Zur Erinnerung an das Massaker vom 16.11.1989 in San Salvador: Die Toten sind nicht tot?

Michael Ramminger

Foto: M. Ramminger

Am 16. November 1989, also vor 35 Jahren, wurden in El Salvador an der Zentralamerikanischen Universität UCA die Jesuiten Ignacio Ellacuría, Segundo Montes, Ignacio Martín-Baró, Joaquín López y López, Juan Ramón Moreno und Amando López im Garten ihres Wohnhauses erschossen. Auch die Köchin Elba Ramos und ihre Tochter Celina wurden ermordet, die in dieser Nacht Schutz im Haus der Jesuiten vor den Kämpfen des Bürgerkriegs gesucht hatten. Sie wurden vom Atlacatl-Bataillon, einer Art „Anti-Terror“- Einheit auf Befehl des Militärs erschossen. Die Ermordung war als Gegenaktion zu einer massiven Offensive der 1980 gegründeten salvadorenischen Befreiungsbewegung FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) gedacht. Bei dieser Offensive drang die Guerilla bis in die Hauptstadt und viele Armenviertel vor. Es bleibt wohl für immer unbeantwortet, ob die FMLN nicht bereits Anfang, Mitte der achtziger Jahre die Regierung hätte stürzen können, wäre diese nicht so massiv von den USA unterstützt worden.

BefreiungstheologInnen und viele ChristInnen galten der damaligen Regierung zurecht als suspekt und subversiv sowie der Sympathie oder Kooperation mit der Befreiungsbewegung verdächtig. Ende der achtziger Jahre allerdings ging es bereits auch um Friedensverhandlungen, die mit dem Attentat sabotiert werden sollten. Die Ermordung der Jesuiten und ihrer Haushälterin und deren Tochter (keine Zeugen!) war insofern kontraproduktiv,weil es die Notwendigkeit von Friedensverhandlungen doch insgesamt bestärkte. Drei Jahre später kam es dann auch zu einem Friedensabkommen. Todesschwadronen und Polizei und Militär waren für ca. 85% der insgesamt 75.000 Toten in diesem Krieg verantwortlich.

Die FMLN konnte sich in den Jahrzehnten danach bis heute nicht als politisch fortschrittliche Kraft halten, das Land und seine Menschen haben ebenfalls nicht vom sogenannten Frieden profitieren können.

Foto: Tomás. Mural einer Mara

Ungeheure Gewalttätigkeiten bestimmen das Land mit den Maras, den Drogenbanden, die zeitweise eine Parallelgesellschaft in den Armenvierteln aufbauen konnten. Die Regierung versucht dieser Gewalt mit menschenrechtlich fragwürdigen Verhaftungs- und Repressionswellen entgegenzuwirken, und der derzeitige Präsident macht mehr Furore mit seiner Bitcoinpolitik oder mit peinlichen Auftritten gemeinsam mit dem argentinischen „Anarchokapitalisten“ Javier Milei.

31 Jahre hat es gedauert, bis ein spanisches Gericht – Ellacuria und seine Mitbrüder hatten spanische Staatsangehörigkeit – Oberst Inocente Orlando Montano zu 133 Jahren Gefängnis wegen der „terroristischen Morde und Staatsterrorismus“ verurteilte. 1 Tragischerweise konnte Montano für die Ermordung der Haushälterin und ihrer Tochter sowie den Jesuiten Joaquín López y López nicht verurteilt werden. Sie waren salvadorenische Staatsangehörige, so dass das Gericht ihn deshalb für diese Morde nur als „verantwortlich“ bezeichnen konnte.

Foto: Tomás.

