Norbert Arntz hat einen sechsmonatigen Studienaufenthalt im Departamento Ecuménico de Investigaciónes (DEI) unter anderem auch genutzt, um die Zusammenarbeit zwischen dem DEI und dem ITP zu intensivieren. Ergebnis dieser Zusammenarbeit waren u. a. ein Artikel zur Weltbevölkerungspolitik in der Frankfurter Rundschau vom 2.9.94 („Die Bevölkerung der Dritten Welt ist heute überflüssig geworden“) und ein Interview mit Franz J. Hinkelammert in der Jungen Kirche 9/94 anläßlich der Veröffentlichung seines neuen Buches „Kritik der utopischen Vernunft“. Im folgenden Beitrag skizziert Norbert Arntz die Grundlinien des DEI, anschließend doku-mentieren wir einige Auszüge aus dem genannten Interview mit Franz J. Hinkelammert. Nach meinem halbjährigen Studienaufenthalt im Departamento Ecuménico de Investigacies (DEI) in San José/Costa Rica möchte ich einen kurzen Einblick in dessen theologische Werkstatt geben. Das DEI ist ein Zentrum theoretischer Reflexion und Weiterbildung für Verantwortliche in Pastoral und Volksbewegungen. Es konzentriert seine Aufgaben auf die Region Zentralamerika/Karibik, beschränkt sich aber nicht auf diese Regio-nen. Gegenwärtig versteht es sich -mittels Publikationen und jährlichen Forschungsseminaren und sozialpastoralen Seminaren mit Verantwortlichen aus Basisbewegungen und Regionalseminaren- als Gesprächspartner hinsicht-lich einer lateinamerikanischen Problematik, die von Mexiko bis Chile nahezu alle Länder erfaßt. Zu den MitarbeiterInnen des DEI gehören u.a. die Exegetin Elsa Tamez, der Theologe Pablo Richard und der Wirtschaftswissenschaftler Franz J. Hinkelammert.
Grundzüge der Arbeit des DEI
Das DEI entwickelt folgende Grundkategorien für die Erfassung der lateinamerikanischen Realität:1)Die komplexe und plurale Realität Lateinamerikas muß im Zusammenhang der Prozesse von Unterdrückung und Befreiung interpretiert werden, denen sich kein gesellschaftlich handelndes Subjekt entziehen kann;
2)Im Zusammenhang dieser Prozesse stellt sich für Christinnen und Christen die spezifische Aufgabe, alle Formen von Idolatrie und Fetischismus real und konkret (d. h. historisch mit dem Ziel ihrer Überwindung) zu kritisieren, den Gott des Lebens in der Nachfolge Jesu von Nazareth zu verkünden und dadurch der Befreiung zu dienen;
3)Die materiell-historische Kritik von Idolatrie und Fetischismus gründet auf einer Kritik der okzidentalen Gesellschaft und deren kapitalistischen Ausformungen in der Moderne bzw. „Postmoderne“; Kernpunkt solcher Kritik ist die Opferideologie dieser Gesellschaft, welche die Opfer (von Menschen und Natur) als notwendig für den Fortschritt der Zivilisation bezeichnet, das heißt: sie behauptet, Opfer müssen gebracht werden, um zur guten, wahren und schönen Welt zu finden.
4)Mit Hilfe dieser kritischen Kategorien betrachtet das DEI die Gesellschaften der lateinamerikanischen und karibischen Staaten sozial und historisch als komplexe Ausdrucksformen eines peripheren Kapitalismus.
Im ständigen Dialog mit den Basisbewegungen des gesamten Kontinents entwirft und realisiert das DEI Weiterbildungsmaßnahmen, um zur Diagnose der Realität und zur Entfaltung einer dem Evangelium entsprechenden wirksamen Spiritualität beizutragen. Voraussetzung dafür ist, daß die Unterdrückten und Verarmten sich ihrer Lage selber bewußt und als Subjekte tätig werden, um die materiellen und spirituellen Bedingungen ihres Über-lebens bzw. vorzeitigen Sterbens grundlegend zu verändern, also eine Veränderung der Lebensbedingungen an-zustreben, die sich getragen weiß von der Utopie des Lebens in Fülle für alle – „so leben wollen, daß alle leben können“. Die Kategorie der Utopie bzw. des Utopischen steht in enger Verbindung mit der grundlegenden Fähig-keit der Menschen und ChristInnen zur „transzendentalen Imagination“. Der utopische Entwurf vom Leben in Fülle für alle setzt seinerseits voraus, auch die Bedingungen der Unterdrückten (Frauen, Jugendliche, ChristInnen, ArbeiterInnen, Umweltbewegungen) in den sogenannten „reichen“ Ländern des Zentrums zu thematisieren und in Frage zu stellen, und zwar im Kontext der Verelendung Lateinamerikas bzw. der Dritten Welt.
