Zum Ende des Jahres 2022

Die Bilanzen zum Jahresende fallen düster aus: auf die Pandemie folgten in rascher Folge der Krieg in der Ukraine, Gaskrise und Inflation. Die Klimakatastrophe schreitet spürbar voran und es wird immer deutlicher, dass keine ernsthaften Versuche unternommen werden an ihrer Hauptursache, dem kapitalistischen Zwang zu Akkumulation und Verwertung, irgendetwas zu ändern.
Katastrophen also überall? Eine Dauerkatastrophe, in die wir zusehends schlittern und die es nur noch bestmöglich zu bewältigen gilt?

Angesichts der populär gewordenen Rede von der Zeitenwende sehen wir, dass die verbreitete Zustimmung zu dem, dass die Welt in den Modus der Katastrophe übergegangen zu sein scheint, paradoxerweise die politischen und ökonomischen Verhältnisse hierzulande geradezu stabilisiert: Die neue Zeit, die da kommt – so die Interpretation der Herrschenden – wird eine sein, in der wir von immer mehr Bedrohungen umgeben sind und somit auf Militär und Sicherheit setzen sollen sowie eine in der die Investition in neue Technologien unseren Lebensstandard sichert und die ökologische Krise abfedert. Sicherheit bedeutet in solchen Zeiten dann eben auch Repression gegen all jene, die sich dem politischen Kurs der Herrschenden nicht einfach fügen, sondern die Notwendigkeit von Protest und Widerstand erkennen, wie etwa momentan am Umgang mit den KlimaaktivistInnen von „Last Generation“ deutlich wird. Wer an menschenrechtlichen Standards festhalten möchte, wie es etwa das Grundrechtekomitee in seinem Statement zur Präventivhaft tut, welche wir selbst im Kontext der Proteste um das Kraftwerk Datteln-IV erfahren mussten und welche heute gegen „Last Generation“ angewendet wird, gilt dann schnell als gestrig, als noch nicht auf jene neuen Zeiten eingestellt.
In diesen düsteren Zeiten erinnern uns die adventlichen Texte unserer christlichen Traditionen umso mehr an jene andere, messianische Zeitenwende, die den Kriegen und der Zerstörung ein Ende setzen will und ein Leben in Fülle für alle möglich macht. An dieser Verheißung festzuhalten kann uns vielleicht ermutigen, uns nicht in die Erwartung der Katastrophe zu fügen, sondern am Kommen der anderen Welt weiter zu arbeiten. Das wünschen wir hier im ITP Ihnen, euch und uns für das Jahr 2023!

Die Unterbrechung denken

Ein Beitrag von Michael Ramminger in: Neue Wege 10/11.22

Die Gegenwart ist geprägt von Krisen und Katastrophen. Der Fortschritt kann es nicht richten. Hilft messianisch-apokalyptisches Denken weiter? Eine Auseinandersetzung mit den jüdischen Denkern Walter Benjamin und Gershom Scholem, Geistesverwandten von Margarete Susman.

Die Klimakatastrophe, der Abschied von der Vorstellung einer Welt ohne Kriege und jetzt schon Hunderte von kriegerischen Konflikten um Rohstoffe – von Öl über seltene Erden bis hin zu Wasser – verdunkeln die Zukunft. Das «Weiter-So» wird nicht wirklich in Frage gestellt wird. Können uns Überlegungen des jüdischen Philosophen Walter Benjamins (1892-1940) eine Antwort auf die zwanghaften und scheinbar aussichtslosen und in die Katastrophe laufenden kapitalistischen Prinzipien bereithalten? Die Unterbrechung denken weiterlesen

