ATRIO: 23. Juli 2007
Von der Koordination des christlichen Netzwerkes erreichte uns heute Morgen der folgende Text, von dem wir indirekt bereits letzten Samstag erfahren haben. Uns wurde aber mitgeteilt, dass die Gefahr bestehe, dass das Dokument übereilt und ohne ausreichende Beratung veröffentlicht würde. Wir sind der Meinung, dass es besser ist bei solch gewichtigen Themen langsam, aber sicher voran zugehen.
___________
Verzweiflung kommt auf und Alarmglocken beginnen zu schlagen. Neue Dokumente aus Rom lassen uns den Kopf schütteln und treiben uns in einen Zustand zwischen Erstaunen und Verzweiflung. Müssen wir uns an das Unmögliche gewöhnen, an das, was wir uns niemals hätten vorstellen können, als wir das Zweite Vatikanum feierten? Es gibt Dinge, die hinterlassen ihre Spuren. Eine davon ist die Tatsache, dass der jetzige Papst Benedikt XVI dreiundzwanzig Jahre lang Lehren und Politik von Johannes Paul II gesteuert hat. Wer sich dessen bewusst ist, den verwundert es nicht, dass der gegenwärtige Papst ein Motu Propio unterzeichnet hat, in dem die Rückkehr zur lateinischen Messe erlaubt wird, ohne dass man eine Genehmigung einholen muss. Außerdem wurde ein Dokument unterzeichnet, in dem es um verschiedene Aspekte der Lehre der Kirche geht und das eindeutig den ökumenischen Dialog erschwert. Da wundern einen die Worte Kardinal Ratzingers nicht mehr, die er 1985 in einem Interview mit Vittorio Messori sprach und die unter dem Titel „Bericht über den Glauben“ veröffentlicht wurden: „Es ist unbestreitbar, dass sich die letzten 20 Jahre entschieden nachteilig für die Katholische Kirche ausgewirkt haben … und die Resultate scheinen auf brutale Art und Weise den Hoffnungen aller entgegenzustehen … Ohne Zweifel muss man sagen, dass eine wirkliche Kirchenreform die entschiedene Abkehr von diesem Weg verlangt, der undiskutierbar negative Auswirkungen hatte … Ich bin davon überzeugt, dass die negativen Entwicklungen, die wir in den vergangenen zwanzig Jahren erlebt haben, auf versteckte, aggressive, zentrifugale, unverantwortliche oder lediglich naive Kräfte zurückgehen, die im Inneren der Kirche aufgebrochen sind.“ (S. 35-37)
Diese Worte sprechen für sich und sie geben uns den Schlüssel zu verstehen, was heute an der Spitze der Kirche geschieht.
Im Folgenden einige fundamentale Punkte:
- Kardinal Ratzinger verneint die positiven nachkonziliaren Erfahrungen der ganzen Kirche, eignet sich das Konzil an und stellt sich als dessen einzigen wahren Interpreten dar.
- Er erklärt den gesamten nachkonziliaren Prozess, den die Kirche gegangen ist, für ungünstig, negativ und irrig.
- Er hält die Früchte des Konzils für ein Desaster und logischerweise verdächtigt er das Konzil selbst, das durch die Päpste Johannes XXIII und Paul VI und durch das weltweite Episkopat angestoßen und getragen wurde.
- Er ist überzeugt davon, dass die nachkonziliare Weg nichts mit dem „wahren“ Konzil zu tun hat, was implizit bedeutet, dass er davon auszugeht, dass das Konzil ein schlechtes Ereignis war, ein Irrweg und eine Sache, die nie hätte geschehen dürfen. Damit verneint der Kardinal, dass ein historischer Aufbruch in der Kirche notwendig gewesen ist und dieser in der Realität notwendig war und er behauptet, dass das Konzil nichts Neues gebracht hätte und sich von der Jahrhunderte langen Tradition der Kirche abgewandt hätte.
