Geliebtes Amazonien, geliebte Welt

Michael Ramminger/ Julia Lis

Gut, viele KatholikInnen hätten sich von Franziskus deutlichere Worte zur Frage von Zölibat und Frauenpriestertum in seinem Schreiben „Querida Amazonia“ nach der Amazonas-Synode gewünscht. Diese Worte sind nicht gekommen. Was der Papst gesagt hat, wird unterschiedlich eingeschätzt: Pirmin Spiegel von Misereor sagt, dass Franziskus die Frage nach der Möglichkeit verheirateter Priester oder das Diakonat der Frauen an die Bischofskonferenzen zurückgegeben habe, das bischöfliche Hilfswerk Adveniat bedauert, dass er nicht deutlicher auf die Rolle der Frauen und die Zugangsvoraussetzungen (Zölibat/ Heirat) zum Priesteramt eingegangen sei.1 Frau Mesrian von der Fraueninitiative Maria 2.0 weist darauf hin, dass Franziskus die jahrzehntelangen Gemeindeleitungen von Frauen in Amazonien hervorhebt und den Klerikalismus in der römisch-katholischen Kirche kritisiert (vor dem auch Frauen nicht gefeit sind).2 Das sieht die bürgerliche Presse dagegen alles viel kritischer: Die Süddeutsche schreibt: „Papst Franziskus hat der Hoffnung vieler Katholiken auf eine Lockerung des Zölibats eine Absage erteilt.“3 Der Journalist Tilmann Kleinjung versteigt sich in seinem Kommentar sogar dazu, zu behaupten, die KatholikInnen seien enttäuscht und der Papst gefährde mit dieser Entscheidung die Kirche. 4 So auch Christiane Florin: „In gewisser Hinsicht ist Franziskus… ein ganzer Kerl. [Er] sagt klar: ‚Ich will das nicht‘. Auf diese Ehrlichkeit habe ich lange gewartet. Wenn ich ein Vöglein wär, würde ich sagen: Machen wir den Abflug.“5 Für sie scheint einzig die Frage des Frauenpriestertums eine Bekenntnisfrage zu sein, auf die sozialen oder ökologischen Dimensionen der Amazonienfrage geht sie mit keinem Wort ein. Ebenso eindimensional und provinziell äußerst sich der Katholische Frauenbund Brlin e.V.: „Keine Frauenweihe, keine Lockerung des Zölibats, paternalistische Sprache – das päpstliche Schreiben Querdia Amazonia befremdet auf ganzer Linie. Nun setzen wir mit ganzer Kraft auf den ‚Synodalen Weg‘, dass er mutig für längst fällige Gleichberechtigung eintritt.“6 Man versucht also den einzig auf Kirchenreform unter völliger Ausklammerung aller gesellschaftlichen Fragen vorgehenden Synodalen Weg jetzt als Lösung aller Probleme darzustellen. Der Diskurs unterscheidet sich nicht von dem der Konservativen und Reaktionäre, die auch einzig bejubeln, dass es keine Priesterinnen und viri probati gibt und alles andere einfach ignorieren und totschweigen, er ist sozusagen sein alter ego. Und die Zeit online titelt gewissermaßen zusammenfassend: „Der Papst läßt die deutschen Reformer im Stich“7

Wer läßt hier wen im Stich?

