Zusammen mit Afrique-Europe-Interact haben MitarbeiterInnen des Institut für Theologie und Politik einen Workshop im Rahmen des Weltforums für Theologie und Befreiung und des Weltsozialforums in Dakar/Senegal durchgeführt. Afrique-Europe-Interact ist ein Projekt afrikanischer MigrantInnen und deutscher AktivistInnen, die seit Mitte Januar mit einer Karawane von über 400 Personen von Bamako, der Hauptstadt Malis, zum Weltsozialforum nach Dakar gefahren sind. Die Karawane hatte zum Ziel, auf das menschenverachtende Grenzregime der europäischen Länder, auf die Situation von MigrantInnen in Europa, auf die Hintergründe und Ursachen von Migration und auf die Probleme aufmerksam zu machen, die entstehen, wenn MigrantInnen aus Europa zwangsweise in ihre Heimatländer zurückkehren müssen.
Im Workshop berichteten zunächst fünf TeilnehmerInnen der Karawane, dass es auf dem Weg von Bamako nach Dakar in den Orten und Städten viele Halts mit Informationsveranstaltungen, aber auch Demonstrationen gegen die Behinderung von freier Bewegung durch Grenzsicherungen und Grenzposten gegeben habe: Das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit wird durch Grenzziehungen, Grenzsicherungen und Grenzregime massiv unterdrückt. Sie machten deutlich, dass vor allen Dingen die Europäische Union in den vergangenen Jahren ihre Grenze immer weiter nach außen schiebe, so dass die europäische Organisation zur Abwehr von Flüchtlingen FRONTEX heute bereits Büros in Hauptstädten der Länder Afrikas unterhalte, um im „Vorfeld“ MigratInnen abzuwehren.
Die TeilnehmerInnen der Karawane berichteten aber auch darüber, was es bedeute, in Europa ohne Aufenthaltsstatus leben zu müssen. Die machten deutlich, dass es in Bezug auf die MigrantInnen eine Selektion gibt: Menschen aus anderen europäischen Ländern oder Nordamerika seien willkommen, auch gut ausgebildete Menschen aus den Ländern des Südens hätten es realiv leicht, bleiben zu dürfen, alle anderen werden illegalisiert: Menschen ohne Papiere und legalem Aufenthaltsstatus werden einerseits mit Abschiebung bedroht und real abgeschoben, andererseits wird ihre prekäre Situation ausgenutzt, indem sie als unter- oder unbezahlte Arbeitskräfte eingesetzt werden. So werden sowohl die negativen Bilder in den lokalen Bevölkerungen gegen MigrantInnen bedient und gefördert, gleichzeitig aber auch die verschiedenen MigrantInnengruppen gegeneinander ausgespielt.
Die TeilnehmerInnen der Karawane berichteten aber auch von den großen Problemen, die Menschen haben, die nach einem Migrationsversuch gegen ihren Willen in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden: Neben der eigenen Enttäuschung und der Erfahrung der gewaltsamen Abschiebung stehen sie in ihren Familien und Nachbarschaften in der Regel als „VersagerInnen“ dar. Man hatte von ihnen erwartet, dass sie (weiterhin) ihre Familien mit dem in Europa verdienten Geld unterhalten, dafür ist nicht selten einiges Geld für die Reise zusammengelegt worden.
Darüberhinaus berichteten die TeilnehmerInnen, dass das Miteinander von Menschen aus 17 verschiedenen Ländern in der Karawane auch solidarische Lernprozesse über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg in Gang gesetzt habe, zum Beispiel Diskussionen und Reflexionen über die Rolle von Frauen und Männern und religiöse Überzeugungen.
In einem zweiten Teil präsentierte zunächst Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik eine Reflektion, in der deutlich wurde, dass die Wurzeln und Grundlagen der christlichen Tradition voll sind von Beispielen, dass es darum geht, dass die „Fremden“ das Recht auf einen Platz und gleiche Behandlung haben. Boniface Mabanza zeigte auf, dass die sich auf christliche Traditionen berufende Europäische Union genau diese Konzepte in ihrem Grenzregime und ihrem außenpolitischen Handeln nicht umsetzt. So machte er darauf aufmerksam, dass die sog. Piraterie vor der Ostküste Afrikas wirtschaftliche Wurzeln hat: Wenn die Fischbestände vor den Küsten Afrikas durch europäische Travler leergefischt werden und so der einheimischen Bevölkerung die Lebensgrundlagen genommen werden, ist es verständlich, dass sich Menschen entscheiden bzw. dem Angebot folgen, sich zu bewaffnen und Schiffe zu kapern, um damit Geld zu verdienen. Boniface Mabanza ergänzte, dass der einzige Europäer, der im „Krieg“ gegen die Piraterie umgekommen ist, ein Franzose war, der durch französische Soldaten erschossen wurde, weil sich die französische Regierung auf keinen Fall auf Verhandlungen einlassen wollte und in einem brutalen Militäreinsatz ohne Rücksicht auf das Leben der Beteiligten das gekaperte Schiff „befreit“ hat. Solche Beispiele gebe es haufenweise.
Aus der ausdrücklichen Zustimmung der mehrheitlich muslimischen oder nichtreligiösen TeilnehmerInnen zu diesen Ausführungen von Michael Ramminger und Boniface Mabanza aus christlicher Perspektive wurde deutlich, dass es eine gemeinsame Wahrheit gibt, für die es sich zu streiten und zu kämpfen lohnt, nämlich die Überzeugung, dass es ein Recht auf Bewegungsfreiheit gibt, ein Recht, zu gehen, wohin man will, und ein Recht zu bleiben, wo man will, und ein Recht darauf, dort leben zu können. Außerdem hat der Workshop in seiner Grundstruktur – sehen der gesellschaftlichen Realität der Migration und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Menschen, urteilen aus den Quellen christlicher Tradition, handeln in Richtung auf Transformation der Gesellschaft – die Aktualität befreiungstheologischer Ansätze deutlich gemacht.