Die Theologen hatten Zeit und werden sie noch haben, die Unhaltbarkeit dieser Analyse Kardinal Ratzingers nachzuweisen, aber es ist von vornherein klar, dass, „das Zweite Vatikanum eine Gnade Gottes und ein Geschenk des Heiligen Geistes war, aus dem viele spirituelle Früchte für die universale Kirche und die einzelnen Kirchen ebenso wie für die Menschen unserer Zeit hervor gegangen sind“. So hat es die Außerordentliche Synode formuliert. Wie kann Kardinal Ratzinger im Alleingang gegen die Meinung, die in der Kirche herrschte, so etwas behaupten?
Man darf nicht verheimlichen, was gesicherte Tatsache ist: Das Konzil stand in einem Konflikt zwischen einer konservativen Minderheit und einer großen Mehrheit, die die Erneuerung anstrebte. Das, was diese Minderheit zunächst während des Konzils verlor, das holte sie sich später zurück und konnte dabei auf die Hilfe desjenigen zählen, der die Definitionsmacht über den Glauben innehatte und der heute Papst ist und der scheinbar genau wusste, welches das wahre und welches das falsche Konzil war. Deshalb konnte er auch behaupten, dass die Zeit der Verwirklichung des wahren Konzils noch nicht gekommen ist und dass man mit allem Schluss machen und ganz neu anfangen muss.
Aus diesem Grund ist auch nicht das Konzil das Problem, sondern der Widerstand einer Minderheit, die sich hartnäckig den Ergebnisses des Konzils widersetzte und dabei vom Präfekten der Glaubenskongregation Rückendeckung erhielt, das Pontifikat Johannes Paul II beeinflusste und diesem Widerstand Autorität und einen offiziellen Charakter verlieh.
Der Papst weiß sehr genau, dass auf dem Konzil über wichtige Dinge entschieden wurde, über das Verständnis des Wesens der Kirche, ihr Verhältnis zur Welt, Religionsfreiheit, Ökumene etc., Angelegenheiten also, die einen notwendigen und radikalen Wandel meinten. Jetzt zu behaupten, das Konzil sei lediglich ein pastorales gewesen, in dem es nie darum ging, Dogmen zu definieren und das deshalb irrelevant sei, bedeutet, dieses Konzil außer Kraft zu setzen beziehungsweise dies zu versuchen. Die jetzt aufflammenden Konflikte sind diejenigen aus der Konzilsversammlung, nur mit dem Unterschied, dass jetzt der frührer Präfekt und heutige Papst Benedikt XVI aktiv eingreift.
Wohin steuert die Kirche Benedikts XVI? Die zitierten Dokumente verweisen deutlich auf die vorkonziliare Zeit: die Neokonservativen werden bevorzugt, der ökumenische Dialog in Zweifel gezogen, von der legitimen Autonomie der Kultur und von den Wissenschaften wendet man sich ab, wichtige, die ganze Menschheit betreffende Problem, die uns alle einen müssten, werden hintan gestellt, um innere Probleme wieder in den Vordergrund zu schieben.
Die Vorkonziliaren haben am absolutistischen, undemokratischen Kirchenmodell mit einer klerikal abgestuften, aber totalen und in der ganzen Gesellschaft präsenten Macht festgehalten. Sie sind es gewohnt, das kulturelle, religiöse und moralische Monopol über die zivile und politische Macht hinweg zu besetzen. Dieses dogmatische und arrogante Modell einer Kirche, die weder eine dienende ist, noch ein Reich von Brüdern und Schwestern in Gleichheit, Freiheit und Liebe verkündet, diktiert die Rückkehr in die Vergangenheit und die Angst vor einem authentischen Sich-Einlassen auf die Gegenwart. Eine solche Kirche entfernt sich immer mehr von der Erde, von den Problemen der Männer und Frauen und wird dies nach innen und nach außen immer härter vertreten, als ob dies der Weg in Richtung auf Jesus zu wäre.
Aufgrund dieser Haltung wächst in vielen von uns die Abneigung gegen diese Kirche und die Tendenz, sich als „Christen ohne Kirche“ zu verstehen.
Direktorium des Zusammenschlusses von Theologen und Theologinnen Johannes XXIII
Lateinamerikanische theologische Kommission der ASETT (Asociación Ecuménica de Teólogos del tercer Mundo)
Christliches Netzwerk (Zusammenschluß von 150 christlichen Gruppen und Kollektive in Spanien)
(Das Original in spanischer Sprache findet sich www.atrio.org/?p=837)