Die bürgerliche Öffentlichkeit – und vielleicht auch wirklich ein Teil des bürgerlichen Katholizismus und der Bischofskonferenz mögen wirklich denken, dass der Papst die deutschen KatholikInnen im Stich läßt, weil er sie in ihren Strukturreformen nicht unterstützt. Eine solche Kirche hätten sie wohl gerne: Eine, in der Struktur- und Reformfragen gleichberechtigt neben sozialen Fragen, ihnen vielleicht sogar übergeordnet erscheinen. Da macht Franziskus tatsächlich nicht mit. Schon in seinem Brief an die Deutsche Bischofskonferenz zum synodalen Prozess hatte er davor gewarnt, die Frage nach der Zukunft der Kirche nur an Struktur- und Amtsfragen festzumachen. Erinnern wir an den Brief des Papstes vom 29.06.2019 an die bundesdeutsche Kirche. Franziskus hatte sie darin ermuntert, im Reformprozess voranzugehen, zugleich aber auch gewarnt: „Es dürfe jedoch nicht um eine Anpassung an den Zeitgeist und rein strukturelle Fragen gehen.“ Franziskus begrüßt in seinem Brief den synodalen Prozess und mahnt zugleich aber, dass Evangelisierung sich nicht nur auf funktionalen, organisatorischen Wandel beschränken dürfe, sondern sich der „Heimsuchung durch den Herrn“ stellen müsse. Er kritisierte explizit und wohl sehr sensibel für die Versuchungen des bundesdeutschen Katholizismus, dass „… eine der ersten und größten Versuchungen im kirchlichen Bereich darin bestehe zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei, (…)“ Nicht umsonst haben ZdK und Deutsche Bischofskonferenz neben die vier Foren kein weiteres Forum zum Thema „Evangelisierung“ gestellt. Die Themen des synodalen Prozesses lauteten: 1. Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag, 2. Priesterliche Existenz heute, 3. Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche, 4. Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft. Vielleicht war die Beschränkung der Themen auch den innerkirchlichen Auseinandersetzungen mit den „heil“-los konservativen Vertretern unter den Bischöfen geschuldet, wohl aber auch der Überzeugung, dass der bundesdeutsche Katholizismus seinen Platz hinter dem bürgerlich warmen Ofen nicht verlassen könne, wolle oder brauche. Dass es eben nur um ein wenig innerkrichliche Demokratie, ein bisschen Aufarbeitung der Mißbrauchsgeschichten und Teilhabe der Frauen an den Ämtern, also am klerikalen Apparat ginge. Im Blick auf die dem Papst wichtigen Fragen der Zukunft der Welt haben die deutschen Bischöfe und mindestens das ZK der deutschen Katholiken den Papst aber ihrerseits im Stich gelassen. Man vergleiche dazu nur das damals prophetische Papier der Würzburger Synode 1974 „Unsere Hoffnung“. Damals hieß es: „Und wo die Unterdrückung und Not sich – wie heute -ins Weltweite steigern, muß diese praktische Verantwortung unserer Hoffnung auf die Vollendung des Reiches Gottes auch ihre privaten und nachbarschaftlichen Grenzen verlassen können. Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen!“8

Man muss sich empören

Franziskus dagegen ist der Überzeugung, dass die Amazonassynode keine einzig regionalen Probleme aufgreift, sondern Themen, die von globaler Bedeutung sind (Querida Amazonia 5): die konkreten Begebenheiten mögen zwar variieren, weisen aber in einer globalisierten Welt zugleich strukturelle Parallelen auf. Wichtig und bemerkenswert ist die Schwerpunktsetzung seines Textes: die Priorität bei der Amazonasproblematik liegt für ihn auf dem Schutz der Rechte der Ärmsten und von deren Würde, dann kommt die Kultur ins Spiel, dann die Ökologie und erst am Schluss geht es um christliche Gemeinschaften. Das macht deutlich, dass Kirche für Franziskus kein Selbstzweck ist, sondern im Dienst am Menschen und der Welt, auch im Sinne der Schöpfung steht.

Und was dieWelt angeht: „Man muss sich empören,[10] so wie Mose zornig wurde (vgl. Ex 11,8), so wie Jesus zürnte (vgl. Mk 3,5), so wie Gott angesichts der Ungerechtigkeit in Zorn entbrannte (vgl. Am 2,4-8; 5,7-12; Ps 106,40). Es ist nicht gesund, wenn wir uns an das Böse gewöhnen, es tut uns nicht gut, wenn wir zulassen, dass unser soziales Gewissen betäubt wird, während »immer mehr Spuren der Verwüstung, ja sogar des Todes in unserer gesamten Region […] das Leben von Millionen Menschen und speziell den Lebensraum der Bauern und Indigenen in Gefahr [bringen]«[11]. Mit diesen Worten stellt sich der Papst sehr eindeutig und aus einer (befreiungs-)theologischen Motivation auf die Seite des Protestes gegen Ungerechtigkeiten, wie ihn die Sozialen Bewegungen betreiben. Das geht weit hinaus über den Aufruf zu einer Politik, wie sie NGOs oft betreiben, die auf Interessensausgleich und Verhandlungsbereitschaft setzt. Den Einsatz für Gerechtigkeit knüpft Franziskus an die Bereitschaft über die Grundlagen der Gesellschaft nachzudenken: Dabei stellt er auch ein Menschenbild infrage, dass Autonomie mit Beziehungslosigkeit gleichsetzt und die radikale Verwiesenheit der Menschen aufeinander leugnet. Das weist in Richtung einer Kritik an der Vorstellung eines männlichen, bürgerlichen Subjekts wie sie für die europäische Moderne prägend war. Dem entgegen setzt Franziskus ein Bild, in dem Autonomie und Verwiesenheit der Menschen aufeinander und auf die Natur vermittelt werden. Zentral pocht Franziskus auf Selbstbestimmung und Partizipation: ein sozialer Dialog darf nicht bedeuten, dass einige wenige Pläne für viele machen. Diese Deutlichkeit verweist auf ein basisdemokratisches Verständnis, das über das Demokrativerständnis parlamentarischer Demokratien hinausweist. Die Gerechtigkeitsvision von Querida Amazonia ist dabei durchaus erwähnenswert, besonders wenn man sie eben im Lichte von Evangelii Gaudium, Laudato Si und den Welttreffen der Sozialen Bewegungen liest: Es geht um eine Kritik der kapitalistischen Moderne im Lichte der indigenen Kultur, ohne dass diese romantisiert oder unkritisch überhöht wird. Neben den Wirtschaftsstrukturen problematisiert der Papst aber die Struktur modernen Gesellschaft, insofern sie eine Gemeinwohlorientierung vermissen lässt und auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht. Der Papst lehnt auch eine Gegenüberstellung von Erster und Dritter Welt, internationalen Unternehmen und nationaler lateinamerikanischer Wirtschaft und Politik ab: es würden Verbrechen und Ungerechtigkeit von internationalen wie nationalen Unternehmen begangen.

