Rundbrief Nr. 50 online

Rundbrief Nr. 50

Inhalt

Barbara Imholz und Julia Lis: Papst Franziskus und die Frauen. Gegen das Patriarchat in Kirche und Gesellschaft

Pilar Puertas: Die Amazoniensynode: neue Wege für die Kirche und die Zukunft der Welt

Michael Ramminger: #Trotz der Gewalt – Folge Deiner Berufung!

Philipp Geitzhaus: Paulus, die Wahrheit und die Idee des Kommunismus. Badiou politisch-theologisch

Rundbrief Nr 50

Editorial

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Feiern zum 25-jährigen Jubiläum des ITP sind mit dem neuen Jahr 2019 vorbei und die befreiungstheologische Arbeit geht – natürlich – weiter. An Anlässen dafür fehlt es nicht. Die Krisenwahrnehmung der letzten Jahre hat sich zwar vielleicht etwas beruhigt, aber dennoch steht die Welt Kopf. Herrschte vor Kurzem noch Unklarheit darüber, was sich aus der Finanzkrise ergibt, weist aktuell vieles auf ein Erstarken rechter Bewegungen und Regierungen hin. Insbesondere hat uns die Präsidentschaftswahl von Bolsonaro in Brasilien schockiert.

Tatsächlich wurde der rechtsextreme Kandidat nicht trotz, sondern wegen seiner aggressiven Rhetorik gewählt, mit großer Unterstützung aus der Wirtschaft und sogar von einigen Fußballstars. Deutlich zeigt sich, wie wirtschaftliche Deregulierungsvorhaben und autoritäre Politik Hand in Hand gehen können.

Eine Maßnahme der neuen Regierung ist die Deregulierung des Agrobusiness, die das riesige Amazonasgebiet und damit das Klima betreffen wird. Aber auch die Bundesregierung hierzulande gibt in Sachen Klimapolitik keine gute Figur ab. Der Protest von Tausenden Schülerinnen und Schüler, der freitags durch Schulstreiks unter dem Motto „fridays for future“ auf die Straßen gebracht wird, ist nur all zu verständlich. Die Botschaft „Es geht um unsere Zukunft“ ist so simpel wie wahr. Genauso wie die weltweite Klimagerechtigkeitsbewegung kritisieren die SchülerInnen u.a. den zu späten Ausstieg aus der Braunkohle. Es bleibt zu hoffen, dass der Protest auch Wirkung entfaltet.

Auch weltkirchlich wird der Klimafrage in diesem Jahr endlich eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Amazonassynode im Oktober wird auf Grund der Klimafrage von großer Bedeutung für die ganze Kirche sein. Als ITP werden wir diesen Prozess begleiten.

Wir wünschen Ihnen und euch eine anregende Lektüre des 50. ITP-Rundbriefs.

Ihr und euer ITP-Team

Papst Franziskus und die Frauen

Gegen das Patriarchat in Kirche und Gesellschaft

von Barbara Imholz und Julia Lis

Die Gleichsetzung eines Schwangerschaftsabbruchs mit „Auftragsmord“durch Papst Franziskus während einer Audienz am 19. Oktober 2018 schlug hohe Wellen und veranlasste u.a. eine öffentliche Kirchenaustrittserklärung bekannter Schweizer Feministinnen.

