Von Encarnacíon Gutiérrez R.
Als ich für diese Tagung angefragt wurde, fragte ich mich, was ich über Frauen und Entwicklung erzählen könnte. Zwar habe ich mich lange Zeit mit Lateinamerika beschäftigt, doch liegt dies alles sehr weit zurück. Heute wiederum nach einigen Jahren aktiver Arbeit in der Selbstorganisierung von MigrantInnen kehre ich erneut meinen Blick gen Süden. Diesmal aus dem Wissen heraus, mich in einer Aporia zu bewegen. Denn unser Handeln im Norden ist immer mit den Entwicklungen im Süden verknüpft, ohne daß dies unsere Absicht ist.
Hausfrauisierung heute?
Die globale Tendenzbeschreibung der Hausfrauisierung, die Maria Mies u.a. in den 80er Jahren verfassten, ging von der These aus, daß sich die Situation der Frauen im Norden der Situation der Frauen und der marginalisierten Männer im Süden angleiche. Obwohl dieser Ansatz bestimmte Tendenzen in der kapitalistischen Entwicklung des Wohlfahrtsstaates beschreibt, verklärt er andererseits das Verhältnis, in dem Frauen aus dem Norden und Frauen aus dem Süden stehen. Denn die Verarmung alleinerziehender Mütter in den Metropolen oder die Verlagerung der Produktionsarbeit auf Heimarbeit, z.B. die Erledigung von Schreibarbeiten oder die Anfertigung von Stoffblumen, ist nicht gleich zu setzen mit den Inflationslöhnen der BananenarbeiterInnen in Costa Rica oder der Gesundheitsgefährdung der Blumenfeldarbeiterinnen in Kolumbien. Außerdem entstehen auch neue Formen der Arbeitsteilung zwischen Frauen. Diesmal zwischen Frauen aus dem Norden und dem Süden, dem Westen und dem Osten: Eine Umschichtung der Verteilung der Hausarbeit findet zwischen den neuen ImmigrantInnen und den professionellen einheimischen Frauen statt.
Gentechnologie als neues Verhandlungsfeld
Die Kritik an der sozialen Kategorie „Frau“ wird in den 90er Jahren um einen internationalen Bezugsrahmen erweitert. Im
Rahmen der UNO z.B. wird die Frau des Südens in den 90er Jahren zur Ressourcenträgerin und Bewahrerin der Natur erklärt. ‚Frau‘ fungiert so als Zweck für die Ziele dieser Institution. In diesem Sinne hat sich auch das Verhältnis zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit verändert. Während Marx noch von der Arbeitskraft als Ware ausging, ist das Gebären bzw. die Reproduktionsarbeit mittlerweile zur Ware geworden. Das Selbstbestimmungsrecht oder der Slogan ‚Mein Bauch gehört mir‘ verkommt in der Gentechnologie zu altertümlichem Material. Die Kategorie ‚Frau‘ fungiert als Medium für die Durchsetzung von Interessen auf dem internationalen Weltmarkt. Solange der Norden seinen Lebensstil auf dem Rücken des Südens auslebt, können auch keine frauenpolitischen Interessen als ein einheitliches Interesse von Frauen bestimmt werden. Es gilt zu betonen, daß durch die Nicht-Wahrnehmung der ökonomischen, politischen und sozialen Unterschiede unter Frauen der herrschende gesellschaftliche Status Quo reproduziert wird. Die Ausschliessungs- und Ausbeutungsmechanismen einer Migrantin in den Metropolen unterscheiden sich von denen einer Landfrau in Indien, die über die internationale Politik des IWF, der Weltbank, des WTO für ihr Überleben kämpfen muß. Der feministische Kampf gegen den Abbau des Wohlfahrtsstaates (Flexibilisierung,Rücknahme sozialer staatlicher Leistungen) in den Ländern des Nordens rekurriert auf den Nationalstaat, der in der Tradition des Kolonialismus steht, was nicht heißt, daß dieser Kampf falsch sei, er sollte nur in seiner Spezifizität betrachtet werden.
Währenddessen findet der feministische Kampf im Süden statt (…) auf der Basis einer Gesellschaft, wo die Struktur eines Wohlfahrtsstaates aufgrund der globalen Ausbeutung. nicht aufkommen kann Diese zwei Seiten eines Kampfes nennt Spivak Aporia. Aporia benennt kein Dilemma, auch keinen Widerspruch, sondern es beschreibt lediglich ein Tun. Aporia ist etwas, was passiert und im Tun entsteht. Die Aporia, die zwischen dem Kampf im Norden und Süden entsteht, kann daher nicht über den Willen einer Einzelnen oder eines Kollektivs gelöst werden. Sie bleibt bestehen, solange wir uns in einem System bewegen, welches auf Unterdrückung und Ausbeutung basiert. Die Nicht-Durchlässigkeit der Verhältnisse macht es nicht möglich, die Kämpfe im ‚Norden‘ und im ‚Süden‘ miteinander zu verbinden.
Fragen und Forderungen
Nun, die Zusammenarbeit mit „Black Women“, „Women of Color“, Frauen aus dem Süden und dem Osten sowie den
Migrantinnen in den kapitalistischen Metropolen stellt auf diesem Hintergrund die Notwendigkeit her, den Aufbau von
Infrastrukturen in anderen Ländern finanziell zu unterstützen, ohne sie im Sinne des Widerstands im Norden zu vereinnahmen.
Weiterhin müssen wir neben der Feststellung, daß die Kategorie ‚Frau‘ politisch, sozial, ökonomisch und kulturell an konkreten regionalen Orte geschaffen wird und sich als solche als Schnittpunkt der dortigen Kräfteverhältnisse sichtbar macht, uns fragen, inwieweit diese Kategorie in der kapitalistischen Warenzirkulation eingebunden ist? Wie es sich um die Interessen der Frauen global verhält? Ob wir von einer Gleichheit der Situation von Frauen weltweit sprechen können? Ob wir im Wissen um die Aporia gemeinsame Forderungen aufstellen könnne? Können wir eine Politik aufnehmen, die zweigleisig fährt, nämlich auf der einen Seite den Kampf um BürgerInnenrechte für alle, die innerhalb der EU leben, aufnehmen und gleichzeitig den Widerstand in Afrika, Asien und Lateinamerika gegen Ausbeutung und Unterdrückung unterstützen, d.h. eventuell auch für BürgerInnenrechte? Welche feministischen Netzwerke können entstehen, die solch eine Arbeit im Auge haben? Welche andere Formen der Unterstützung können bereit gestellt werden? Der Kampf um FrauenBefreiung ist international, aber unterschiedlich und gegensätzlich.