Ein Nachruf von Norbert Arntz
Nach langen Jahren des Schweigens, am Ende eines reichhaltigen und viele andere bereichernden Lebens ist Hans Küng am Osterdienstag gestorben. Gemeinsam wollen wir als ITP ihn hier erwähnen. Das meint „Conmemoratio“; das macht ihn gegenwärtig. Die Erinnerung an jeden Toten ist ambivalent. Sie vermag zwar dankbar vergangene Episoden ins Bewusstsein zurückholen, kann den Toten aber nicht zum Leben erwecken. Die Anwesenheit der Erinnerung macht die Abwesenheit des Erinnerten nur umso schmerzlicher bewusst. Was war, ist gewesen und wird nicht mehr sein können. Daher empfinden wir mit der Dankbarkeit zu gleich Trauer und Melancholie.
Hans Küng bei der Konziliaren Versammlung 2012 in Frankfurt am Main aus Anlass des 50. Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils, die das ITP mitveranstaltet hat. Foto: Ralf Heinrichs.
Doch weil das, was ist, nicht alles ist, erinnern wir uns – zusammen mit dem toten Hans Küng – zugleich eines Versprechens, für das er sein Leben verpfändet hat:
Christ sein bedeutet: In der Nachfolge Jesu Christi in der Welt von heute wahrhaft menschlich leben, handeln, leiden und sterben – in Glück und Unglück, Leben und Tod gehalten von Gott und hilfreich den Menschen.
Für dieses „Glaubensbekenntnis“ gibt es ein Versprechen, auf dem wir mit Hans Küng beharren: Einmal wird der Tod nicht mehr sein, ist versprochen. Einmal werden Trauer und Klage nicht mehr sein, ist versprochen. Einmal werden die Toten leben, ist versprochen. Einmal wird es sein, dass die Wüste blüht und die Steppe jubelt. Einmal wird es sein, dass die Tränen getrocknet sind und dass ein Lachen auf unseren Lippen ist, das nicht mehr auf Kosten anderer gelacht wird. Weil wir die Opfer nicht Opfer sein lassen können, sagen wir, dass der Tod entmachtet ist – jetzt schon!
Also leihen wir uns bei den Toten diese Sprache, die eher Fremd-Sprache als eigene ist. Aber angesichts des Todes ist jede Fremdsprache besser als die Stummheit. Neben der Hoffnungssprache der Bibel auch die des nunmehr toten Hans Küng. Wir lesen noch einmal die Worte, die er bei einer unserer letzten Begegnungen an uns gerichtet hat. Am 18. Oktober 2012 eröffneten wir in Frankfurt/Main die Konziliare Versammlung zum Gedenken an die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils fünfzig Jahre zuvor. Unter der Maxime „Hoffnung und Widerstand“ versammelten sich in der Paulskirche wenige Monate vor dem Pontifikatswechsel mehr als tausend Menschen. Dabei hielt Hans Küng uns die Rede, deren ersten und letzten Abschnitt wir hier noch einmal zitieren. Sie ist für uns – neben vielem anderen aus seinem Wirken – ein Vermächtnis:
„Als altes Schlachtross im Kampf um das Konzil danke ich Ihnen, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, dass Sie mich noch als kampfestüchtig und kampfesfreudig einschätzen. Gemeinsam sind wir stark, und ich freue mich, dass es gelungen ist, kleine Reformgruppen und große Reformbewegungen zu versammeln: vom Institut für Theologie und Politik (Münster) bis zur KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“, zur Initiative „Kirche von unten“, zur Leserinitiative „Publik-Forum“ und viele andere aus dem Inland und sogar dem Ausland. Denn Kirchenreform und Gesellschaftsreform, Ökumenismus ad intra und Ökumenismus ad extra gehören zusammen. Und ich freue mich, gerade hier in der Paulskirche, dem Tagungsort des ersten verfassungsgebenden Parlaments von Deutschland, sprechen zu dürfen. Möge dieser für die deutsche Demokratie repräsentative Bau, der in einem mörderischen, verbrecherischen Krieg zerstört und doch nach 1949 wieder aufgebaut wurde, zum Symbol werden auch für die weithin zerstörte und wieder von unten aufzubauende ursprüngliche Demokratie in der katholischen Kirche. […]
Ich darf für mich das Wort Friedrich Schillers in Anspruch nehmen: Ich habe „die Träume meiner Jugend nicht verraten“: nicht den Traum von einer Erneuerung der Kirche und einer Einheit der christlichen Kirchen, nicht den Traum vom Frieden zwischen den Religionen und Zivilisationen und nicht den Traum von einer echten Gemeinschaft der Nationen. Diese Träume mögen jetzt von den nachfolgenden Generationen geträumt werden, und ich hoffe, dass das Wort des Propheten Joël vom Ausgießen des Geistes Gottes in neuer Weise in Erfüllung geht: „Und Eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, eure Alten werden träumen, eure jungen Männer aber werden Visionen haben“ (Joël 3,1). Ich wünsche Ihnen allen von Herzen: Lassen Sie sich bei allen Enttäuschungen nicht entmutigen. Kämpfen Sie zäh und tapfer weiter in vertrauendem Glauben und bewahren Sie angesichts aller Trägheit, Torheit und Resignation die Hoffnung auf eine Kirche, die wieder mehr aus dem Evangelium Jesu Christi lebt und handelt. Und vergessen Sie bei allem Zorn, Streit und Protest die Liebe nicht!“