In letzter Zeit war es hierzulande auch in kirchlichen Kreisen um das Thema Abtreibung erstaunlich ruhig geworden. Ob ein Abbruch für sie im Falle einer ungewollten Schwangerschaft in Frage kommt oder nicht, entscheidet frau für sich allein; in dieser Hinsicht hat die katholische Kirche bei uns die Kontrolle über den weiblichen Körper unwiderruflich verloren. Im Blick auf Osteuropa oder Lateinamerika sieht die Situation ganz anders aus. Ein Schwangerschaftsabbruch gefährdet in vielen Ländern, sofern frau nicht der Mittel- oder Oberschicht angehört, Körper und Leben der Frauen. In Argentinien, Chile, Polen und anderen Ländern formieren sich seit einigen Jahren gewaltige Protestbewegungen gegen diese rigide frauenfeindliche Körperpolitik. Historisch ist in der Körperpolitik der Ursprung der Forderung nach Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu suchen: Die Kombination aus einer Moraltheologie, die die kompromisslose Ablehnung des Abbruchs einer Schwangerschaft mit dem Recht des ungeborenen Kindes auf sein Leben begründet hat und den ökonomischen wie sozialen Konsequenzen, die eine ungewollte Schwangerschaft und Mutterschaft mit sich brachte, führte dazu, dass Abtreibungen tabuisiert, kriminalisiert und damit unter Umständen durchgeführt wurden, die die körperliche und psychische Unversehrtheit von Frauen und oft auch deren Überleben gefährdeten. In vielen Ländern dieser Welt ist das bis heute ein drängendes Problem. Die männliche Kontrolle über die Körper der Frauen ereignet sich dabei nicht nur individuell, sondern als Teil der Struktur des Patriarchats, die sich in gesellschaftlichen Normen niederschlägt.

Wem gehört mein Körper?

Aktuell scheint der zentrale Konflikt in Kirche wie Gesellschaft zwischen jenen zu verlaufen, die ein Zurück zu traditionellen patriarchalen Mustern einfordern und jenen, die die Selbstbestimmung von Frauen als Teil eines notwendigen Modernisierungsprozesses begreifen. Oft genug meint diese Selbstbestimmung bei genauerem Hinsehen aber gerade nicht eine neu gewonnene Freiheit, sondern äußert sich im internalisierten Zwang, so über ihren Körper zu entscheiden, wie es der Verwertungslogik am meisten nützt, etwa indem der Druck wächst Geburtenkontrolle in der Art vorzunehmen, dass Geburten verhindert werden, die Frauen zur falschen Zeit dem Arbeitsmarkt entziehen oder nicht erwünschte, weil behinderte Kinder, hervorbringen. Zugleich soll dafür gesorgt werden, dass Kinder dort zur Welt kommen, wo die ökonomische und soziale Lage der Eltern dies als wünschenswert erscheinen lässt und Humankapital entsteht, das für den Arbeitsmarkt benötigt wird. Diese Geburtenkontrolle erfolgt längst nicht nur über Abtreibung, sondern eine ganze Reihe von Maßnahmen wie pränatale Diagnostik, In-vitro-Fertilisation, Freezing, Pille danach, Freigabe der Antibabypille bei Krankenkassen bis zum 20. Lebensjahr usw.

Im neoliberalen Sinne gelingt es die Verantwortung sich für oder gegen diese Maßnahmen zu entscheiden individuell der einzelnen Frau zu übertragen, indem aber unsichtbar wird, dass die individuelle Entscheidung durchaus gesellschaftlichen Zwängen und Ansprüchen unterliegt.

Selbstbestimmung jenseits von Verwertungszwang

Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang vielleicht bei der pränatalen Diagnostik einer „Behinderung“. Die Frau allein trägt die Entscheidung und Verantwortung für alle Belastungen, die auf sie zukommen, wenn sie das Kind austragen will. Die Selbststeuerung läuft wie von allein im Sinne des Verwertungsinteresses am „Humankapital“: Es geht darum den homo oeconomicus zu reproduzieren. Steckt in der neoliberalen Ideologie nicht der brutale Imperativ: „Was nicht nützt, kann weg“? Wo aber ist in unserer Gesellschaft der Ort, wo Frauen entscheiden können, was wirklich in ihrem eigenen Interesse ist und nicht der Kapitallogik folgt?

Das Recht auf gutes und gelingendes Leben aller hochzuhalten, statt menschliches Leben den Verwertungsinteressen zu unterwerfen, ist daher auch als feministisches Postulat notwendiger denn je. Umso dramatischer ist es da, dass die Kirche sich in ihrer Rolle in diesem Sinne Recht auf Leben gegen die Allmacht neoliberaler Zwänge, die sich als Selbstbestimmung tarnen, zu verteidigen in weiten Teilen disqualifiziert hat, indem sie sich als patriarchale Organisation an der Abwertung von Frauen beteiligt.