Die Schule brennt! Manifest für eine andere Bildung

11 Thesen für eine andere Bildung. Herausgegeben vom Arbeitskreis Religionslehrer*innen am ITPDie Schule brennt. Sie brennt lichterloh und verbrennt dabei die Hoffnungen und Träume von Kindern und jungen Menschen genauso wie die derjenigen, die angetreten sind, der nächsten Generation dabei zu helfen, sich zu bilden. Aus dem brennenden Gebäude stürzen Lehrende wie Lernende. Sie sind »ausgebrannt« und tragen kein »Feuer« mehr in sich. Was tun mit diesem brennenden Haus? Löschen wir es? Zündeln wir noch nach? Oder suchen wir nach der Brandursache? Wollen wir sie überhaupt finden? Was tun wir, wenn wir sie finden?
In unserem Schulalltag setzen wir Lehrer*innen uns täglich mit veränderten Realitäten von Kindern und Jugendlichen auseinander, wir haben mit unterschiedlichsten Sachzwängen zu tun und erleben einen erheblichen Leistungsdruck, unter dem die Schülerinnen und Schüler stehen. Überall begegnet uns die Diagnose »Bildungskrise«. Aber was uns in der Schullandschaft weit und breit nicht begegnet, sind Diskussionen darüber, in welcher Krise die Bildung steckt, geschweige denn, was Bildung eigentlich ist, was sie mit unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit heute und in Zukunft zu tun hat und welche Aufgaben sie haben soll.
Wir, der Arbeitskreis Religionslehrer*innen am ITP Münster, wollen genau das tun: Gemeinsam mit großen und kleineren Namen aus der Pädagogik, der Philosophie, Theologie, Literatur und Kunst haben wir uns auf die Suche nach Antworten auf die Frage gemacht:
Was ist Bildung? Aus dem, was wir zusammengetragen haben, ist dieses kleine Büchlein entstanden. Die Schule brennt! Manifest für eine andere Bildung weiterlesen

ITP-Rundbrief 57 erschienen

In unserem Rundbrief Nr. 57 (Oktober 2022) geht es um folgende befreiungstheologischen Themen:

1) Feministische Theologie und umkämpfte Körper, 2) die Impulse von Franz und Klara von Assisi für ein befreiendes Christentum heute, 3) materialistische Bibellektüre als Praxis der Befreiung und 4) um den Zusammenhang von Klimakatastrophe und Krieg.

Der Rundbrief kann hier heruntergeladen werden:

ITP-Rundbrief_57_Oktober 2022

Sie können ihn auch  kostenlos gedruckt bei uns bestellen. Geben Sie ihn gerne weiter an Interessierte.

Die alte Verfassung und die neue Welt – Gedanken zu Chile

Michael Ramminger/ Thomas Ladholz

Noch sind die Dinge im Fluss in Santiago. Zwar ist die Trauer bei vielen über die massive Ablehnung der neuen Verfassung noch deutlich sichtbar, viele Gesichter noch müde und ratlos. Aber zugleich werden die Ereignisse doch auf unterschiedliche Weise bearbeitet. Die SchülerInnen und die Studierenden waren auf der Straße, die Demonstrationen sind deutlich schwärzer geworden, anarchistische Gruppen bestimmen das Bild. Aber sie, ebenso wie die vielen, oft jungen Menschen, die in den Stadtteilen für die Verfassung gearbeitet haben, teilen eine Überzeugung: „Nos quitaran todo, hasta la miedo“. Dieser Slogan der FeministInnen ist überall zu hören, auf den Demonstrationen drückte er sich in der ungehemmten Wut auf die Pacos, die Polizei aus. Zwölf, dreizehnjährige greifen die Wasserwerfer und Zorrillos genannten Polizeifahrzeuge, die gassprühenden Stinktiere an, als hätten sie nichts zu verlieren. Ihre Entschiedenheit weist zurück in den Estadillo Social, den Beginn des Aufstandes vor nun fast drei Jahren, der den verfassungsgebenden Prozess erst möglich gemacht hat. Die alte Verfassung und die neue Welt – Gedanken zu Chile weiterlesen

Online-Veranstaltung: Die Situation in Chile nach dem Referendum

Montag, 12. September 2022, 19 bis 21 Uhr online:
Gespräch mit ITP-Delegation in Chile über die Situation nach dem Referendum
Am 04.09.2022 wurde in Chile per Referendum über eine neue Verfassung abgestimmt, eine Frucht der Proteste von 2019. Die Verfassung ist aufgrund ihrer Ablehnung durch die Mehrheit im Referendum leider gescheitert – es handelt sich um eine politische Zäsur und eine bedeutende Niederlage für die chilenische Linke. Eine ITP-Delegation ist derzeit in Chile, um die politische Aufarbeitung der Niederlage mit unseren chilenischen FreundInnen und langjährigen KooperationspartnerInnen zu begleiten. Erste Eindrücke der ITP Delegation zur Situation in Chile nach dem Scheitern des Referendums finden sich auf unserer Homepage. Am Montag, den 12.9.22 um 19:00 Uhr werden sie über die aktuellen Entwicklungen in Chile nach dem Referendum berichten.

