Predigt zum Gottesdienst von „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ am Ostermontag 2021 in Lützerath / Rheinisches Braunkohlerevier
von Julia Lis, ITP
Es ist nicht vorbei! Das fasst zusammen, was die beiden JüngerInnen (wir wissen nicht, ob es Männer oder Frauen waren) in Emmaus und auf dem Weg dorthin erleben. Ein Erlebnis, eine Erfahrung, die vieles, vielleicht alles verändert.
Wir stehen hier an der Mahnwache Lützerath, einem Ort, der für viele von uns in den letzten Monaten vieles, vielleicht auch entscheidendes verändert hat. Inmitten der um sich greifenden, fortschreitenden Zerstörung, die hier handgreiflich wird, wenn wir uns erinnern, wie es hier noch im Sommer aussah und wie es heute ist, ist ein Ort des Protestes und der Begegnung entstanden, ein Hoffnungsort inmitten der Zerstörung, denn Emmaus liegt bei Lützerath.
Die JüngerInnen aus dem heutigen Evangelium sind vermutlich auf der Flucht, sie gehen nicht einfach spazieren. Nach der Hinrichtung Jesu durch die Herrschenden, die Römer, die ihn ans Kreuz geschlagen haben, was die übliche Strafe für Aufständische war, ist es in Jerusalem brandgefährlich für alle, die sich der gleichen Bewegung wie er angeschlossen haben. Zu fliehen oder sich zu verstecken sind angesichts der Angst vor Verfolgung und Tod die beiden Alternativen.
Die Geschichte vom Emmausgang ist daher nicht einfach ein frommer Bericht von einer Begegnung mit Jesus sondern sie teilt eine Erfahrung mit, die für die JüngerInnen alles verändert: Es ist nicht vorbei!
Am Anfang aber steht eine Erfahrung, die die beiden schier verzweifeln lässt: Wir aber hatten so gehofft….und es war umsonst: Der, dem sie sich anschlossen, weil sie auf Befreiung Israels aus der Unterdrückung hofften, den sie für den Messias hielten, mit dem neue Zeiten anbrechen, er ist tot.
Wir hatten so gehofft…und es war alles umsonst.
Liegt nicht auch in diesem Sinn Emmaus eng bei Lützerath? Kennen wir diese Erfahrung nicht auch? Haben wir nicht auch immer wieder so gehofft: dass wir den Kampf um Lützerath gewinnen, dass die Häuser nicht abgerissen werden, dass irgendwas geschieht, was die Zerstörung aufhält? Und kämpfen wir nicht alle wenn wir wie am Karfreitag, wie vorhin mitten in Lützerath stehen, mit der Verzweiflung, mit dem Gefühl: es war alles umsonst, falls wir Lützerath vielleicht doch nicht mehr retten können, falls der Braunkohletagebau tatsächlich noch jahrelang weiter geht, noch nächste Gebäude und Dörfer abgebaggert werden? Haben wir nicht manchmal auch Angst sagen zu müssen, irgendwann, es ist vorbei, wir aber hatten gehofft?
Es sind zwei Dinge, die nach außen hin unscheinbar scheinen, die für die beiden JüngerInnen alles verändern:
Es ist das Gespräch auf dem Weg, das sie die Perspektive wechseln lässt und ihre Erfahrung einordnet in einen größeren Kontext, in die lange Geschichte der Kämpfe Israels um Ausgang aus der Unterdrückung und Befreiung. Das ist keine Erfolgsgeschichte, sie ist immer wieder verbunden mit Scheitern und Niederlagen. Was aber gibt ihnen dann das recht, gerade an diesem Punkt zu sagen: es ist vorbei, aufzugeben, diese unfertige Geschichte der Kämpfe um Befreiung nicht weiterschreiben zu wollen? Vielleicht ist es diese Frage, die am Ende des Tages als sie in Emmaus ankommen, den beiden durch den Kopf geht: Ist es wirklich vorbei? Haben wir das Recht aufzugeben an diesem Punkt? War es richtig davonzulaufen, als hätten wir mit dem, was in Jerusalem passiert nichts mehr zu tun? Diese Fragen und Zweifel reichen für sich genommen jedoch nicht.