Eine verbeulte Kirche? Nicht in der Bundesrepublik

Um es klarzustellen: natürlich gibt es keinen theologisch gewichtigen Grund, die Frauen von den Ämtern in der Kirche auszuschliessen, natürlich ist die klerikale Struktur der Kirche nicht zukunftsfähig. Aber wer glaubt, dass Frauen als PriesterInnen und ein Ende des Zölibats automatisch in die Nachfolge Christi (wie sie Franziskus beschreibt) führen, hat wohl noch nie ernsthaft die Bibel gelesen. Im Gegensatz zum Papst. Seine eindeutigen Aussagen zur „sozialen Frage“ in „Querida Amazonia“, wie es Tilman Kleinjung in seinem Kommentar nennt, stehen der Struktur der Kirche nicht als ein weiteres Thema gegenüber. Ganz im Gegenteil: Jede Struktur- und Ämterfrage muss sich von den notwendigen Form einer Kirche in der Nachfolge Christi definieren. Das wird den wenigsten in unserer Gesellschaft passen, in der Kirche oder außerhalb. Nicht der Papst läßt die deutschen KatholikInnen im Stich, sondern die deutsche Kirche – und große Teile der bundesdeutschen Gesellschaft – lassen die Menschen in der Welt, nicht zuletzt in Amazonien im Stich: mit ihrem Wohlstandschauvinismus, mit ihrem Beharren auf kapitalistischer Weltökonomie, einem Industrialismus, der nicht nur im Regenwald, sondern auch im rheinischen Braunkohlerevier sinnlose und zukunftslose Zerstörungen anrichtet und dem Aussitzen des alltäglichen Sterbens der Flüchtlinge im Mittelmeer und der widerlichen Kumpaneipolitik mit der Türkei. Evangelii Gaudium („Diese Wirtschaft tötet), die radikale Umkehr angesichts des Klimawandels (Laudato Si) und die Überwindung der globalisierten Gleichgültigkeit (Lampedusa): Das sind die Wegmarken des Pontifikates von Franziskus. Wer seine Unterstützung in Kirchenreformfragen will, sollte ihn seinerseits wenigstens auch ein bisschen in seinem prophetischen Bemühen unterstützen. Das wäre Kirchenreform. All das aber spielt in den gegenwärtigen Diskussionen kaum eine Rolle.9 Eine verbeulte Kirche, die sich dem traurigen Kapitalismus und seiner Zukunftslosigkeit entgegenstellen würde, mögen sich so recht bei uns die wenigsten vorstellen. Unser Lesetipp: ISBN 9783460440036

Anmerkungen:

1https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2020-02/misereor-advenita-apostolische-exhortation-papst-amazonien.html

2https://www.domradio.de/themen/bischofssynode/2020-02-12/koennen-jetzt-alle-einfach-machen-maria-20-begruesst-papstschreiben-zur-amazonassynode

3https://www.sueddeutsche.de/politik/missbrauchsskandal-katholische-kirche-1.4794795

4https://www.facebook.com/tagesschau/videos/192039322200075/

5Zit. Nach: https://de.catholicnewsagency.com/story/gemischte-reaktionen-auf-querida-amazonia-5758

6Zit. Nach: https://de.catholicnewsagency.com/story/gemischte-reaktionen-auf-querida-amazonia-5758

7https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/papst-franziskus-priesterweihe-frauen-zoelibat-bischoefe-deutschland

8https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/Synoden/gemeinsame_Synode/band1/03_Unsere_Hoffnung.pdf

9Vielen Dank Schwester Kaschner: „… die Christen im Amazonas sind unsere Glaubensgeschwister und Teil der Weltkirche. Was dort geschieht, auch an Elend und Ungerechtigkeit, an Missbrauch und Ausbeutung von Mensch und Natur, an pastoraler Not – all das darf uns nicht gleichgültig sein. Aber wir dürfen diese ernsten Herausforderungen im Amazonas nicht wie Trittbrettfahrer für unsere deutschen bzw. europäischen innerkirchlichen Streitfragen missbrauchen.“ Interview im Domradio: https://www.domradio.de/themen/bischofssynode/2020-02-12/nordische-generalsekretaerin-zum-papstschreiben-querida-amazonia