Diese selbstkritische Einsicht fehlt auch Papst Franziskus in seinem Diskurs über die Frauen völlig, macht ihn blind für feministische Anliegen und unfähig den frauenfeindlichen Diskurs der Kirche hinter sich zu lassen. Aber sein Festhalten an einem universalen Recht auf Leben bringt ihn in einen Gegensatz zur neoliberalen Verwertungslogik, der die Ideologie freier Selbstbestimmung der Individuen in einer neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft infrage stellt. Hier zeigt sich die Ungleichzeitigkeit einer Institution wie der Katholischen Kirche. Aufgabe einer feministischen Theologie bleibt es daher diese Ungleichzeitigkeit bewusst zu machen und Patriarchatskritik in Kirche und Gesellschaft zu vermitteln und aufzuzeigen, dass ein freies, selbstbestimmtes und gelingendes Leben von Frauen nur jenseits patriarchaler Normen und kapitalistischer Verwertungslogik erkämpft werden kann!

Die Amazoniensynode: neue Wege für die Kirche und die Zukunft der Welt

von Pilar Puertas

Am 15. Oktober 2017 hatte Franziskus eine Sonderversammlung der Bischofssynode für das Amazonas-Gebiet angekündigt, die im Oktober 2019 in Rom stattfinden wird. 

Zur Teilnahme werden die 102 Bischöfe des Gebietes, die Präsidenten der Bischofskonferenzen und das Red Eclesial Panamazónica (ein Netzwerk aus VertreterInnen der Kirchen Brasiliens, Venezuelas, Französisch-Guyana, Britisch-Guyana, Surinam, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien) sowie Vertreter von Bischofskonferenzen anderer Kontinente und Präfekten verschiedener römischer Dikasterien aufgerufen. An der Synode werden auch Ordensleute der Region sowie Vertreter der indigenen Völker teilnehmen, die mitreden, aber nicht abstimmen dürfen.

Das Thema der Synode lautet: „Amazonien: Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“ und Hauptziel ist es: „neue Wege für die Evangelisierung jenes Teils des Gottesvolkes auszumachen, besonders der indigenen Völker, die oft vergessen werden und die auch aufgrund der Krise des Amazonas-Regenwaldes, der Lunge unseres Planeten, ohne gesicherte Zukunftsperspektive sind.(Angelus, 15 Oktober 2017)

Mit 7 Millionen Quadratkilometern ist Amazonien der größte Regenwald der Erde. In der Region leben rund 35 Millionen Menschen, die mehr als 240 verschiedene Sprachen sprechen: 390 indigene Völker, Dorfbewohner, Menschen in Städten, Flussanrainer, Zuwanderer, Vertriebene, also eine sehr unterschiedliche Bevölkerung mit sehr unterschiedlichen Problemen und Realitäten. Beispielsweise haben 70% der katholischen Gemeinden keine Sonntags-Eucharistie, weil es nicht genügend Priester gibt; in der indigenen Bevölkerung ist dieses Problem noch akuter. Eine große Herausforderung besteht darin, die Präsenz der Kirche unter den indigenen Völkern zu fördern und darüber nachzudenken, welche Art von Kirche heute für Amazoniens Bedingungen erforderlich ist, die die Aspekte der katholischen Identität mit der Weisheit der indigenen Völker in Einklang bringt, ohne sie zu ersetzen oder zu zerstören, was bereits geschieht, sondern um neue Wege zu schaffen.

Noch nie waren die Völker Amazoniens so bedroht wie heute: hauptsächlich aufgrund von Erdöl- und Gassuche, illegaler Abforstung, rascher Ausbreitung von Vieh- und Landwirtschaft und seit 2008 durch die Zunahme von extraktiven Megaprojekten wie Infrastrukturaufbau von Straßen, Häfen usw. für Wasserkraftwerke, die zu massiven Verdrängungen der Bevölkerung in die städtischen Randgebiete geführt haben. Trotz der Bemühungen die Völker Amazoniens und die Natur zu verteidigen, nimmt die Anerkennung ihrer grundlegenden Menschenrechte – insbesondere des Rechts auf Landbesitz – immer weiter ab und die Kriminalisierung von sozialem Protest nimmt alarmierend zu.

