Redebeiträge anlässlich der Mahnwache „Dem Rad in die Speichen fallen“ am 16.02.2020 in Datteln

Dr. Julia Lis

Wir sind wieder hier!

Das ist das erste, was mir in den Sinn kommt, wenn ich heute gemeinsam mit euch allen hier stehe, nur wenige hundert Meter von der Stelle, an der unser Auto in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar angehalten wurde. Wo wir durchsucht und festgehalten wurden, wo die Polizei uns mitteilte, dass sie uns der Planung aller möglichen Straftaten verdächtige, weil wir Bananen, Schokolade,

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Frostschutzmittel und einen Schlafsack im Auto hatten…Wo sie uns schließlich mitteilte, man würde uns präventiv in Haft nehmen und uns in einen Gefangenentransporter steckte. Die weiteren Ereignisse dieser Nacht sind den meisten inzwischen aus der Presse hinreichend bekannt: wie uns unser Auto abgenommen und abgeschleppt wurde, wie wir uns in Unterwäsche, frierend, in Einzelzellen wiederfanden, wie uns elementare Dinge wie ein Anruf beim Rechtsanwalt oder Hygieneartikel verweigert wurden. Wie uns schließlich ein Betretungsverbot ausgesprochen wurde, für das Umfeld des gesamten Kraftwerks, auch natürlich für den Ort, an dem wir nun alle stehen.

Wir sind wieder hier!

Weil das VG Gelsenkirchen am Freitag entschieden hat, dass das Betretungsverbot der Polizei offensichtlich rechtswidrig war! Darüber sind wir froh und erleichtert. Nicht nur weil es uns ein Anliegen war, wiederzukommen und hier zu demonstrieren für Klimaschutz und gegen die Einschränkung von Grundrechten und polizeiliche Übergriffe. Vor allem, weil die Entscheidung des Gerichts deutlich macht, was eine Selbstverständlichkeit sollte: Engagement und Sympathie für die Klimabewegung dürfen kein Grund sein Menschen präventiv in Haft zu nehmen! Und das muss für alle gelten, die sich engagieren. Das neue Polizeigesetz darf nicht dazu führen, dass Menschen wegen ihrer Gesinnung kriminalisiert und weggesperrt werden.

Wir sind wieder hier!

Auch und vor allem, weil es nicht nur um uns geht. Es geht noch

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viel mehr um viele andere Menschen. Um AktivistInnen, die täglich überall auf der Welt unter Einsatz ihrer Körper und manchmal ihrer Leben dafür einstehen, dass Menschenwürde und Gerechtigkeit verwirklicht werden, die gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung der Natur aufstehen. Um Menschen hierzulande, die sich mutig und entschlossen der Klimabewegung anschließen, um den Rad der Zerstörung der Welt in die Speichen zu fallen und dafür auch Ausgrenzung, Diskriminierung und polizeiliche Übergriffe in Kauf nehmen

Wir sind wieder hier!

Weil wir uns nicht einschüchtern lassen wollen. Weil wir glauben, dass es euren und unseren Protest braucht, wenn wir, wie Papst Franziskus es bei seinem Treffen mit den Sozialen Bewegungen, formulierte, einen erlösenden Wandel wollen, einen Wandel der Strukturen also, die immer wieder neu die Zerstörung der Natur und die Unterdrückung und Zerstörung menschlichen Lebens produzieren. Haben wir also den Mut, wie Papst Franziskus in seinem neusten Dokument „Querida Amazonia“ schreibt, uns zu empören. Als ChristInnen blicken wir dabei auf die vielen Gestalten unserer Geschichte, die sich empörten gegen Herrschaft in der Kirche wie in der Welt, aufstanden und dafür so manches riskierten. In ihrem Sinne wollen wir weitermachen, verbunden mit vielen Menschen, die an die Verwandlung der Welt glauben.

Wir sind wieder hier!

Und wir sind nicht allein. Dies war das vorherrschenden Gefühl der letzten Woche. Wir haben die Solidarität von vielen gespürt. AktivistInnen, die sich fürs Klima einsetzen, bei Ende Gelände und anderswo, die gegen die Einschränkung der Grundrechte z.B. durch das neue Polizeigesetz eintreten, die gegen rechte, autoritäre Tendenzen in unserer Gesellschaft kämpfen, haben uns geschrieben, ihre Solidarität versichert und von ihren eigenen, oft noch viel schlimmeren Erfahrungen mit Polizeigewalt und polizeilichen Übergriffen berichtet. Aber auch viele Menschen, die vielleicht noch nicht politisch aktiv sind, aber kritisch und mit hoher Sensibilität die Entwicklungen in unserer Gesellschaft verfolgen, haben sich solidarisch erklärt, aber auch von ihrer Besorgnis angesichts des Verhaltens der Polizei gesprochen, das leider weiß Gott kein Einzelfall ist. Wir sind froh, heute mit euch allen hier zu stehen! Wir hoffen, dass dies erst der Beginn ist. Im Hambacher Forst haben wir gesehen, was alles möglich ist, wenn sich Menschen jenseits vieler gesellschaftlichen Grenzen zusammentun, ihren Protest laut werden lassen und sich solidarisch in unterschiedlichen Formen begleiten. Wir hoffen und glauben, dass der Hambi kein Einzelfall bleiben muss, dass unsere Solidarität zu einer Kraft werden kann, die Unmögliches möglich machen kann: In den Dörfern des Rheinischen Braunkohlegeibiets, hier in Datteln und überall auf der Welt.