Warum ist es uns wichtig, 35 Jahre nach diesem Massaker daran zu erinnern? Es geht unseres Erachtens darum, wie wir Geschichte interpretieren, wie wir auf die Vergangenheit schauen, und ob wir ihr irgendeine Form von Bedeutung zuschreiben. Sind die Toten einfach tot, oder reichen sie in ihrem Leben und Sterben in unser Leben und in die Gegenwart hinein? Mit der politischen Theologie haben wir gelernt, dass wir uns gegen eine Sprache und Vernunft wenden müssen, die in ihrem instrumentellem und funktionalem Charakter jede Form und jeden Inhalt von Kritik an den gegebenen Verhältnissen verschlingt. Geschichte ist für so eine Sicht auf die Vergangenheit nichts anderes als die Anhäufung unendlicher und gleich-gültiger Ereignisse. Eine solche Sicht, so Johann Baptist Metz, neigt dazu, alle Erinnerung aus sich auszuscheiden, „die die Gegenwart bedrängt und in Frage stellt, weil sie an unausgestandene Zukunft erinnert.“2 Adorno sprach von einem „Schreckbild einer Menschheit ohne Erinnerung“, das unserer Gegenwart eigen ist: „Erinnerung, Zeit und Gedächtnis werden von der fortschreitenden bürgerlichen Gesellschaft selber als eine Art irrationaler Rest liquidiert…“3 Dagegen beharren wir auf der Erinnerung an die geschichtlichen Katastrophen um eben gerade die Notwendigkeit einer Umkehr auf eine lebenswerte Zukunft für alle offen zu halten.

Das ist auch der tiefe Sinn der Rede vom Martyrium in unserer kirchlichen Tradition. Darin geht es nicht um Heroismus, um einen ignoranten Umgang mit dem eigenen und dem Leben anderer. Die Märtyrer und Märtyrerinnen sind der Stachel im Fleisch unserer christlichen Existenz. „Ein Martyrium besitzt sein eigenes, wirksames Licht, das mehr über das Leben und den Glauben aussagt als tausend Worte,“ 4 schrieb Jon Sobrino 1989, als er vom Tod seiner FreundInnen auf einer Vortragsreise im Ausland erfuhr. Und 2007 schrieb er in einem fiktiven Brief an seinen ermordeten Freund Ignacio Ellacuría, dass es in der Frage danach, wie in der Kirche mit Märtyrern umgegangen wird, um einen „articulus stantis et cadentis Ecclesiae“ gehe, um einen Artikel, an dem die Kirche steht und fällt.5 Unsere Glaubensgemeinschaft ist ja tatsächlich in der Erinnerung an ein Leben gegründet, das am Kreuz endete.

Wir sollten wissen, dass die Erinnerung an die Toten und in diesem Sinne Besiegten das Fundament sind, auf dem wir stehen und handeln. Ich glaube, dass dies nicht nur für ChristInnen gilt. Für ChristInnen aber gilt in unverzichtbarem Sinne, was der ermordete Ellacuría gesagt hat: „Der objektive Konflikt mit den Mächtigen, keine abstrakte allgemeine Verfügbarkeit, hat Jesus ans Kreuz gebracht. Das zu ignorieren, führt zu schlimmen Konsequenzen; denn es verführt dazu zu denken, dass wir auch heute die Sendung ohne schwerwiegende Konflikte realisieren könnten.“6 Ein brennend aktueller Satz.

Presente!

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1https://amerika21.de/2020/09/243496/el-salvador-straflosigkeit-jesuiten

2Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft [GGG], Mainz 1977, 176.

3Adorno, Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Bericht über die Erzieherkonferenz am 6./7.11. in Wiesbaden, Frankfurt a.Main 1960, 14.

4https://www.itpol.de/25-jahrestag-der-ermordung-von-sechs-jesuiten-und-zwei-frauen-in-el-salvador/

5Vgl. https://www.itpol.de/brief-von-jon-sobrino-sj-an-seinen-ermordeten-gefahrten-ignacio-ellacuria-sj-zum-18-jahrestag-der-ermordung-am-16-11-1989-auszuge/

6Ebd.