Obwohl die Synode im Vatikan abgehalten wird, wird es auch eine sehr ausgiebige Phase geben, in der die verschiedenen Gruppen Amazoniens zu regionalen Themen, die auf der Synode angesprochen werden sollen, konsultiert werden.

In dem im Juli letzten Jahres vorgelegten Vorbereitungsdokument wurde die Bedeutung der indigenen Völker als Akteure und Protagonisten hervorgehoben: „Wir wollen wissen, wie sie sich eine friedliche Zukunft oder das gute Leben für die künftigen Generationen vorstellen. Wie können wir mitarbeiten am Aufbau einer Welt und mit Strukturen, die Leben opfern und mit Mentalitäten der Kolonisierung brechen? Wie können wir heute an Netzwerken der Solidarität mitarbeiten und Interkulturalität als besondere Aufgabe der Kirche fördern?“

Das genannte Dokument ist nach der Methode „Sehen, Urteilen, Handeln“ in drei Teile geteilt. Am Ende stehen Fragen, die den Dialog mit der Bevölkerung Amazoniens ermöglichen sollen. Der erste Teil des Dokuments, „Sehen“, beschreibt die Identität der Menschen und Kulturen Panamazoniens und die Dringlichkeit des Zuhörens. Der zweite Teil, „Urteilen“, ist auf eine ganzheitliche Umkehr ausgerichtet, die drei Kehrtwendungen erfordert: angesichts der Armen, der Anderen und der Natur. In seinem dritten Teil, dem „Handeln“, geht das Dokument auf die Suche nach neuen Wegen ein, um eine Kirche mit einem „amazonensischen Antlitz“ zu entwickeln, das heißt eine entkolonisierte, inkulturierte und kontextualisierte Kirche.

Wenn über die pastoralen Herausforderungen in Amazonien für die katholische Kirche gesprochen wird, werden notwendigerweise soziale und politische Aspekte einbezogen, wie etwa die Rolle von Regierungen, multinationalen Unternehmen, Korruption und Drogenhandel. Weil, wie Franziskus in Laudato si betonte, „es […] nicht zwei Krisen nebeneinander [gibt], eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise. Die Lösungswege erfordern einen ganzheitlichen Zugang, um die Armut zu bekämpfen, den Ausgeschlossenen ihre Würde zurückzugeben und sich zugleich um die Natur zu kümmern.“ (LS 139)

#Trotz der Gewalt – Folge Deiner Berufung!

Von Michael Ramminger

#Kämpfen – Folge Deiner Berufung: so war ein Werbeplakat der Bundeswehr mit einer jungen Frau in Tarnkleidung und Gewehr im Anschlag untertitelt. In Bayern geht im April diesen Jahres ein zweijähriger Modellversuch an den Start, ein „Landesregiment“ oder eine „regionale Sicherungs- und Unterstützungseinheit“ aufzustellen. 500 Reservisten sollen von Berufssoldaten im Ernstfall mobilisiert werden und bei Katastrophen und „Terrorlagen von katastrophalem Ausmaß“ unterstützend eingesetzt werden.

