An Sonntag ist Ernesto Cardenal in Managua verstorben. Gerade noch hatte er seinen 95. Geburtstag gefeiert, zu dem wir ihm gratuliert hatten. In El Pais heisst es zu seinem Tod: „Nicaragua verliert einen seiner geliebtesten Schriftsteller, den Mann, der in seinem eigenen Land zum Prophet wurde, und der ein umfangreiches literarisches Vermächtnis hinterlässt, das in diesem Land der Katastrophen und Exzesse seiner politischen Klasse wie ein Klagegebet wiederholt wird, als das Lied einer Nation, die … aber darauf ist, mit ihrer Geschichte der Unterdrückung zu brechen.“ Hier unsere Würdigung zu seinem Geburtstag:
Ernesto Cardenal gehört zu den Christen, die sich radikal auf die Bibel eingelassen und ihr Leben danach ausgerichtet haben. Unvergessen bleibt das „Evangelium der Bauern von Solentiname“, das 1975 entstand. Aber da hatte er bereits zwanzig Jahre Kampf gegen die Diktaturen in Nicaragua hinter sich. Ernesto Cardenal steht für ein eindeutiges Bekenntnis dafür, dass Marxismus, Kommunismus und Christentum keine Widersprüche sind. Und sagt dies in beide Richtungen: In Richtung der Marxisten, denen er erklärt, dass die Kritik an der herrschenden Religion in der Bibel selbst schärfer sei, als die von Marx. Und in Richtung der ChristInnen und der christlichen Welt schimpft er gemeinsam mit seinem mexikanischen Lehrer Porfirio Miranda: „Welcher Wahnsinn überfiel die westliche Welt, dass sie den Inbegriff der christlichen Vision (den Kommunismus, M.R.) als ihren größten Feind bekämpfte?“
Auch für seine Lyrik und seine Poesie ist Ernesto Cardenal später zu Recht geehrt und gehört worden. Uns bleibt sein eindeutiges Engagement für Gerechtigkeit wichtig; seine kompromisslose Bereitschaft, sich der brutalen, militärischen Gewalt der Mächtigen auch bewaffnet entgegenzustellen und sich als Kulturminister der Verantwortung gesellschaftlicher Organisierung zu stellen, sind ernsthafte Herausforderung an alle ChristInnen, die frohe Botschaft zu Ende zu denken. Auch wenn es heute wie ein Echo aus ferner Zeit erscheint.
Die fröhliche, stille Radikalität von Ernesto Cardinal war es wohl auch, die Person und Pontifikat des polnischen Papstes schon früh entlarvt haben, als der ihn aus lauter Wut über den Widerstand des Volkes, der ihm und der FSLN-feindlichen Politik des Vatikans entgegenschallte, demütigend behandelte. Ernesto Cardinal wurde 1985 – zwei Jahre später – Opfer der päpstlichen Säuberungen gegen die Befreiungstheologie und vom Priesteramt suspendiert. Damals war übrigens bereits der spätere Papst Benedikt XVI., Kardinal Ratzinger, Leiter der Glaubenskongregation und verantwortlich für die Sanktionen, denen u.a. auch Leonardo Boff zum Opfer fiel. Erst mit Papst Franziskus hatte die Verfolgung der BefreiungstheologInnen durch Rom ein Ende. Er hatte sich bereits 2015 mit dem salvadorenischen Befreiungstheologen Jon Sobrino getroffen und ihm gesagt: „Schreib weiter!“, er hatte sich auch mit Leonardo Boff und Gustavo Gutiérrez getroffen, Miguel d’Escoto rehabilitiert. Im letzten Jahr hat Papst Franziskus dann die Suspendierung von Ernesto Cardenal aufgehoben.
Vielleicht ist das immerhin ein kleiner Trost, dass auch die Kirche zur Umkehr fähig ist, und sich den bis heute andauernden Intrigen gegen das Evangelium widersetzen kann. Vergessen wir nicht den Skandal um den persönlichen Sekretär Gänswein, Ratzinger und Kardinal Robert Sarah und ihren Angriff auf Franziskus in der Frage des Zölibats und des anstehenden synodalen Prozesses der römisch-katholischen Kirche in der Bundesrepublik. Solche Leute – und ihre Vorstellungen einer glitzernden, barocken und patriarchalen Kirche – werden sich irgendwann dafür verantwortlich machen müssen, dass die frohe Botschaft der Bibel vom Ende des Hungers, von der Geschwisterlichkeit und der Befreiung der Gefangenen aus der Geschichte der Menschheit verschwunden sein könnte. Unsere Hoffnung bleibt, dass es immer Menschen wie Ernesto Cardenal geben wird, egal ob sie ChristInnen sind oder nicht, die für diese Botschaft einstehen.
¡Hasta la resurreccion siempre!“