Erst in Emmaus verändert sich etwas entscheidendes, bei einer ganz einfachen alltäglichen Sache, dem Abendessen, bei dem sie das Brot mit einem Fremden teilen. Dieser alltäglicher Vorgang erinnert sie an etwas, was nicht auf der Ebene des Wissens liegt, sondern auf der Ebene der Erfahrung, einer Erfahrung von Solidarität und der Gemeinschaft. Und plötzlich fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen, sie haben eine Gewissheit bekommen: es ist nicht vorbei! Die Möglichkeit von Solidarität und Gemeinschaft, sie besteht weiterhin. Dafür zu kämpfen, weiterhin einzutreten, dass sie sich verwirklicht für alle, ist nicht umsonst. Sie erinnern sich wofür ihr Herz brennt, wie es das Evangelium ausdrückt. Der Messias, mit dem die neue Welt anbricht, ist nicht tot und begraben. Alles was sie mit ihm und durch ihn begriffen und erfahren haben, geht weiter: Die Möglichkeit dieser neuen Welt, die inmitten der Kämpfe anbricht, steht noch immer offen.
Diese Einsicht beflügelt die JüngerInnen so, dass sie vergessen wie müde sie sind, dass es Abend ist: sie rennen zurück nach Jerusalem, so sehr drängt es sie zu ihren MitstreiterInnen zurück, so erfüllt sind sie zu erzählen, was sie erfahren haben: Es ist nicht vorbei!
Kürzlich habe ich auf der online-Konferenz der Hilfsorganisation medico einen syrischen Aktivisten reden hören, der gefragt wurde, ob er glaube, dass die Perspektive einer positiven Veränderung in Syrien im Sinne von Menschenrechten für alle endgültig vorbei sei. Und er sagte darauf: die Revolution sei vorbei, wenn die RevolutionärInnen entscheiden, es sei vorbei. Das erinnert mich an die Erfahrung der beiden JüngerInnen: Es ist nicht vorbei! Es geht weiter, hier und heute!
Insofern ist es vielleicht auch eine offene Frage an uns, inwiefern Lützerath bei Emmaus, Emmaus bei Lützerath liegt. Welche Bedeutung haben für uns, für die Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten so viel in den Kampf um Lützerath gesteckt haben, die Erfahrungen, die wir hier machen können? Wird darin auch uns deutlich, dass was wir hier tun auch eine größere Perspektive hat? Dass es darin letztlich darum geht, sich der Klimakatastrophe, die global das Leben von Menschen und allen Lebewesen droht entgegenzustellen? Dass unsere Kämpfe hier in Lützerath, im Rheinischen Braunkohlerevier verbunden sind mit den weltweiten Kämpfen, dafür, dass diese Welt ein bewohnbarer Ort wird, in dem alles Lebendige Platz hat?
An eine solche Möglichkeit zu glauben, die Bewohnbarkeit der Welt für alle, ist Ausdruck einer Hoffnung die wir aus christlicher Perspektive als österlich bezeichnen können, im Wissen, dass wir sie mit sehr vielen NichtchristInnen teilen. Dass wir trotz der vielen Niederlagen an dieser Hoffnung nicht verzweifeln, dass sie uns immer wieder neu die Augen aufgehen lässt und uns im Herz brennt, das ist mein Osterwunsch an uns alle. Dann wird uns dieser Ort hier, die Mahnwache von Lützerath, selbst dann, wenn es ihn vielleicht eines Tages nicht mehr geben sollte, vielleicht immer mehr für uns zu Emmaus: dem Ort der uns eine Solidarität und Gemeinschaft hat erfahren lassen, die unsre Hoffnung groß machen, dass es nicht vorbei ist, dass sich aufzubrechen und weiterzumachen immer wieder lohnt, allem Scheitern und allen Niederlagen zum Trotz, und der uns dafür Kraft und Mut gibt. Amen – so sei es!