Zum 40. Jahrestag der Ermordung von Oscar Arnulfo Romero, dem Erzbischof von San Salvador, hatten wir eigentlich eine Veranstaltung im ITP geplant. Grund für seinen Tod war sein Einsatz für die Armen und seine wiederholte Anprangerung der Ungerechtigkeit und Gewalt, die in El Salvador in Zentralamerika herrschten. Wir denken aber, dass wir nicht nur vom Leben Romeros und den Gründen für seinen Tod sprechen sollten, dessen Hintergründe ja mittlerweile vielen bekannt sind. Genauso wichtig erscheint uns ab, was Erzbischof Romeros Tod auslöste, nämlich die Gründung eines Netzwerks internationaler Solidarität. Solidarität im internationalen Maßstab zu denken, erscheint gerade heute, wo wir inmitten der global um sich greifenden Coronakrise leben und deren weltweiten Folgen noch gar nicht absehen können, wieder besonders unverzichtbar. Während wir gerade erleben, wie schmerzhaft das Virus das Leben der Menschen rund um den Globus gefährdet, wird zweierlei deutlich:
zum einen wie absurd es ist, dass gerade jetzt die meisten Staaten der Erde auf nationale Lösungen zu setzen, ja gar in der Bewältigung der Krise und ihrer Folgen miteinander zu konkurrieren scheinen und zum anderen, dass die Bedrohung eben zwar alle Menschen, aber nicht alle gleichermaßen betrifft. Es sind diejenigen besonders gefährdet, und zwar weltweit, die auch sonst schon unter der kapitalistischen Globalisierung besonders leiden: Menschen ohne Obdach, auf der Flucht, die, die von Gewalt und prekären Lebensumständen betroffen sind, die, die keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und manchmal selbst zu sauberem Wasser haben, sind der Krankheit und ihren möglichen schwerwiegenden Folgen besonders schutzlos ausgeliefert. Das Gedenken an Bischof Romero kann uns also in diesen Tagen dazu ermutigen, diesen Menschen eine Stimme zu geben, wie er es tat und dabei diejenigen zu stören, die in ihren Krisenbewältigungsstrategien konsequent an ihnen und ihren Problemen, die immer noch durch ungerechte globale Strukturen produziert werden, vorbeidenken. So wie Romeros Tod in vielen eine Welle der Solidarität über nationale und gesellschaftliche Grenzen hinweg ausgelöst hat, so ist von uns heute eine Solidarität gefragt, die Menschen in eine Bewegung bringt, die sich nicht in den Grenzen des eigenen Zuhause einschließt, das vermeintlich Schutz und Sicherheit gewährt, sondern sich öffnet auf die Nöte der Menschen weltweit und nicht bereit ist, Lösungen zu akzeptieren, die das Leben und die Gesundheit einiger aufs Spiel setzen oder opfern wollen. Einer solchen Solidarität ist vielmehr an einer Rettung aller gelegen, an dem Aufbau neuer gesellschaftlicher Strukturen, die ein gerechtes Zusammenleben aller Menschen ermöglichen könnten. In diesem Sinne widersteht sie aller Angst, die uns zu individualisieren droht und uns einschließt in unserem Streben nach der eigenen Sicherheit und damit von den anderen entfremdet. Bischof Romero brachte es so auf den Punkt: „Eine der wichtigsten Botschaften der Kirche heute ist, dass die Christen ihre vom Individualismus geprägte Mentalität aufgeben sollten. Wir sollten nicht mehr von „meiner“ Erlösung und „meinem“ Gott sprechen, sondern davon, wie Gott will, dass wir leben: Als sein Volk, als pilgerndes Volk, so wie Israel aus dem Auszug aus der Sklaverei, durch die Wüste in das Gelobte Land.“ (Predigt am 19.11.1978). Wir sind alle heute besonders gefragt, während die Kirchen vielerorts geschlossen sind und die Gottesdienste ausgesetzt, von unten Formen einer Kirche zu entwickeln, die sich gemeinsam mit den Menschen, die nach einer grundlegenden Veränderung der Strukturen suchen, in Richtung auf das Gelobte Land hin aufmacht und sich bemüht, der herrschenden Globalisierung der Ausschließung eine Globalisierung der Solidarität entgegenzusetzen. Dazu kann uns vielleicht das Vermächtnis von Bischof Romero, an das wir uns heute besonders erinnern, ermutigen.