkrieg? weiterlesen

Elf Jahre Pontifikat Franziskus

Michael Ramminger, 13.03.2024

Heute vor elf Jahren begann das Pontifikat von Papst Franziskus. Die Wahl dieses Papstes war ein bewegender Moment nach all der nachkonziliaren Erstarrung und Rückwärtsgewandheit der Vorgängerpäpste. Schon sein erster öffentlicher Auftritt verwies auf seine Anliegen: Er verzichtete auf die traditionellen roten Schuhe und trug stattdessen seine normalen Straßenschuhe. In der bundesdeutschen katholischen Öffentlichkeit war die Begeisterung für den neuen Papst groß. Er schien eine Kirche und eine Theologie zu wollen, die sich den Problemen der Welt, den „Zeichen der Zeit“ stellt. Elf Jahre Pontifikat Franziskus weiterlesen

Seminar: Pädagogik der Leere

5.-7. April 2024: Seminar des Arbeitskreises Religionslehrer*innen am ITP zur „Pädagogik der Leere“ im Haus Wasserburg in Vallendar (Rheinland-Pfalz)

Das Schuljahr, die Schulstunde ist minutiös geplant. Zielorientierung ist das A und O. Selbst für die Pause, also die Zeit am Kopierer, werden uns Entspannungsübungen empfohlen, um die Zeit zu „nutzen“. Auch unsere politischen Ziele und Hoffnungen scheinen in der Praxis schnell nach einer Konkretisierung zu rufen. Gerne würden wir mit mehr Ergebnis handeln, Ziele erreichen, die Welt verändern. Wir glauben, um die Welt wirklich zu verändern, braucht es nicht noch mehr Druck und Katastrophismus, sondern Zeit für eine Unterbrechung, für einen freien Raum ohne Unterwerfung unter die gegebene Ordnung. Wir brauchen Zeit und Muße für die Erfahrung dessen, was das ganz Andere sein könnte. Diesen leeren Raum wollen wir mit euch aus verschiedenen Richtungen umkreisen: Wir befragen Ansätze aus der feministischen Psychoanalyse und der Kritischen Theorie sowie Texte von Autor*innen wie etwa Simone Weil und Franz Kafka und diskutieren darüber. Pädagogik der Leere? Ein Versuch. Seminar: Pädagogik der Leere weiterlesen

Enrique Dussel

Pilar Puertas
EnriqueDusselEnrique Dussel, argentinisch-mexikanischer Philosoph, Historiker, Theologe und kritischer Denker und einer der größten linken Intellektuellen Lateinamerikas, ist am 5. November in Mexiko-Stadt gestorben.
Dussel wurde 1934 in der Provinz Mendoza, Argentinien, geboren. Er schloss 1957 sein Philosophiestudium an der Universidad Nacional del Cuyo ab. Er reiste nach Europa und promovierte an der Universität Complutense in Madrid. Zwei Jahre lang lebte er in Nazareth bei dem Theologen Paul Gauthier in einer Gemeinschaft palästinensischer Zimmerleute. Diese Erfahrung prägte ihn so sehr, dass er 1959 an einen Freund schrieb: „Eines Tages werden wir die Geschichte Lateinamerikas von der anderen Seite her schreiben müssen, von unten, von den Unterdrückten, von den Armen“. Enrique Dussel weiterlesen

Israel – Gaza

Israel – Gaza

Michael Ramminger, 17.10.2023

Jetzt wird immer deutlicher, dass das eintritt, was vor einer Woche schon klar war, aber nicht gesagt werden durfte: Den schrecklichen Angriffen der Hamas auf Menschen in Israel folgen die schrecklichen Gegenangriffe der israelischen Armee auf Gaza. Die Spirale der Gewalt soll sich weiterdrehen und sie hat nicht erst letzte Woche begonnen. Sie trifft PalästinenserInnen und Israelis gleichermaßen. Während das Massaker der Hamas in Israel nach einigen Stunden vorbei war, geht das Sterben und Elend in Gaza weiter, und ein Ende ist nicht in Sicht.

Was dort jetzt geschieht, bewegt sich jenseits des Völkerrechts, jenseits von Kriegsrecht. Aber es bewegt sich ebenfalls jenseits der Menschlichkeit. Und jetzt höre ich sie schon, die Stimmen, die uns vorwerfen, die Gräueltaten der Hamas zu verharmlosen, nicht ausreichend zu thematisieren. Was auch immer alles hinter solchen Einwänden steckt: ob das heimliche Einverständnis mit Vergeltungsgedanken, der Versuch im Antisemitismusvorwurf gegen mahnende Stimmen zu verschleiern, dass auch die katastrophale Lage der PalästinenserInnen Teil der deutschen historischen Last des Faschismus sind … Die Reaktion der rechstextremen Kräfte in der israelischen Regierung und im Militär werden kein Problem lösen, sie wird es fortschreiben und verewigen. Israel – Gaza weiterlesen

Heute vor fünfzig Jahren: Die Kirche und der Putsch in Chile

Die Kirche und der Putsch*

Am 11.09. 1973, heute vor fünfzig Jahren putschte General Pinochet gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende.  Systematisch wurden danach die politischen AktivistInnen ermordet (ca. 3000) und fast 30.000 Menschen wurden inhaftiert und gefoltert. Zwei Tage nach dem Putsch approbierte das permanente Komitee der Bischofskonferenz das Dokument „Fé cristiana y actuación política“ und brachte es am 26. Oktober in Umlauf. In ihm wurde erklärt, dass „kein Priester oder kein Ordensmann oder Ordensfrau dieser Bewegung (‚Christen für den Sozialimsus‛) angehören kann“. Heute vor fünfzig Jahren: Die Kirche und der Putsch in Chile weiterlesen