In Aparecida herrscht ein offeneres Klima als in Santo Domingo (1992)!
Die Feindseligkeiten von Santo Domingo sind vorbei. Ein vorsichtiger Optimismus herrscht in der Aula von Aparecida, in den Fluren, im Pressesaal. Von verschiedenen Konferenzteilnehmern ist zu hören: „Es gibt eine offene Gesprächskultur. Es weht ein Geist der Freiheit.“ Auf die Frage, woran es liege, dass Aparecida so anders beginne als Santo Domingo, gibt es drei mögliche Antworten:
- Die erste lautet, der Papst habe in seiner Eröffnungsansprache verschiedene, auch sich widersprechende Positionen grundsätzlich anerkannt, so dass viele Teilnehmende sich vom Druck befreit fühlten, sich selbst erst legitimieren zu müssen. Ja, in seiner Predigt während des Eröffnungsgottesdienstes hatte er in Anlehnung an die Lesung über das „Apostelkonzil von Jerusalem“ sogar gesagt: „die führenden Kräfte der Kirche streiten miteinander konfrontativ, aber stets in einer spirituellen Offenheit für das Wort Gottes, so dass sie am Ende feststellen können: ‚Es erschien dem Heiligen Geist und uns……’ Das ist die ‚Methode’, die wir in kleinen und großen Versammlungen der Kirche anwenden.“ Offenbar hat diese Haltung zur Entspannung erheblich beigetragen. Der Raum für Diskussionen war offen.
- Eine zweite Antwort lautet: In Santo Domingo standen die Themen Evangelisierung und Conquista im Mittelpunkt, sodass die thematische Kontroverse auch zu polarisierten Positionen und damit zu einem von Polemik bestimmten Klima führte. Das ist in Aparecida anders. Das Thema Jüngerschaft und Mission der Kirche eint alle.
- Und schließlich lautet ein dritter Erklärungsversuch für das offene Gesprächklima: Nie wurde eine Generalversammlung so intensiv auf allen Ebenen der Kirche vorbereitet. Schon vor der Entscheidung, ob es nach der Gesamtamerikanischen Synode 1997 in Rom überhaupt noch eine eigene lateinamerikanische Generalversammlung geben solle, waren alle Bischofskonferenzen befragt worden. Dann hatte man alle Ebenen der Kirche in den Beratungsprozess zum Thema der Generalversammlung eingeladen und dafür sogar eigene Methoden entwickelt. Das sog. „Documento de Participación“ (Mitwirkungsdokument) wurde veröffentlicht, einer gründlichen Revision unterzogen und wich schließlich dem aus fast 3000 Eingaben zusammengestellten „Documento de Síntesis“ (Synthesendokument).
Vielleicht spielen noch andere Faktoren mit. Gewiss wirkt sich auch die Gruppenbildung der ersten Tage positiv aus: In jeder Gruppe waren eingeladene und delegierte Mitglieder der Konferenz auf Augenhöhe im Gespräch miteinander, ob Kardinal oder Ordensschwester, Pfarrer oder Bischof. Die Leitung hatte offenbar großen Wert auf die Beteiligung aller gelegt. Wir sind gespannt, ob sich das positive Klima der ersten Woche auch auf die in der zweiten Woche anstehenden Weichenstellungen auswirkt, bei denen die vorhandenen Kontroversen gewiss stärker zum Vorschein kommen werden. Die ersten Schritte für ein Schlussdokument, das alle gemeinsam wollten und das sich an der Methode „Sehen-Urteilen-Handeln“ ausrichten soll, sind getan. Man sollte sich jedoch nicht der Täuschung darüber hingeben, dass die Fraktion der römischen Kardinäle immer wieder starken Druck ausübt. Wir werden sehen, wie weit sie damit kommen.
Norbert Arntz/ z.Z. Aparecida