Julia Lis / Michael Ramminger, Institut für Theologie und Politik, Münster
Als im März 2020 aus einer fernen Epidemie eine globale Pandemie wurde und das gesellschaftliche und öffentliche Leben weitgehend zum Stillstand kam, stellte sich für die gesellschaftlichen AkteurInnen plötzlich die Frage der Relevanz des eigenen Tuns mit neuer Dramatik. Die Herausforderung bestand und besteht darin, den gefährlichen und lebensbedrohenden Erreger ernst zu nehmen, ihn aber nicht medizinisch-technologisch isoliert zu betrachten. Stattdessen geht es darum, sozial und politisch einen kritischen Umgang mit den gesellschaftlichen Folgen der Pandemie zu finden und darin nach der Bedeutung des eigenen Tuns zu fragen. Die Bilanz, was Kirchen, Glaube und Religion in der Bundesrepublik Deutschland angeht, fiel dabei mehr als ernüchternd aus: Kaum jemand sprach ihnen eine besondere „Systemrelevanz“ (wobei „Systemrelevanz“ in diesem System eine durchaus zweifelhafte Auszeichnung ist!) zu, kaum jemand schien sie zu vermissen, als sich die Kirchen in den digitalen Raum verabschiedeten. Ostern? Absagen oder Verlegen. Gottesdienste? Dafür gibt es ja Live-Übertragungen für die wenigen, die nicht ohne können. Seelsorge? Diejenigen, die Bedarf haben, können ja eine Mail schreiben. Sakramente und rituelle Feiern? Können wir ja später nachholen.
Was so deutlich wurde: Die Kirchen haben auch für sich selbst keine befriedigende Antwort darauf, wofür sie in einer neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft eigentlich noch relevant sein können, wieso und von wem sie genau hier noch gebraucht werden. Diese unbequemen Fragen, die am institutionellen Bestand rütteln, werden überdeckt vom Trott der eingefahrenen Aktivitäten und Traditionen, die meist unhinterfragt im Modus des „Das-haben-wir-doch-schon-immer-so-gemacht“ wiederholt werden. Als der gewohnte Lauf der Dinge aber zum Stehen kam, wurde sichtbar, wie wenig der eigenen Botschaft, Symbolsprache, der Bedeutung in und für die Welt eigentlich noch zugetraut wird. So werden auch da, wo man nach der Corona-Pause nicht gleich auf die gewohnte Weise weitermachen will, Stimmen laut, doch abzuwarten und zu schauen, wofür man noch gebraucht werde, für welche Angebote es auf dem religiösen Markt gerade überhaupt noch eine Nachfrage gebe.
Die Unterwerfung unter den Kapitalismus
Die seit Beginn 2020 grassierende Pandemie hat somit deutlich gemacht, dass die Kirchen schon längst in der bürgerlichen Gesellschaft aufgegangen, und also auch in ihr untergegangen sind. Längst sind sie eben gerade nicht mehr die ideologischen Stützen der Gesellschaft, die dem Bestehenden Legitimität und Sinn verleihen. Die bürgerliche Gesellschaft schafft es mittlerweile auch ohne die Kirchen sich selbst zu erhalten.
Der vorauseilende Lockdown der Kirchen, der Verzicht auf öffentliche Gottesdienste wie auch jede andere Form gesellschaftlicher Präsenz war eine stille Apokalypse, nicht als Chaos und Untergang am Ende der Welt verstanden, sondern als Offenbarung des bestehenden Chaos: Sie offenbarte das, was eigentlich schon lange virulent war, dass die Kirchen nämlich nur noch eine bescheidene Nischenexistenz in unseren Gesellschaften innehaben und resignierend darum wissen. Kirchen und Corona. Eine Kritik weiterlesen →