Heidelberg, 20. April 2020
Offener Brief an die weltweite Ökumene: „Die Zeichen der Zeit nicht verkennen!“
In einem von mehr als 250 Ökumeniker*innen aus aller Welt unterstützten Offenen Brief wird der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) im Blick auf seine im September 2021 in Karlsruhe stattfindende 11. Vollversammlung sowie die für August dieses Jahres anstehende Wahl eines neuen Generalsekretärs aufgefordert, sich angesichts der tief greifenden Krise unserer Zivilisation künftig (wieder) intensiver und entschiedener mit den Überlebensfragen von Menschheit und Schöpfung sowie ihren strukturellen Ursachen auseinander zu setzen. Der ÖRK solle sein Engagement aus theologisch-ekklesiologischen Gründen fortan auf die Überwindung der (neo-)kapitalistischen Wirtschafts- und Lebensweise mit dem Ziel der Entwicklung zukunftsfähiger Alternativen fokussieren.
Zu den Erstunterzeichner*innen des von einer Vernetzung basisökumenischer Gruppen und Organisationen aus Deutschland initiierten Offenen Briefes gehören u.a. Dr. Chris Ferguson, Generalsekretär der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, ehemalige führende ÖRK-Mitarbeiter*innen wie Dr. Aruna Gnanadason und Dr. Rogate Mshana, prominente Befreiungstheolog*innen wie Jung Mo Sung, Nancy Cardoso und Ulrich Duchrow, amtierende wie emeritierte Bischöfe sowie zahlreiche ökumenische Graswurzelinitiativen und Nichtregierungsorganisationen.
Der Offene Brief bezieht sich auf einen von der Evangelischen Kirche in Deutschland und hiesigen kirchlichen (Missions-)Werken zum Abschluss einer internationalen Konferenz („Wuppertaler Erklärung“) unterbreiteten Vorschlag, die weltweite ökumenische Bewegung möge gemeinsam eine „Dekade des ökologischen Lernens, Bekennens und Handelns gegen den Klimawandel“ planen und diese bei der ÖRK-Vollversammlung ausrufen. An diesem Vorschlag wird bemängelt, dass er den systemischen Charakter der Krise unserer kapitalistischen Zivilisation weitgehend außer Acht lässt und statt dessen suggeriert, die notwendigen Veränderungen könnten mittels einer zuvorderst ökologisch definierten Transformation durch ein schrittweises „Heraustransformieren“ aus unserer fossil basierten Produktionsweise auf den Weg gebracht werden.
Mit dieser verkürzten, konfliktscheuen „Analyse“ konterkariert der Vorschlag die grundlegende Kritik an den weltwirtschaftlichen Strukturen, wie sie die weltweite Ökumene zwischen 1983 und 2013 im Rahmen ihrer systematischen Auseinandersetzung mit der ökonomischen Globalisierung formuliert hatte und wie sie auch in ökumenischen Erklärungen der jüngeren Vergangenheit zur Notwendigkeit einer neuen internationalen Finanz- und Wirtschaftsarchitektur (NIFEA) zum Ausdruck gebracht wurde. In Anbetracht der dramatischen Zeichen der Zeit plädiert der Offene Brief ferner dafür, die Debatte über eine Dekade für die Zukunft der Erde bereits im Vorfeld der ÖRK-Vollversammlung in einer die gesamte Breite der ökumenischen Bewegung berücksichtigenden (ergebnis-)offenen Auseinandersetzung und nicht erst in Karlsruhe selbst zu beginnen.