Am Samstag, den 5. Dezember empfing der Papst fünf Bischöfe aus zwei Regionen der brasilianischen Kirche zum sogenannten „Ad Limina“ Besuch, d.h. zu dem in der Regel alle fünf Jahre stattfindenden Besuch katholischer Bischöfe in Rom, bei dem die Bischöfe einen Bericht über den Zustand der jeweiligen Diözese zu geben haben. Der vatikanische Pressedienst „Vatican News“ vom 7. Dez. 2009 informiert über diese Begegnung und zitiert den Papst wörtlich: „Im vergangenen August waren 25 Jahre vergangen, seitdem die Glaubenskongregation „Libertatis nuntius“ – die Instruktion über einige Aspekte der Theologie der Befreiung – veröffentlicht hat. Die Instruktion unterstreicht die Gefahr, welche die von einigen Theologen betriebene unkritische Übernahme von Thesen und Methoden des Marxismus mit sich bringt“. Benedikt XVI. bemerkte außerdem, „dass die mehr oder weniger sichtbaren Folgen dieses Faktums, nämlich Rebellion, Spaltung, Dissens, Beleidigung, Anarchie immer noch zu spüren sind und bewirken, dass eure diözesanen Gemeinschaften schwer zu leiden haben und schwere Verluste lebendiger Kräfte hinnehmen müssen. Alle, die sich auf irgendeine Weise in einer verborgenen Ecke ihres Herzens von einigen trügerischen Prinzipien der Befreiungstheologie angezogen, eingewickelt oder gedrängt fühlen, bitte ich inständig, sich erneut mit der erwähnten Instruktion auseinanderzusetzen und die gütige Erleuchtung anzunehmen, die das Dokument mit ausgestreckter Hand anbietet. Ich erinnere alle daran, dass die oberste Richtschnur für den Glauben (der Kirche) aus der Einheit hervorgeht, die der heilige Geist zwischen der Heiligen Tradition, der Heiligen Schrift und dem Lehramt der Kirche in solch wechselseitiger Verbindung hergestellt hat, dass alle drei nicht unabhängig voneinander existieren können“, bekundete der Papst.
Der Papst beendete seine Ansprache an die fünf Bischöfe mit der Anrufung der Jungfrau Maria, „die in Brasilien so sehr geliebt und verehrt wird. In ihr finden wir das wahre Wesen der Kirche, ganz rein und ohne Entstellung. Durch sie lernen wir das Geheimnis der Kirche, die in der Geschichte lebt und der wir angehören, kennen und lieben. So werden wir kirchliche Seelen und lernen es, der „internen Säkularisierung“ zu widerstehen, durch welche die Kirche und ihre Lehren bedroht sind.“
Brasilianische Kreise äußerten die Vermutung, dass die Bemerkungen zur Befreiungstheologie unausgesprochen aber gezielt gerichtet waren an den anwesenden Bischof Luiz Carlos Eccel, seit 1998 Bischof von Caçador im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina. Bischof Eccel hatte am Vorabend der Bischofsversammlung von Aparecida (2007) seinen brasilianischen Mitbischof Pedro Casaldáliga als „geliebten Hirten, Poeten und Propheten“ bezeichnet. Er hatte das sogenannte Manifest von Christen unterzeichnet, um die Wahl von Lula zum Präsidenten zu unterstützen. In diesem Manifest hieß es, dass die Wahl von Lula „die Rekolonialisierung Brasiliens im Dienst an den Interessen der USA und des internationalen Kapitals“ verhindern sollte. Vor Gläubigen seiner Diözese hatte der Bischof auch dargelegt, dass „die Armen in Brasilien dafür arbeiten müssten, die Auslandsschulden beim Internationalen Währungsfond zu bezahlen“. Und: „Mit seiner einfachen Art Kirche zu sein, wolle er dazu beitragen zu evangelisieren, indem er die Leute bei ihrem gemeinsame Prozess der Bewusstseinsbildung unterstütze.“
In seinem Bischofsbrief von 2007 über Ostern und die Theologie der Befreiung hatte er geschrieben: „Wer die Befreiungstheologie ablehnt, lehnt auch Jesus Christus ab, denn jede Theologie ist entweder befreiend oder sie ist keine Theologie“. In diesem Brief kritisierte Bischofs Eccles „die Strukturen der Sünde, die einige Privilegierte schaffen auf Kosten des Lebens und Leidens der verarmten Mehrheit. Sie führen dazu, dass das Kapital in der Welt wächst, aber sich nur in den Händen einiger weniger konzentriert.“
Dieser Äußerungen des Bischofs wegen scheint es nicht von der Hand zu weisen, dass der Papst an diesem Samstag bei seinen Äußerungen über die Befreiungstheologie insbesondere Bischof Eccel zur Ordnung rufen wollte, der mit seinen 57 Jahren noch viele Jahre im brasilianischen Episkopat vor sich hat.
Norbert Arntz