Aus dem Niederländischen von Dick Boer, den 26. März 2020
Als es klar wurde, dass wir einer gigantischen Wirtschaftskrise entgegengehen, die uns, insbesondere die Schwachen hart treffen wird, nein: die Schwachen schon hart trifft, fiel mir die aktuelle Relevanz des von Marx gemachten Unterschiedes zwischen Gebrauchswert und Tauschwert ein. Der Gebrauchswert z.B. eines Beatmungsapparats ist, dass Menschen mit Atemnot wieder atmen können, der Tauschwert desselben Apparats bedeutet, dass dieser nicht geliefert werden kann, weil der Preis zu hoch ist – und noch einmal extra erhöht wird, wenn Mangel an demselben mehr Profit bringt – nicht für den Patienten, sondern für das Unternehmen, das diesen Apparat produziert.
Es findet da etwas Merkwürdiges, ja Absurdes statt: die Welt der Gebrauchswerte ist (im Gegensatz zum Krieg) unversehrt – die Produktionsstätten stehen noch, die Produkte sind noch da und auch die Menschen, die die Produkte machen. ‚Nur‘ die Logik des Tauschwerts funktioniert nicht mehr: Unternehmen melden Konkurs an, es droht eine Riesenarbeitslosigkeit. Gewiss, die Corona-Krise zwingt Unternehmen die Produktion einzustellen, ihr Personal hat keine Arbeit. Aber ich denke, dass es auch in dieser (Zwischen)Zeit Lebensmittel genug gibt um diese Menschen zu ernähren – vorausgesetzt, Geld spielt dabei keine Rolle. Sie können auch in ihren Wohnungen wohnen bleiben – vorausgesetzt, sie brauchen keine Miete zu bezahlen. Die Notmaßnahmen, die jetzt überall (na ja, überall) getroffen werden, sind zweifellos hilfreich, aber es ist sehr die Frage, ob, wenn die Corona-Krise vorbei ist, nicht wieder das Gesetz des Tauschwerts gilt: Schulden können eventuell ausgesetzt werden, erlassen (vergeben) werden sie nie.
Was sich jetzt auch rächt, ist, dass die Logik des Tauschwerts auf Kosten des für die Lebensqualität unentbehrlichen Reproduktionssektors (jetzt ganz insbesondere des Gesundheitswesens und der Fürsorge generell, das nach der Logik des Tauschwerts per Definitionem ‚zu teuer‘ ist) geht – und schon gegangen ist.
Das Problem ist, dass, wie Slavoj Zizek (oder war es Fredric Jameson?) es einmal formulierte, wir uns eher den Untergang der Welt als das Ende des Kapitalismus vorstellen können. Der Untergang der Welt wird dann als unvermeidliches Schicksal akzeptiert (die Feuilletons sind wieder voll auf dem Trip, das Schicksal zu kultivieren), der Gedanke, dass der Kapitalismus nicht das Ende aller historischen Weisheit ist, als zu phantastisch, um ihn glauben zu können. Aber, hier spricht der Theologe, kennen wir nicht eine phantastische Erzählung, die sich abzufinden weigert mit der Welt, wie sie ist, und dabei bleibt: eine andere Welt ist möglich. Und damit ist selbstverständlich nicht der ‚Himmel‘ gemeint – den sollten wir ruhig den Spatzen überlassen (Heine).