Eines Tages werden sich die großen Straßen öffnen …*

Die Abstimmung in Chile über eine neue Verfassung ist vorbei. Sie wurde abgelehnt. Das „Rechazo“ (Zurückweisung) gewann mit ca. 60% bei einer Wahlbeteiligung von ca. 85% Prozent.

Während wir mit Freunden den Tag in ihrem Garten verbrachten – neben einem kurzen Abstecher zur Wahlstation – und ausgelassen über Gott, die Welt und die Perspektiven nach dem Referendum diskutierten, wurde die Stimmung kurz vor 18 Uhr angespannter. Im Grunde genommen fieberten alle bereits den ganzen Tag auf diese Uhrzeit hin, endlich, das Warten war vorbei. Die Wahllokale waren geschlossen und die Auszählung begann. Während bei ca. 1% der Stimmen das „Apruebo“, die Zustimmung zur Verfassung, noch vorne lag, deutete sich bereits bei Auszählung von 6% der Stimmen eine Tendenz für das „Rechazo“ ab. Eines Tages werden sich die großen Straßen öffnen …* weiterlesen

HERAUSFORDERUNGEN – CHANCEN UND VERPFLICHTUNGEN NACH DEM 04. SEPTEMBER 2022

Dieser Sonntag, der 4. September, markiert das Ende eines wichtigen Zyklus in der Geschichte Chiles, insbesondere für die vom Neoliberalismus unterdrückten Volksgruppen, die unsere Ängste gebrochen haben und am 18. Oktober 2019 auf die Straße gegangen sind, um tiefgreifende Veränderungen in den Bereichen der sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte zu fordern.
Diese Mobilisierungen lösten einen Prozess intensiver Debatten auf allen Ebenen aus, und am 15. November 2019 beschloss das Parlament unter dem Druck der nationalen Volksmobilisierung, einen Zeitplan für die Änderung der von der zivil-militärischen Diktatur auferlegten Verfassung festzulegen.
Die sozialen Bewegungen haben sich aktiv an den Mobilisierungen beteiligt, und im Rahmen des Prozesses zur Änderung der derzeitigen Verfassung ist es uns gelungen, Kandidaten und gewählte Konventsmitglieder dazu zu bringen, einen Entwurf für eine neue Verfassung auszuarbeiten. Der Zeitplan wurde strikt eingehalten, und am kommenden Sonntag, dem 4. September, wird in einer landesweiten Volksabstimmung mit obligatorischer Stimmabgabe über die Annahme oder Ablehnung des Vorschlags des Verfassungskonvents abgestimmt, an dem 154 Konventsmitglieder teilgenommen haben, und zwar paritätisch nach Geschlechtern und unter Beteiligung aller indigenen Völker Chiles. HERAUSFORDERUNGEN – CHANCEN UND VERPFLICHTUNGEN NACH DEM 04. SEPTEMBER 2022 weiterlesen

Casa Común: für eine prophetische Ökumene von unten!

Eine Ökumene von unten, die entschieden global für Frieden, den Schutz der Schöpfung und Gerechtigkeit eintritt, ist in dieser Zeiten wieder drängender denn je. Deshalb wird es aus Anlass der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die erstmalig in Karlsruhe stattfinden wird, eine Casa Común geben: Ein gemeinsames Haus der Basisökumene in Karlsruhe vom 1. bis 7. September 2022. Dort soll anhand von Themenbereichen wie Feminismus, Migration, Klimagerechtigkeit, Ökonomie und Digitalisierung, Globalisierungskritik und Kirchenreform die Perspektive auf soziale Kämpfe weltweit gelenkt und diskutiert werden, wie eine Basisökumene diese unterstützen kann.

Das Programm ist sehr umfangreich und wir möchten hiermit gerne dazu einladen, nach Karlsruhe zu kommen und sich zu beteiligen. Infos zum Programm und zur Teilnahme gibt es auf der Homepage der Casa Común.

Wir möchten schon vorab auf ein paar Veranstaltungen aufmerksam machen, an denen das ITP beteiligt sein wird:

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