Politische Theologie in der Diskussion
Zur Kritik der postpolitischen Theologie
von Philipp Geitzhaus
veröffentlicht in: Institut für Theologie und Politik: Rundbrief Nr. 49, November 2018, S. 2-3. Geitzhaus Politische Theologie in der Diskussion
Die Politische Theologie befindet sich seit einiger Zeit wieder verstärkt in der Diskussion. Schnell wird dabei auf Begriffe von Johann Baptist Metz, wie die memoria passionis oder die Compassion, zurückgegriffen. Wie selbstverständlich wird dann auch von Politischer Theologie gesprochen, jedoch meistens um ihr kritisches Potential gebracht.
1969 – vor knapp 50 Jahren – veröffentlichte Helmut Peukert den für die Politische Theologie wichtigen Band „Diskussion zur politischen Theologie“, in dem verschiedene Theologen ihre Einsprüche und Anfragen an das Programm der Politischen Theologie von Johann Baptist Metz äußerten und auf die Metz mit einem ausführlichen Aufsatz reagierte. Ein zentraler Vorwurf war, dass die Politisierung der Kirche eine unzulässige Unmittelbarkeit zwischen Glaube und Politik evoziere. Der Aufsatz von Metz ist genau diesem Vorwurf begegnet, indem er darauf hinwies, dass solch eine Unmittelbarkeit im Moment der Kritik ausgeschlossen ist. Dieses Moment der Kritik geht davon aus, dass bestehende Verhältnisse, der jeweilige Status quo, auch der jeweilige Staat, geschichtlich geworden und veränderbar sind und unter einem eschatologischen Vorbehalt stehen.
Das Bewusstsein vom eschatologischen Vorbehalt muss als einer der folgenschwersten und wichtigsten Erkenntnisse der Politischen Theologie betrachtet werden, da so die Theologie als kritische Theologie konzipiert wurde. Als Kriterium dieses kritischen Denkens wurde die Kategorie des „unschuldigen Leidens“ eingeführt. Leiden beinhaltet – so Metz in Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und Marx – einen unhintergehbaren Imperativ des Nichtsein-sollens, weshalb ihm theoretische wie politische Autorität zukommt. Das Leid verweist immer auf die Widersprüchlichkeit des Bestehenden.
Postpolitische Theologie
Der Sammelband von 1969 versammelt noch explizit vorgetragene Kritik und Ablehnung. Heute hingegen wird die Politische Theologie von Metz umgarnt und vereinnahmt. Der Typus Politischer Theologie als kritische und dialektische Theologie wird zwar seit einigen Jahren weiterhin intensiv in Frage gestellt, jedoch häufig in Form der vordergründigen Zustimmung. So legte Ansgar Kreutzer im letzten Jahr eine Monographie unter dem Titel „Politische Theologie für heute. Aktualisierungen und Konkretionen eines theologischen Programms“ vor. Dabei handelt es sich jedoch weniger um eine Fortführung, denn um eine „(Neu-) Konturierung“ (Kreutzer, 31) der Politischen Theologie, die Inhalt und Methode fundamental verändert. Zwar findet sich bei ihm eine ausführliche kritische Würdigung der Metzschen Theologie, wodurch Zustimmung suggeriert wird. Er nimmt dabei jedoch fundamentale Verschiebungen von Inhalt und Methode vor, die als solche nur selten gekennzeichnet sind.
Eine zentrale Verschiebung praktiziert Kreutzer, wenn er die „Option für die Zivilgesellschaft“ einführt (Kreutzer, 14). In der Politischen Theologie wie auch in der Befreiungstheologie wird die Wirklichkeit sowie ihre Veränderbarkeit von der Autorität der Leidenden bzw. der Option für die Armen her gedacht. Diese Option bedeutet eine Perspektive und Positionierung „um der Armen willen“ (Norbert Arntz) im Hinblick auf das Ganze der Gesellschaft, die als kapitalistische Tauschgesellschaft identifiziert wird. Mit der „Option für die Zivilgesellschaft“ nimmt Kreutzer eine folgenschwere Verschiebung vor, insofern er der Perspektive und Positionierung um der Armen und Leidenden willen die Fokussierung auf die Zivilgesellschaft vorlagert. Die Zivilgesellschaft wird als gesellschaftlicher Teil jenseits der staatlichen Institutionen begriffen, nicht jedoch als Teil bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaft kritisch reflektiert. Im Gegensatz zu den Armen und Leidenden trägt die Zivilgesellschaft keinen Imperativ des Nichtsein-sollens in sich, sondern setzt gerade auf ihr Fortbestehen. Kreutzers Anliegen, arme Menschen zu integrieren, bedeutet dann eben immer die Integration in die bestehende Tauschgesellschaft, statt ihrer Infragestellung. Mit Verschiebungen wie dieser verändern Kreutzer und andere den Charakter der Politischen Theologie fundamental, weshalb ich vorschlage, von einem anderen Typus, behelfsweise von der unkritischen oder postpolitischen Theologie zu sprechen.
Theologie und Kritik
Selbstverständlich geht es in dieser „Typenunterscheidung“ verschiedener politischer Theologien nicht um irgendeine korrekte und reine Auslegung des Ansatzes von Metz. Das ist nicht notwendig, da Politische Theologie schon immer ein mehrstimmiges Gemeinschaftsprojekt war, in dem Metz zwar ein zentraler, aber nicht der einzige Akteur war und ist. Jedoch – und das ist viel wichtiger – zeichnet sich dieses Gemeinschaftsprojekt durch einige gemeinsame Grundzüge aus, die sie als besondere Form politischer Theologie charakterisiert. Zu diesen Grundzügen gehören sicherlich die Autorität der Leidenden, die damit verbundene solidarische Subjektwerdung aller, die Hoffnung auf den Gott, der rettet und das Denken im Modus der (Gesellschafts-)Kritik. Diese Grundzüge zeigen ein bestimmtes Verhältnis zur bestehenden Gesellschaft bzw. zu jeder Gesellschaft auf, in dem diese immer auf ihre Kontingenz und umfängliche Veränderbarkeit hin begriffen wird. Das Festhalten an diesem Modus der Gesellschaftskritik macht eine Auseinandersetzung mit der postpolitischen Theologie notwendig. Eine umfangreichere Studie dazu ist im ITP in Planung.
Literatur:
Geitzhaus, Philipp: Karl Marx grüßt die Politische Theologie. Zur Kritik der neuesten politischen Theologie, 2018. In: Ethik und Gesellschaft 1/2018.
Geitzhaus, Philipp/Ramminger, Michael: Gott in Zeit. Zur Kritik der postpolitischen Theologie, Münster 2018.
Kreutzer, Ansgar: Politische Theologie für heute. Aktualisierungen und Konkretionen eines theologischen Programms, Freiburg im Breisgau 2017.
Zum Autor:
Philipp Geitzhaus (1988), kath. Theologe. Er ist Mitarbeiter am Institut für Theologie und Politik und forscht zur Philosophie Alain Badious und der Politischen Theologie von Johann Baptist Metz und Kuno Füssel.