Im Rahmen des Weltsozialforums und unter Federführung des Zentrum Martin Luther King aus Havanna/Cuba kam es zu einer dreistündigen Diskussionsveranstaltung über „Glaube und revolutionäres Engagement“. An der Diskussion nahmen als ReferentInnen teil: die brasilianischen Theologen Frei Betto und José Comblin, der Soziologe Francois Houtart, Daisy Rojas vom Zentrum Martin Luther King und Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik.
Daisy Rojas blickte zurück auf die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirchen in Cuba. In der Zeit vor der Revolution, also in den 50er Jahren, waren weitaus weniger Priester in der Pastoral als in der Erziehung, in Schulen und Universitäten tätig gewesen. Alle Priester und Bischöfe aber waren – ein Erbe des spanischen Kolonialismus – Nicht-Cubaner. Mit der Revolution hat der Staat das Erziehungswesen zur staatlichen Aufgabe erklärt, wodurch den kirchlichen Schulen die Existenzgrundlage genommen wurde, was zum offenen Konflikt geführt hat. In diesem Zusammenhang wurde in der anschließenden Diskussion daran erinnert, dass es gleiche Konflikte in den 80er Jahren in Nicaragua und heute in Ecuador und Bolivien gibt. Als wichtige Daten für die Änderung des Verhältnisses von Kirche und Staat in Cuba nannte Daisy eine Predigt Fidel Castros in einem Gottesdienst anläßlich eines Cuba-Besuchs des damaligen (schwarzen) US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Jesse Jackson und das Buch „Nachtgespräche mit Fidel“ des brasilianischen Dominikaners Frei Betto.
Frei Betto erzählte von einigen seiner Begegnungen mit der cubanischen Revolutuion, von seinen Diskussionen mit Fidel Castro über Glaube und Kirche, seine Vermittlung zwischen Bischöfen und Regierung in Cuba. Dabei betonte er als eine Quintessenz, dass Kirche weder Kirche des Kapitalismus noch Kirche des Sozialismus sei. In diesem Sinne seien vor allen Dingen die Kirchen heute gefragt, ihre „Sakramentalisierungen“ des politischen Systems Kapitalismus aufzugeben. In der anschließenden Diskussion ergänzte Frei Betto als Antwort auf die Frage nach der gegenwärtigen Situation und Spiritualität der Theologie der Befreiung, dass er den Eindruck habe, mit einem Rückgang der Basisgemeinden und der verbindlich Engagierten, habe die Theologie der Befreiung in gewissem Sinne den Boden unter den Füssen verloren, die Organisationsstruktur müsse wieder gestärkt bzw. neu aufgebaut werden. Auch sei die „Avanguard“ der Theologie der Befreiung inzwischen „alt“ geworden, der Individualismus der neoliberalen Erziehung habe in gewisser Weise die Quelle des Engagements ausgetrocknet. Und die Pädagogik eines Paulo Freire zur Ausbildung von Engagierten, von Revolutionären im positiven Sinne sei vernachlässigt worden. In diesem Zusammenhang wies er auch auf bleibende und ständige Aufgabe der Formation von Menschen in Cuba hin: Nur zu sagen, man sei Revolutionär, reiche nicht aus.
Michael Ramminger begründete am Beispiel der „Geschichte“ des Engagements im Institut für Theologie und Politik die Hinwendung zu linken sozialen Bewegungen und die Beteiligung an deren Protesten und Kämpfen. Die Kirchen, die bürgerlichen Gemeinden haben sich in den 90er Jahren, in der Zeit neoliberaler Hegemonie, ihrer politischen Verantwortung entzogen. In ihnen blieb kein Handlungsspielraum für linke, anti-neoliberales Engagement, was zur Gründung des Instituts und damit zur Bildung eines Aktions- und Reflexionsraumes geführt habe. Theologie sei in diesem Zusammenhang in zwei Richtungen wichtig: nach innen als Selbstvergewisserung und nach außen als Kritik bestehender Verhältnisse. Das politische Engagement im Institut sei vor allen Dingen getragen durch die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen in Deutschland und durch die internationalen Kontakte und Kooperationen, wie die mit dem Centro Memorial Martin Luther King in Havanna. Mit dem CMMLK sind in den vergangenen Jahren immer wieder gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt worden, so während der Weltsozialforen in Porto Alegre, Nairobi und jetzt in Belem, aber auch in Havanna und in Münster. Einer der wichtige Punkte, der auch die Arbeit des ITP inhaltlich deutlich macht, war die Zusammenarbeit in der Kampagne „Die Todsünden der G8“ vor und während des G8-Gipfels in Heiligendamm 2007.
José Comblin diagnostizierte, dass das Grundproblem der Katholischen Kirche der Klerikalismus und der römische Zentralismus seien. Diese sind nach dem II. Vatikanischen Konzil nicht ausreichend überwunden worden. Dieses System ist „doktrinär“ und „autoritär“, die katholische Doktrin sei Herrschaftsdoktrin, vor deren Ende wir nun aber stehen. Es breche ein Zeitalter der Geschwisterlichkeit an, das zunächst geprägt sei vom Kampf gegen das Imperium und gegen die Autoritäten. Das Christentum habe in seiner Geschichte zwei „Wandlungen“ durchgemacht: Die frühchristliche Hoffnung auf das Reich Gottes sei in Herrschaft und Administration umgewandelt worden und das Christentum sei in eine Religion umgestaltet worden. Es sei nun Zeit für eine Laienkirche des 3. Jahrtausends, die sich in der Ausbreitung der Laienbewegung bereits zeige. Für Jesus habe es nur die Macht des Wortes und die Macht der Liebe gegeben. In der nachfolgenden Diskussion merkte Michael Ramminger an, dass wir die Bedeutung der verfassten Kirche bei aller Problematik nicht leichtfertig unterschätzen dürften, da sie eine wichtige Rolle in der Weitergabe des Glaubens und der Hoffnung spiele.
Francois Houtart kam auf das revolutionäre Cuba zurück und bestätigte mit sozialwissenschaftlich erhobenen Zahlen die Verflechtung der Kirche vor der Revolution mit der Diktatur. In der cubanischen Revolutionsgeschichte werde deutlich: Revolutionäres Engegement trifft immer auf Hegemonie und die sie von Sicherheiten und Überzeugungen geprägt. Die heutige Zeit ist aber eine Zeit der Unsicherheiten, der Suche, der Frage nach Alternativen, was das revolutionäre Engagement erleichtere, in Zeiten der Unsicherheiten gibt es mehr Möglichkeiten zum Dialog. Auf die Frage nach der aktuellen Weltwirtschaftskrise legte Houtart dar, dass es sich um eine globale Krise handelt, um eine Krise der Zivilisation, die mehr als die Finanzen und die Wirtschaft betrifft. Diese Krise treffe aber auf eine schwache bzw. kaum organisierte Arbeiterklasse. Aus der Krise ergebe sich die grundlegende Notwendigkeit einer fundamentalen Umkehr, vor allem auch, und das betreffe die Theologie, in der zugrundeliegenden Philosophie: es geht um das Verständnis des Lebens. Die neben anderen notwendige ökonomische Reorganisation müsse den Gebrauchswert vor den Marktwert stellen, also die ökonomische Logik umkehren. Und es gehe um Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche, nicht nur der Politik. Leider fehle es zur Zeit an einer Kohärenz, an einer gemeinsamen Utopie, auf die alle Bemühungen ausgerichtet werden können.