Die fälschlich „reich“ genannte Welt wird vom DEI in erster Linie als eine zerstörerische, verschwenderische und verzweifelte Welt interpretiert, die blind geworden ist gegenüber den weltweit selbstzerstörerischen Tendenzen ihrer aggressiven Lebensweise. Das DEI will folglich seinen kritischen Zwischenruf auch in den Ländern des Zentrums erheben, indem es sich Gesprächspartner dort sucht – zum Beispiel das ITP – und mit ihnen daran arbeitet, daß man sich dort ebenso an der Utopie einer pluralen menschlichen Gesellschaft ohne Diskriminierungen und Verwüstungen orien-tiert. Diese historisch wirksame Orientierung an der Utopie des Lebens in Fülle für alle versteht sich als Zeichen und Werkzeug jenes endgültigen Lebens in Fülle ohne den Tod, das für alle vom Gott des Lebens herbeigeführt wird. Norbert ArntzNorbert Arntz hat einen sechsmonatigen Studienaufenthalt im Departamento Ecuménico de Investigaciónes (DEI) unter anderem auch genutzt, um die Zusammenarbeit zwischen dem DEI und dem ITP zu intensivieren. Ergebnis dieser Zusammenarbeit waren u. a. ein Artikel zur Weltbevölkerungspolitik in der Frankfurter Rund-schau vom 2.9.94 („Die Bevölkerung der Dritten Welt ist heute überflüssig geworden“) und ein Interview mit Franz J. Hinkelammert in der Jungen Kirche 9/94 anläßlich der Veröffentlichung seines neuen Buches „Kritik der utopischen Vernunft“. Im folgenden Beitrag skizziert Norbert Arntz die Grundlinien des DEI, anschließend doku-mentieren wir einige Auszüge aus dem genannten Interview mit Franz J. Hinkelammert. Nach meinem halbjährigen Studienaufenthalt im Departamento Ecuménico de Investigacies (DEI) in San José/Costa Rica möchte ich einen kurzen Einblick in dessen theologische Werkstatt geben. Das DEI ist ein Zentrum theoretischer Reflexion und Weiterbildung für Verantwortliche in Pastoral und Volksbewegungen. Es konzentriert seine Aufgaben auf die Region Zentralamerika/Karibik, beschränkt sich aber nicht auf diese Regio-nen. Gegenwärtig versteht es sich -mittels Publikationen und jährlichen Forschungsseminaren und sozialpastoralen Seminaren mit Verantwortlichen aus Basisbewegungen und Regionalseminaren- als Gesprächspartner hinsicht-lich einer lateinamerikanischen Problematik, die von Mexiko bis Chile nahezu alle Länder erfaßt. Zu den MitarbeiterInnen des DEI gehören u.a. die Exegetin Elsa Tamez, der Theologe Pablo Richard und der Wirtschaftswissenschaftler Franz J. Hinkelammert.
Grundzüge der Arbeit des DEI
Das DEI entwickelt folgende Grundkategorien für die Erfassung der lateinamerikanischen Realität:1)Die komplexe und plurale Realität Lateinamerikas muß im Zusammenhang der Prozesse von Unterdrückung und Befreiung interpretiert werden, denen sich kein gesellschaftlich handelndes Subjekt entziehen kann;
2)Im Zusammenhang dieser Prozesse stellt sich für Christinnen und Christen die spezifische Aufgabe, alle Formen von Idolatrie und Fetischismus real und konkret (d. h. historisch mit dem Ziel ihrer Überwindung) zu kritisieren, den Gott des Lebens in der Nachfolge Jesu von Nazareth zu verkünden und dadurch der Befreiung zu dienen;
3)Die materiell-historische Kritik von Idolatrie und Fetischismus gründet auf einer Kritik der okzidentalen Gesellschaft und deren kapitalistischen Ausformungen in der Moderne bzw. „Postmoderne“; Kernpunkt solcher Kritik ist die Opferideologie dieser Gesellschaft, welche die Opfer (von Menschen und Natur) als notwendig für den Fortschritt der Zivilisation bezeichnet, das heißt: sie behauptet, Opfer müssen gebracht werden, um zur guten, wahren und schönen Welt zu finden.
4)Mit Hilfe dieser kritischen Kategorien betrachtet das DEI die Gesellschaften der lateinamerikanischen und karibischen Staaten sozial und historisch als komplexe Ausdrucksformen eines peripheren Kapitalismus.
Im ständigen Dialog mit den Basisbewegungen des gesamten Kontinents entwirft und realisiert das DEI Weiterbildungsmaßnahmen, um zur Diagnose der Realität und zur Entfaltung einer dem Evangelium entsprechenden wirksamen Spiritualität beizutragen. Voraussetzung dafür ist, daß die Unterdrückten und Verarmten sich ihrer Lage selber bewußt und als Subjekte tätig werden, um die materiellen und spirituellen Bedingungen ihres Über-lebens bzw. vorzeitigen Sterbens grundlegend zu verändern, also eine Veränderung der Lebensbedingungen an-zustreben, die sich getragen weiß von der Utopie des Lebens in Fülle für alle – „so leben wollen, daß alle leben können“. Die Kategorie der Utopie bzw. des Utopischen steht in enger Verbindung mit der grundlegenden Fähig-keit der Menschen und ChristInnen zur „transzendentalen Imagination“. Der utopische Entwurf vom Leben in Fülle für alle setzt seinerseits voraus, auch die Bedingungen der Unterdrückten (Frauen, Jugendliche, ChristInnen, ArbeiterInnen, Umweltbewegungen) in den sogenannten „reichen“ Ländern des Zentrums zu thematisieren und in Frage zu stellen, und zwar im Kontext der Verelendung Lateinamerikas bzw. der Dritten Welt.
Die fälschlich „reich“ genannte Welt wird vom DEI in erster Linie als eine zerstörerische, verschwenderische und verzweifelte Welt interpretiert, die blind geworden ist gegenüber den weltweit selbstzerstörerischen Tendenzen ihrer aggressiven Lebensweise. Das DEI will folglich seinen kritischen Zwischenruf auch in den Ländern des Zentrums erheben, indem es sich Gesprächspartner dort sucht – zum Beispiel das ITP – und mit ihnen daran arbeitet, daß man sich dort ebenso an der Utopie einer pluralen menschlichen Gesellschaft ohne Diskriminierungen und Verwüstungen orien-tiert. Diese historisch wirksame Orientierung an der Utopie des Lebens in Fülle für alle versteht sich als Zeichen und Werkzeug jenes endgültigen Lebens in Fülle ohne den Tod, das für alle vom Gott des Lebens herbeigeführt wird.