Erstmal rechtswidrig handeln

Dr. Michael Ramminger

Wir stehen heute hier bei der Mahnwache nicht, um darüber zu lamentieren, wie man mit uns vom ITP umgegangen ist. Wir stehen hier, weil wir uns einer gefährlichen Entwicklung in der Bundesrepublik entgegenstellen wollen, die sich in dem ausdrückt, was den dreien hier ganz in der Nähe in der Polizeikontrolle und später geschehen ist. „Welche Straftat werfen Sie uns vor?“ wurde die Polizei bei der Ingewahrsamnahme gefragt. Darauf gab es nur ein Schulterzucken. „Sie haben verdächtige Gegenstände bei sich“ wurde ihnen gesagt. Welche das denn seien? Die Antwort datrauf: „Eine Flasche Frostschutzmittel“. „Wir legen ihnen die Rechtsbelehrung vor die Zelle“ hieß es im Polizeipräsidium. Also dorthin, wo sie nicht zu lesen war.

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Wir hatten es im Vorfeld der Verabschiedungen der Polizeigesetze schon geahnt. Hier wird ganz kräftig an Grundrechten und Möglichkeiten freier Meinungsäußerung gerüttelt. Um es mal etwas paradox auszudrücken: Mit den Gesetzen zur Ermöglichung von präventiver Ingewahrsamnahme wird zunewhmend das Recht ausgehebelt. Mit den Polizeigesetzen wird zunehmend der Ausnahmezustand legalisiert. Das sind bedrückende Entwicklungen für alle DemokratInnen, aber erfreuliche für alle Salvinis, Macrons, Trumps und Reuls dieser Welt. Der Abbau demokratischer Rechte nimmt zu. Der Ausnahmezustand wird zur Regel: Erstmal rechtswidrig handeln, um sich dann vom Gericht eines Besseren belehren zu lassen. Aber dann ist alles schon gelaufen. So geschieht es heute immer öfter. Das ist die schlechte Nachricht.

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Sie haben es nötig, die Polizeigesetze zu verschärfen, sie brauchen PolizistInnen, die Schlafsäcke für Gegenstände zur Vorbereitung von Straftaten halten. Ja, sie schrecken selbst vor offensichtlichem Rechtsbruch nicht zurück. Sie brauchen Polizeipräsidentinnnen, die unter „Wehret den Anfängen“ offenkundig die ausgiebige, exzessive Anwendung der neuen Polizeigesetze zur Einschüchterung der Proteste gegen das Kraftwerk hier verstehen. Herr Reul wird schon wissen, weshalb er keine weiteren Infos über das Mitglied des gerade hochgenommenen rechtsextremen Netzwerkes in der Polizeiverwaltung rauslässt. Aber: Es gibt offenkundig immer mehr Menschen, die begreifen, dass das herrschende „Weiter So“, das Durchlavieren durch die vielfältigen Krisen dieser Welt nicht mehr akzeptabel ist. Sie haben es nötig, sich gegen uns in Stellung zu bringen.

Polizei ist auch bei starkem Wind nicht vom Wassersport abzuhalten. Insbesondere, wenn man damit zugleich DemokratInnen einschüchtern könnte kann. Bild: r-mediabase/H.Perschke

Die Klimagerechtigkeitsbewegung gehört dazu. Sie hat begriffen, dass die scheinheiligen Kompromisse in der Kohlekommission das Papier nicht wert sind, auf das sie geschrieben sind. Sie hat verstanden, dass man von Regierung und Industrie nichts, aber auch gar nichts im Blick auf eine Unterbrechung des weltzerstörerischen Kapitalismus und Industrialismus zu erwarten hat. Und weil sie verstanden haben, dass wir das verstanden haben, wollen sie um jeden Preis verhindern, dass hier an diesem Kraftwerk Datteln IV ähnlich – um es einmal theologisch zu formulieren – prophetische Proteste wie im Hambacher Wald entstehen. Dem Rad in die Speichen fallen, so lautete eine Aufforderung des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffers angesichts des aufkommenden Faschismus und des Versagens der bürgerlichen Mehrheit 1933. Dem Rad in die Speichen fallen, gegen autoritäre Tendenzen in der Bundesrepublik, gegen den Fortgang der zerstörerischen Industriepolitik. Dazu stehen wir: Heute mehr denn je.