Ungoverned spaces …

Um zu verstehen, was hier gesellschaftlich geschieht und warum diese schleichende Militarisierung nicht zu einem Aufschrei in der Republik führt, ist es, wie schon früher, hilfreich, sich mit dem Begriff von „Sicherheit“ zu beschäftigen. Der wandelt sich nämlich zunehmend und fast unbemerkt von der Abwehr einer Bedrohung von Außen (wie im Kalten Krieg) zur Vermeidung von „Risiken“. Drohnen z.B., die inzwischen auch von der Bundeswehr angekauft werden, sollen in der Regel präventiv „Risiken“ bekämpfen. Die Ausweitung solcher Kriegsführung ist darüber hinaus mit dem Konzept unregierter/unregierbarer Räume (ungoverned spaces) verknüpft, das sich zunächst einmal auf sog. Kriegsregionen bezieht, aber ganz allgemein auch auf Orte, Zusammenhänge und Situationen, an denen die „Legitimität staatlicher Strukturen“ infrage gestellt ist. Die Ausweitung des Begriffs Sicherheit auf Bedrohungssituationen, die ja ganz diffus und politisch instrumentalisiert formuliert werden können (Denken wir nur an die gegenwärtige Diskussion in der CDU über Migrationspolitik, die überhaupt kein reales Objekt hat!) führt zu einem gesellschaftlichen Klima, in dem immer stärker jede „Sicherheitsprävention“ legitim und notwendig erscheint.

Das Ganze führt so zu einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft, die hauptsächlich nicht an Bilder massenhafter Militäraufmärsche mit „Kaiser-Wilhelm-Trara“ gebunden ist, sondern an die Ästhetik moderner (Drohnen-)Technologie und individualisierter SEK Abenteuer- und Selbstverwirklichungsromantik. Dabei verwischt die Grenze zwischen Innen und Außen bei der präventiven Bekämpfung „ungoverned spaces“ immer mehr: Ob Syrien oder in Paris, auch im Hambacher Forst – überall gibt es „unregierbare Orte“! Neue Polizeigesetze, die präventive Festnahmen erlauben, Fingerabdrücke in Personalausweisen oder Gummigeschosse und Blendgranateneinsätze bei den Gelbwestenprotesten werden alle mit der Bedrohung durch unregierbare Räume, drohendes Chaos und der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Ordnung legitimiert.

und schamlose Interessen

Eine solche Entwicklung ist natürlich auch von schamlosen Interessen angetrieben, wie man zum Beispiel am Umgang mit den KurdInnen und der türkischen Politik der dort regierenden AKP und Erdogan nachzeichnen kann. Waren die KurdInnen bis vor kurzem noch gut genug, die JesidInnen gegen den sog. Islamischen Staat zu verteidigen, wird bis heute die Rolle des türkischen Staates bei der Unterstützung des IS zur Bekämpfung der KurdInnen verheimlicht. Der völkerrechtswidrige Angriff der Türkei auf Afrin in Rojava (Nordsyrien) im Januar 2018 wurde von der Bundesregierung stillschweigend hingenommen, auch die ethnische Säuberung und die Vertreibung von über 130.000 Menschen war kein Thema, noch weniger die Verschleppung und Zwangskonversionen von JesidInnen durch von der Türkei dort unterstützte Dschihadisten. Erinnern wir uns an den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei und an die feinen Rüstungsgeschäfte von z.B. Krauss-Maffei-Wegmann oder von Rheinmetall, die in der Türkei eine Panzerfabrik bauen wollen. Wen also wundert es, wenn die „ungoverned spaces“ nicht nur in Syrien vermutet werden, sondern auch in der Bundesrepublik, wo vor kurzem der Mesopotamia-Verlag als „terroristische“ PKK-Organisation verboten wurde, ja die PKK trotz gegenteiligen Urteils des Europäischen Gerichtshofes und trotz der brutalen Verfolgung durch die AKP weiter als terroristische Organisation bezeichnet wird.

Eine neue Bewegung?

Gründe genug also, über eine neue Friedensbewegung nachzudenken. Das müsste aber eine Bewegung sein, die jenseits der Kategorien des vergangenen Kalten Krieges denkt und agiert, eine Bewegung, die sich stärker auf die schon fast zur Alltäglichkeit gewordene Militarisierung, auf die Polizierung der Gesellschaft und auf ihre autoritäre Formierung bezieht, die erst hinter dem „anything goes“ sichtbar ist. Eine solche Bewegung ist bereits im Entstehen. Im September wird es in Unterlüß ein Camp „Rheinmetall entwaffnen“ geben, in dem es um die die Zusammenhänge von Militarisierung der Gesellschaft, Rüstungsexport und um Krieg gehen wird. Wir freuen uns jetzt schon über alle ChristInnen, die dort ihre Berufung finden. Dann hätte das Bundeswehrmotto wirklich Sinn: #Kämpfen – Folge Deiner Berufung: Gegen Gewalt und für eine Welt, in der alle Platz haben.

