Impuls von Julia Lis (ITP) zu Jes 9, 1-6 beim Gottesdienst mit einer internationalen Delegation von Arbeitergeschwistern am 03. September 2021 in Lützerath am Tagebau Garzweiler
Regelmäßig finden Dorspaziergänge und Gottesdienste der Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ an der Tagebaukante und in den bedrohten Dörfern statt. Foto: Barbara Schnell
Der Text Jesaja 9, 1-6 ist ein adventlicher Text: die prophetische Verheißung der Ankunft eines Messias, mit der die Hoffnung auf neue Zeiten verknüpft ist: auf eine Herrschaftsform, die nicht mehr auf Ausbeutung, Ungleichheit und Ungerechtigkeit beruht, sondern auf Recht und Gerechtigkeit. Die Hoffnung auf solche neuen, anderen Zeiten, in denen das Recht nicht mehr die Profite der wenigen schützt, sondern Gerechtigkeit für alle schafft und fördert, verbindet uns heute mit den Menschen, die zur Zeiten des Propheten Jesaja lebten und Knechtschaft, Ausbeutung, den Terror der Militärs sowie Unterdrückung und Ungleichheit aus ihrer eigenen Alltagserfahrung kannten. Hier, in Lützerath, am Rande der Grube, mitten im Rheinischen Braunkohlerevier wo die Zerstörung so alltäglich, so sichtbar und spürbar ist und uns immer wieder verzweifeln lässt, spüren wir auch die Kraft dieser Sehnsucht danach, dass doch alles anders sein könnte: dass hier in den Dörfern die Häuser und Kirchen doch noch stehen bleiben, dass hier neues Leben einzieht, dass wir nicht einfach die Klimakatastrophe immer weiter vorantreiben, sondern dass eine Umkehr möglich wird, mit der eine radikale, d.h. von der Wurzel her gedachte Veränderung unserer ökonomischen und politischen Strukturen, aber auch unserer Kultur, unserer Beziehungen zueinander uns unserer Lebensweisen einhergeht.
Eine Hoffnung, die so groß ist, dass ihre Erfüllung sehr weit weg zu sein scheint. Wie soll das möglich sein? Und hier kommen wir dann wieder auf die messianischen Verheißungen der Bibel: sie reden von der Hoffnung auf eine Welt, wie es sie nicht gab und nicht gibt. Aber dennoch meinen sie keine jenseitige und auch keine rein innerliche Erfahrung oder Wirklichkeit, sondern zielen ab auf diese Welt: Diese, unsere Welt ganz anders!
Die Erfüllung dieser Hoffnung können wir sicher nicht aus eigener Kraft erreichen, das merken wir hier immer wieder schmerzlich. So sehr wir uns auch bemühen, so viel wir auch tun, so viele Gottesdienste, Aktivitäten hier stattfinden, sie können alle nicht einfach bewirken, dass sich hier etwas verändert und dass diese Veränderungen vor Ort und im Kleinen zum Motor einer großen Veränderung werden, die dazu führt, dass die Klimakatastrophe aufgehalten werden kann. Aber dennoch können wir das erhoffen und voller Sehnsucht darauf warten, dass es möglich wird. Dieses Warten hat dabei nichts resigniertes oder passives, es ist ein engagiertes und aktives Warten und wenn wir auch nicht dadurch einfach die von uns erhofften Veränderungen herbeiführen können, so könnten sie vielleicht ohne ein solches aktives Warten auch nicht geschehen. Ausdruck dieses Wartens sind für uns bei der Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ in besonderer Weise unsere Gottesdienste: Sie helfen uns die Hoffnung nicht aufzugeben, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, gerade weil sie deutlich machen, dass diese Hoffnung eine Geschichte hat, dass die Kämpfe der Menschen gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit nicht erst heute begonnen haben und das darin bei allem Scheitern eine Sehnsucht nach einer anderen Welt durch die Jahrhunderte weitergetragen wird. Was wir erleben, erhoffen, erbitten ist in diese lange Geschichte eingewoben, von der wir hoffen, dass sie weitergeht, bis zu jenem Moment, in dem alle, die im Dunkeln von Zerstörung und Verzweiflung gelebt haben, wirklich ein Licht sehen, dass sie aufleben und jubeln lässt.
Jes 9, 1-6
Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. Du erregst lauten Jubel und schenkst große Freude. Man freut sich in deiner Nähe, wie man sich freut bei der Ernte, wie man jubelt, wenn Beute verteilt wird. Denn wie am Tag von Midian zerbrichst du das drückendeJoch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers. Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft,jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist,wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott,Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.
Seine Herrschaft ist groß und der Friede hat kein Ende. Auf dem Thron Davidsherrscht er über sein Reich; er festigt und stützt es durch Recht und Gerechtigkeit, jetzt und für alle Zeiten. Der leidenschaftliche Eifer des Herrn der Heere wird das vollbringen.