Wider die globalisierte Gleichgültigkeit – warum die Weihnachtsgeschichte auch in diesem Jahr wieder gelesen werden sollte
Ein Radiobeitrag unseres Mitarbeiters Michael Ramminger im Bürgerfunk vom 21.12.2013 in einer aktualisierten Fassung.
„Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die ward schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ So werden es jetzt in diesen Tagen – trotz Kirchenmüdigkeit – zigtausende Menschen hören: Besinnlichkeit tanken, zum einen Ohr rein, und zum anderen raus. Alle Jahre wieder. Es hat keinen Zweck mehr, diese Geschichte zu erzählen. Vielleicht lassen wir den ganzen christlichen Kulturkram einfach mal beiseite und erzählen die Geschichte anders: so, wie mir eine Freundin schrieb: „Bereits der ungeborene Jesus war heimatlos. Ein Mensch der Straße, der Straße zwischen Nazareth und Bethlehem, wo sich seine Eltern von den Listen eines Tyrannen erfassen lassen mussten. Und bereits der ungeborene Jesus wusste, wie sich das Wort Wegweisung buchstabiert, weil in der Herberge kein Platz für ihn war. Keine Villa aus Stein, kein Haus aus Holz, nicht mal eine Sozialwohnung, sondern bloß irgendein windschiefer Unterstand, ein zugiger Bretterverschlag, ein wettergegerbtes Tuch über vier Stöcken. Ein Futtertrog am Weg.“ Gut, heute klingt sie zeitgemäßer: Wohncontainer, heimatlos, kein Platz. 25.000 Tote im Mittelmeer, so gut wie keine Geflüchtete mehr die es über die Grenzen schaffen, um in der Bundesrepublik aufgenommen zu werden. Kein Winterabschiebestopp in den Balkan, Anlaufen der Abschiebemaschinerie nach Afghanistan. Passiert jetzt was, irgendeine Anrührung, Berührung, der Impuls aufzustehen, den Aufstand zu wagen? Nicht wirklich, oder? Wir leben in einer gnadenlosen Zeit. Entschuldigen Sie die theologische Redeweise. Andere Worte fehlen mir. In einer Zeit, die keinen Platz hat, für die, die ihren Platz zum Leben und zum Überleben suchen. „Die Kultur des Wohlergehens, die uns an uns selber denken lässt, macht uns unsensibel für die Schreie der anderen, sie lässt uns in Seifenblasen leben die zwar schön sind, aber nichtig, die eine Illusion des Unbedeutenden sind, des Provisorischen, die zur Gleichgültigkeit dem Nächsten gegenüber führt und darüber hinaus zur einer weltweiten Gleichgültigkeit! Von dieser globalisierten Welt sind wir in die globalisierte Gleichgültigkeit gefallen! Wir haben uns an das Leiden des Nächsten gewöhnt, es geht uns nichts an, es interessiert uns nichts, es ist nicht unsere Angelegenheit!“ sagte Papst Franziskus auf Lampedusa. Natürlich ist das Moral, ethischer Anspruch. Franziskus redet hier nicht konkret von Grenzregimen, von ökonomischen Interessen, die hinter der Selektion von Einwanderungswilligen steckt, nicht von den geostrategischen Interessen der militärischen Absicherung von europäischen Grenzen. Er fordert zur „Umkehr“ auf, schon wieder so ein christliches Wort. Aber genau darum geht es doch: diesen schmalen Spalt zwischen gesellschaftlichem Zwang und persönlicher Freiheit zu erwischen und zu sagen: „Ich mach nicht mehr mit!“ Und sich zusammenzutun mit denen, die auch sagen: „Es reicht – Ya Basta!“ Keine Menschenrechtsverletzungen mehr akzeptieren, der Ideologie „das Boot ist voll“ entgegentreten, bei Gesetzen zwischen Legalität und Legitimität unterscheiden. Es ist also Zeit, mal von denen zu sprechen, die sich dieser globalisierten Gleichgültigkeit verweigern. Von den Engagierten in Willkommensinitiativen, AktivistInnen in Sozialen Bewegungen und Refugee-Selbstorganisationen, den Menschen in kirchlichen Einrichtungen oder Gemeinden, die sich einen Teufel um die Kultur des Wohlergehens scheren, die anderen auf die Nerven gehen, darauf bestehen, dass Menschenrechte unteilbar sind, dass wir also alle Brüder und Schwestern sind. Ich weiß nicht, von wem, von welcher Sprache, welcher Erfahrung, welcher Tradition und welchen Geschichten sie sich haben berühren lassen. Aber ich bin froh, dass es so etwas gibt. Das macht Hoffnung und ist zugleich ein Indiz dafür, dass man nicht aufhören darf von bestimmten Dingen zu sprechen, bestimmte Geschichten zu erzählen. Und deshalb werde ich persönlich dieses Jahr auch wieder die Weihnachtsgeschichte lesen – und hoffen, dass es immer wieder Menschen geben wird, die sie auch hören. Und für die Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus, den Illegalisierten, aber auch denen mit gesichertem Status hoffe ich, dass es eine kleine Hoffnung, ein Trost ist, dass es auch Menschen gibt, denen sie nicht gleichgültig sind.