Literatur:

Sozialwissenschaften im Dienste des Militärs, Die Praxis „gezielter“ Tötungen mittels Drohnen im Verhältnis zu einem entgrenzten Sicherheitsbegriff, Christopher Schwitansk, in: https://www.imi-online.de/2019/02/08/sozialwissenschaften-im-dienste-des-militaers/

In Bayern wird das erste Landesregiment für den „Heimatschutz“ aufgestellt, Florian Rötzer, in: https://www.heise.de/tp/features/In-Bayern-wird-das-erste-Landesregiment-fuer-den-Heimatschutz-aufgestellt-4303036.html

Paulus, die Wahrheit und die Idee des Kommunismus

Badiou politisch-theologisch

von Philipp Geitzhaus

Alain Badiou, Philosoph, Mathematiker und Vertreter der „kommunistischen Hypothese“ gehört zu den international bekanntesten KapitalismuskritikerInnen der Gegenwart. Auffällig ist, dass der linke Aktivist Badiou für seine philosophische Argumentation auf den Apostel und Kirchengründer Paulus zurückgreift und damit beide provoziert: ChristInnen wie KommunistInnen.

Paulus

Paulus hat es getan, Lenin auch. Beide haben eine Organisation als Konsequenz eines Aufstands bzw. einer Auferstehung hier, einer Revolution dort, gegründet. So jedenfalls die These des Kommunisten und renommierten Philosophen Alain Badiou. Der Apostel Paulus fasziniert bekanntermaßen nicht nur ChristInnen und TheologInnen. KünstlerInnen, FilmemacherInnen, politische AktivistInnen haben sich immer wieder von dem Kirchengründer beeindrucken lassen. Auffällig ist jedoch, dass dies auch – oder vielleicht sogar gerade? – in einer Zeit geschieht, in der die Kirchen an Bedeutung verlieren. Es gehört zu den gegenwärtigen Plausibilitäten, dass das Christentum „von gestern“ ist und keine ernsthafte Zukunft hat. Institutionell macht sich das durch Kirchenaustritte und sogenannten Priestermangel bemerkbar. Dazu zählen natürlich auch die zahlreichen Krisen und Skandale.

Und genau in dieser Zeit ist ein verstärktes Interesse an dem Kirchengründer zu vernehmen – nicht von ChristInnen, sondern von linken, marxistischen Intellektuellen. Linke Optionen und Organisationen erleben ja seit einigen Jahren auch nicht gerade einen Höhenflug. Im Gegenteil: Die Ideen von Gleichheit, Freiheit und Solidarität stehen nicht hoch im gesellschaftlichen Kurs und werden von dem, was manche „autoritäre Formierung“ nennen, verdrängt.

Vielleicht ist es gerade die Erkenntnis, dass es institutionell sowie theoretisch gewisse Parallelen von Christentum und linker Bewegung gibt, die einige Intellektuelle zu ihren Überlegungen bewegen. Diesem Anliegen widmen sich seit einigen Jahren Philosophen wie Alain Badiou, Slavoj Žižek, Giorgio Agamben und Jean-Luc Nancy. Die Parallele besteht nicht darin, dass behauptet würde, die kommunistische Bewegung sei im Grunde auch eine Religion. Stattdessen wird festgestellt, dass es sich jeweils um zwei Bewegungen handelt(e), denen es um das „Andere der Welt“ (Nancy) ging und geht.

