Vom 6.-15.11. fand in Venezuela an verschiedenen Orten zum dritten Mal ein internationales Forum für Philosophie statt. Idee dieses Forum ist es, Fragen des Widerstandes und von Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. Veranstalter ist das venezuelanische Kulturministerium, dass damit eine öffentliche Debatte über Zukunft von Demokratie und Gerechtigkeit initiieren will. Die TeilnehmerInnen kommen aus allen Kontinenten der Welt, auch einige wenige EuropäerInnen waren dabei. Es sind fast ausschließlich PhilosophInnen und SozialwissenschaftlerInnen, die neben ihrer Forschungstätigkeit auch politisch an der Seite von sozialen Bewegungen engagiert sind. Das Forum will also keine abstrakte Debatte führen, sondern von konkreten Wirklichkeiten aus theoretische Beiträge liefern.
Dazu gehörte auch, dass die TeilnehmerInnen in den verschiedenen Bundesländern Venezuelas öffentliche Debatten über Fragen wie Reform versus Revolution, kulturelle Identität und Sozialismus, Humanismus und Emanzipation führten. Im folgenden hier die Abschlusserklärung des Forums, die im Kontext der Beschimpfungen von Präsident Chavez durch den spanischen König und der anstehenden Volksabstimmung über die Verfassungsreform stand:
Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen
Abschlusserklärung des III. Internationalen Forums für Philosophie in Venezuela (06.-15.11. 2007)
Wir erleben zur Zeit wachsenden Widerstand gegen das neoliberale Modell auf allen Kontinenten, einen Widerstand, der unvermeidlicherweise das kapitalistische System und die imperiale Macht in Frage stellt. Im Falle Lateinamerikas übersetzt sich diese Bewegung in wachsende soziale Aufstände in verschiedenen Ländern. Es ist eine Bewegung, die sich wie in Venezuela und anderen Ländern immer offener dem Imperialismus, den transnationalen Konzernen, seinen Ideologen, seinen Königen und Präsidenten und seinen Massenkommunikationsmitteln entgegenstellt.
Der venezolanische Prozess, der kompromisslos voranschreitet, verschärft die Notwendigkeit, den Horizont zu definieren, auf den wir uns zu bewegen, und der zunehmend als Sozialismus des 21. Jhdts. bezeichnet wird. Um über diese zukünftige Gesellschaft, ihre Form und ihren Aufbau nachzudenken, haben wir uns auf diesem Forum für Philosophie getroffen: Intellektuelle und Aktivisten aus Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika und Nordamerika.
Wir haben uns in Venezuela und all seinen Bundesstaaten getroffen, weil hier die gesellschaftlichen Widersprüche – die internen als auch die internationalen – am zugespitztesten sind. Genau den Präsidenten dieses Volkes wollte ein kolonialer und von Franco ernannter König zum Schweigen zwingen und gemeinsam mit genau diesem Präsidenten sagen wir den Mächtigen dieser Welt: Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen.
In unserer gemeinsamen Reflexion über Humanismus, Revolution und Sozialismus sind wir zu einigen Schlussfolgerungen gekommen, die uns, so hoffen wir, als Ausgangspunkt dienen werden:
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Gegenüber einem kapitalistischen System, dass durch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gekennzeichnet ist, durch die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen, durch die Destrukturierung der indigenen Kulturen, die Zerstörung des Lebens und durch die Entfremdung, gibt es keinen dritten Weg. Nur der Sozialismus ist die Aufhebung und die Überwindung des Kapitalismus.
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Der Sozialismus des 21. Jhrdts. muss die unbestreitbaren Errungenschaften des Sozialismus des 20. Jhrdts. zurückgewinnen und wertschätzen, vor allem die Aufhebung der Ausbeutung und den für alle freien Zugang zu Bildung, Gesundheit und anderen öffentlichen Gütern. Gleichzeitig aber müssen wir natürlich auch seine Widersprüche und Unzulänglichkeiten überwinden: wie z.B. die exzessive Begeisterung für Entwicklung als ökonomischem Fortschritt, einem durch Bürokratie degenerierten Staat, die Verachtung der Unterschiedlichkeit und die Naturvergessenheit.
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Wir setzen daher auf einen menschlichen Sozialismus, einen praktischen und nicht nur philantropischen, auf einen dekolonisierenden, kosmozentrischen, einen multi- und plurikulturellen und gemeinschaftlichen Sozialismus; d.h. auf einen befreienden, partizipativen und alle Gerechtigkeit voranbringenden Sozialismus. Und in Konsequenz verpflichten wir uns in jedem unserer Länder und wo auch immer wir gerade sind, gegen die imperialen Kriege, die Interventions- und Putschandrohungen, gegen die generelle Folter, die Spionage, die Manipulation der Information, die Kriminalisierung der sozialen Bewegungen, die Naturzerstörung und gegen alle Verletzung von Menschenrechten zu kämpfen.
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Sozialer Wandel und die sozialen Bewegungen, die ihn vorantreiben, sind eng verbunden mit der Notwendigkeit von Verfassungsdokumenten, die der juristische Ausdruck der Kämpfe der Völker sind. Dieses internationale Forum stellt fest, dass Venezuela diese Tradition und ihre revolutionäre und sozialistische Möglichkeit aufnimmt. Genau deshalb ist die nächste Verfassungsreform Ziel politischer Belagerung und Meinungsmache in den Medien. Dieses Forum prangert entschieden solche Manöver an und weist die Blockade der Medien und die Falschinformationen zurück, deren Zeuge wir in allen Bundesländern Venezuelas geworden sind, wie es auch in unseren Ländern ist.
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Wir verpflichten uns in dieser Linie kritischen Reflexion fortzufahren und die Befreiungs- und Widerstandsbewegungen in allen Ländern der Welt weiter zu begleiten. Und bekräftigen: Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen.
Maracaibo/ Venezuela, November 2007