Der französische Philosoph Alain Badiou erkennt im Apostel Paulus den Prototypen eines bestimmten Denkens. Gemeint ist das Denken der „Einheit in Vielfalt“. Diese Einheit wird bei Paulus durch den Glauben an die Auferstehung Christi gewährleistet und dieser Glaube eröffnet eine gemeinsame (politische) Praxis. Man könnte hier von einem paulinischen Universalismus sprechen. Es ist die Einheit, die Menschen unter einer gemeinsamen Idee (Auferstehung) versammelt und gleichzeitig die Besonderheit der einzelnen Menschen zur Voraussetzung hat. Badiou begreift den paulinischen Universalismus als Gegenteil von irgendeiner „Gleichmacherei“.

Dieser Punkt ist auch heute von großer Bedeutung, wo Individualismus einerseits und Uniformierung andererseits vorherrschend sind. Ist es sinnvoll, dass sich Menschen, Soziale Bewegungen und Gruppen unter einem gemeinsamen Anliegen zusammenschließen? Und falls ja: Was für ein Anliegen könnte das sein und wer könnte sich überhaupt unter einer gemeinsamen Sache wiederfinden? Für den Atheisten Badiou kann das gemeinsame Anliegen natürlich nicht die Auferstehung Christi sein. Andererseits reicht ein beliebiges Anliegen nicht aus. Stattdessen muss es sich um ein wahrheitsfähiges Anliegen bzw. eine wahrheitsfähige Idee handeln.

Die Idee des Kommunismus

Für Badiou ist das mögliche und wahrheitsfähige Gemeinsame im Sinne des paulinischen Universalismus die „Idee des Kommunismus“. Dabei geht es ihm nicht um die Reaktivierung eines bestimmten kommunistischen Partei- oder Bürokratietyps. Es geht noch nicht einmal darum, eine politische Praxis als „kommunistische“ zu deklarieren. Vielmehr betont Badiou den Charakter der Idee der politischen Gleichheit. Gleichheit ist, so Badiou, jenseits bzw. entgegen der Herrschaft des Kapitalismus möglich. Bei Paulus war es das Ereignis der Christusbegegnung, das eine neue subjektive und damit institutionelle Seinsweise im umfangreichen Sinne ermöglicht hatte, bar jeder berechenbaren Möglichkeitsbedingung. Genauso Lenin, der eine unmögliche Revolution durchführen konnte. Unabhängig davon, ob man den Parallelisierungen und Schematisierungen Badious zustimmen möchte, stellt er die zentrale Frage, ob so etwas wie eine unmögliche Möglichkeit denkbar ist. Ist die Realisierung von Gleichheit entgegen aller berechenbaren Wahrscheinlichkeit angesichts kapitalistischer Verhältnisse denkbar, und lohnt es sich deshalb daran festzuhalten?

Politische Theologie

Mit seinen Überlegungen thematisiert Badiou unbewusst eines der zentralen Anliegen der Politischen Theologie. Durchgängig wird von Johann Baptist Metz und anderen an der unmöglichen Möglichkeit des Reiches Gottes und der Rettung der unschuldig Leidenden festgehalten. Ja, es ist gerade diese Hoffnung, die jeden Status quo auf seine Vorläufigkeit verweist und dadurch Denk- und Handlungsspielräume eröffnet. Damit sind selbstverständlich nicht alle Fragen geklärt. Das Gegenteil ist der Fall: Alles wird in Frage gestellt, außer, dass die unmögliche Möglichkeit des Reiches Gottes denkbar ist.

Alain Badiou ist erfreulicherweise unserer Einladung gefolgt und wird am 28. Juni nach Münster kommen, um eine Vorlesung zu „Paulus, die Wahrheit und die Idee des Kommunismus“ zu halten. Am Folgetag schließt sich ein internes Fachkolloquium zur Politischen Theologie und Badious Philosophie an.

Literatur

Alain Badiou: Paulus. Die Begründung des Universalismus, Berlin-Zürich ²2009.

Alain Badiou: Die kommunistische Hypothese, Berlin 2011.

Philipp Geitzhaus: Paulinischer Universalismus. Alain Badiou im Lichte der Politischen Theologie, Münster 2018.